Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Linde Felber IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
August 2006
Ich mag keinen Kaviar und keine Krebse
von Linde Felber

Es war ein Sommertag wie herbeigeträumt, doch in mir wollte der Winter nicht weichen. Mag sein, dass Konstantin Weckers Lied dazu beitrug. Unermüdlich spielte die CD: „… und dann wird’s nur noch schneien.“

Stefan war wie immer zur Arbeit gefahren. Keine Glückwünsche, kein Extrakuss für zwanzig Jahre Ehe. Obwohl ich enttäuscht war, passte es in meine Pläne.
Als es klingelte, wusste ich, das konnte nur Mutter sein. Sie schwenkte einen Strauß langstieliger Rosen.
„Hallo, Lena, alles Gute zum Hochzeitstag. Wo ist Stefan? Ich möchte ihm auch gratulieren.“
„Kannst du dir sparen! Ich sage ihm heute, dass ich ihn verlasse und zwar endgültig.“
„Was redest du schon wieder? In deinem Alter! Sei nicht dumm. So ein Zuhause findest du nie mehr. Wenn du ihn verlässt, siehst du keinen müden Euro.“
Ewig die gleiche Leier. Mutter hatte bloß Schilling durch Euro ersetzt.
„Halt dich da raus. Ich werde arbeiten.“
„Was denn?“ Mutter setzte ihre besorgte Miene auf. „Dein abgebrochenes Architekturstudium zählt nicht. Willst du putzen gehen?“
Ich war wütend. Warum musste sie mich immer daran erinnern?
„Lena“, begann sie mit einschmeichelnder Stimme, „überleg es dir gut. In einigen Jahren wirst du Fünfzig. Du bekommst Falten und Haare im Gesicht.“
Sie schaute mich dabei so unverblümt und prüfend an, dass ich förmlich spürte, wie sich tiefe Furchen im Gesicht eingruben und Härchen sprossen. Oh Gott! Ich musste Mutter loswerden.
„Bitte, geh jetzt. Ich hab noch viel zu tun.“
Ich sah ein, dass sie ohne Zusage nicht gehen würde, also versprach ich, mir alles noch einmal zu überlegen.
Kaum war sie weg, eilte ich ins Bad und prüfte im Vergrößerungsspiegel mein Gesicht, die Falten, die Härchen um Oberlippe und Kinn. Das war ein Fehler! Nichts wie raus.
Erneut drückte ich die Abspieltaste für meinen Konstantin Wecker. Der sollte mich auf andere Gedanken bringen.
„Aufwiegler“, schimpfte Stefan immer. Als die Presse über die Drogenprobleme des Sängers berichtet hatte, konnte ich den Satz „Da siehst du, wie Recht ich hatte!“ nicht mehr hören.
Ich liebte Weckers Musik und seine Texte. Ich schloss die Augen und lauschte:
„… mich lockt das Ungetane und zum Sterben bleibt noch so viel Zeit. Die Sattheit, die man uns verspricht, bezahlen wir mit Einsamkeit. Da ist ein Himmel und ….“
Das Telefon klingelte. Stefan? Mein Herz schlug schneller. Es war seine Sekretärin. Sie richtete mir aus, ich möge pünktlich um 19.30 Uhr im Ritz sein und mir etwas Feines anziehen. Fünf Minuten später hielt ich den Hörer noch immer in der Hand. Ich knallte ihn auf den Apparat.

„… man muss sich wehren wenn man kann, denn wer sich fügt, der fängt insgeheim zu lügen an. ….“
„Gift, reines Gift, das in deine Gedanken tropft und sie verseucht“, sagte Stefan. „Man müsste diesem Liedermacher das Handwerk legen!“ Er hatte es nie geschafft, ihn mir madig zu machen. Im Gegenteil!

Pünktlich um halb acht war ich im Ritz. Ich erblickte Stefan an der Bar in angeregter Unterhaltung, vermutlich mit einem Geschäftsfreund. Auf halber Distanz zu ihm versperrte mir ein kleiner Kellner den Weg:
„Gnädige Frau, Ihr Gatte ist untröstlich und bittet Sie, für kurze Zeit allein am Tisch Platz zu nehmen.“
Er dienerte mich zum Tisch mit dem Rosenstrauß, verbeugte sich:
„Alles Gute, gnädige Frau, alles Gute.“
Der Champagner stand bereit. Der Kellner bedachte mich mit einem schmeichelnden Lächeln, wollte einschenken. Ich winkte ab.
„Danke!“
Verschnupft zog er sich zurück.
„Vielleicht später“, lenkte ich ein.

„Können wir?“ Stefan nahm Platz, rief den Kellner, und deutete in meine Richtung einen Handkuss an: „Sorry, Lena, den konnte ich nicht abwimmeln. Das Geschäft, du verstehst …“
Er lachte, rieb sich die Hände.
„Ich habe ihn für morgen zum Essen eingeladen. Zu uns. Ist dir doch recht.“
Eine Zustimmung erwartete Stefan nicht. Selbstverständlich nahm er an, dass ich einverstanden war. Er weiß, dass ich ein gutmütiges Schaf bin. Immer bereit nachzugeben, mich anzupassen.
Stefan wählte: Felchenmousse mit einem Häubchen aus Saiblingskaviar, handgemachte Farfalle an Flusskrebsen, Krebssoße, frischen Blattspinat, getrüffeltes Perlhuhnbrüstchen, schaumiges Erdäpfelpüree im Zwiebelring mit Zuckererbsenschoten und dazu jeweils den passenden Champagner.
„Das Gleiche für dich, Lena?“
„Nein!“
Ich mag keinen Kaviar und keine Krebse. Das weiß er doch!
Geduldig wartete der Kellner neben mir.
„Gnädige Frau?“ Erwartungsvoll schaute er mich an.
Stefans Stirn schlug Falten, seine Geduld ließ zu wünschen übrig, das tat er offen kund. Wie immer.
„Bringen Sie mir… eine Knoblauchrahmsuppe“, die hasst Stefan, „und Käsknödel“, die hasst er auch. „Armeleuteausdünstung“ lästerte er immer, „und … ein Bier, bitte.“
„Sehr wohl, gnädige Frau.“
Der Kellner ließ sich nichts anmerken. Ihm gebührte doppeltes Trinkgeld!
Stefan versank vor Scham im Sessel.
„Bist du übergeschnappt? Sind wir Proleten? Was sollen die Leute denken?“
Ich setzte mich aufrecht hin. Ich existierte wieder, hatte meine Wünsche geäußert, nicht bloß gesagt „Ja, Stefan, wie du willst, ja, Stefan, was du willst.“ Ich hielt seinem Blick stand.
„Ich verlasse dich.“
„Aber …“, seine Augen blitzten verärgert, „was soll das? Hast du deine Tage oder bist du verrückt geworden?“
„Weder noch. Nur, wenn ich bleibe, Stefan, werde ich verrückt.“

Ich wartete auf die Suppe, kostete. Wärme breitete sich aus. Ich atmete tief durch und genoss diese kleine, verbotene Köstlichkeit bis zum letzten Tropfen und ohne den Funken eines schlechten Gewissens.
Stefan hatte sichtlich Mühe, seine Gesichtszüge in den Griff zu bekommen.
Ich stand auf und verließ das Ritz.
„… man muss sich wehren wenn man kann, denn wer sich fügt, der fängt insgeheim zu lügen an...“

Letzte Aktualisierung: 26.08.2006 - 11.45 Uhr
Dieser Text enthält 5900 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.