Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
In diesem Buch präsentiert sich die erfahrene Dortmunder Autorinnengruppe Undpunkt mit kleinen gemeinen und bitterbösen Geschichten.
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August 2006
Musik in der ersten Stunde
von Jutta Beer


„Mama, mir ist schlecht!“
„Was? Wir haben verschlafen. Beeil dich, Julia!“ rief Barbara aus der Küche.
„Mama! Ich...“
Ein Würgen und Gurgeln tönte aus dem Bad. Nur durch das Hören hatte Barbara schon den Geruch von Erbrochenem in der Nase.
Es ist immer das gleiche, dachte sie: zum Verschlafen gesellt sich anderes Ungemach wie saure Milch im Kaffee oder Zahnpasta auf der Lieblingsbluse.
Barbara eilte ins Bad, ihre Tochter Julia schaute sie mit glasigem Blick an:
„Es hat nicht mehr ganz gereicht.“
„Schon gut. Warum ist dir schlecht?“
„Ich weiß es nicht“, murmelte Julia.
Barbara fing an zu putzen.
„So, wie du dahängst kannst du nicht in die Schule. Habt ihr wichtige Fächer heute?“ Die Milch auf dem Herd begann zu kochen.
„Ausnahmsweise zwei Stunden Musik, Mathe, Deutsch“, brachte Julia unter Stöhnen hervor.
„Aha!“. Bei Barbara machte es Klick! Das arme Kind, wie sie damals...

Ihre weichen Knie ließen sie schwanken, ihre Stimme traf keinen Ton richtig: “Der Jäger aus dem grünen Wald sucht des Tierleins Aufenthalt...Krampen flogen ihr entgegen, ihre Mitschüler feixten und ihr Musiklehrer beendete ihre Not mit einer Vier im Notenbuch.

Es zischte und stank. Barbara ließ den Lappen fallen, sprang in die Küche und zog die blubbernde Milch vom Herd. Sie bildete übermütige Blumen, die rasch zu braunen Flecken auf dem Ceran Feld welkten. Anstatt Milchkaffee gab es jetzt Tee.
„Mama, ich brauche Klopapier!“
Hoffentlich nicht noch Durchfall, dachte Barbara. Julia konnte so auf keinen Fall in die Schule. Eigentlich sollte Musikunterricht etwas Schönes sein, aber es hatte sich wohl in den letzten Dreißig Jahren nichts geändert....

„Da spielte der kleine Mozart, der war soooo begabt, zwischen den Reifröcken der Damen Verstecken. Die fanden ihn alle ganz süß.“ Dazu grinste die dicke Musiklehrerin selbstgefällig und schlug auf die Klaviertasten, damit wir Schüler wirklich begriffen, wie talentiert Mozart war. „Und wer von euch kann denn ein Instrument spielen?“ Barbara grauste es bei der Erinnerung, sie gehörte zu den zwei Kindern, die weder Blockflöte spielen noch Noten lesen konnten...

„Ich schreibe dir eine Entschuldigung und fülle dir die Wärmflasche. Denke nicht mehr an den Musikunterricht, dann wird es dir wieder besser gehen. Nächste Woche ist es nur eine Stunde. Das wirst du überstehen“, beruhigte sie ihre Tochter.

„Aber Mama, das ist gerade das Fach, das...“
Barbara hörte ihrer Tochter nicht zu, denn das Telefon läutete:
„Mertens!“ meldete sie sich energisch.
„Hallo, Eva! Nein, Julia kann die Entschuldigung für deine Tochter nicht in die Schule mitnehmen. Ihr geht es selbst nicht gut, sie bleibt daheim. Was haben die Kinder gestern gegessen? Süße Heidelbeerpfannkuchen mit heißer Schokomilch und anschließend haben sie ein großes Glas Essiggurken aus dem Kühlschrank verputzt?“
Mozart und Essiggurken haben die gleiche Wirkung, dachte Barbara.

© Jutta Beer

Letzte Aktualisierung: 18.08.2006 - 09.30 Uhr
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