Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
In diesem Buch präsentiert sich die erfahrene Dortmunder Autorinnengruppe Undpunkt mit kleinen gemeinen und bitterbösen Geschichten.
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September 2006
Pensionär Heinz-Jürgen alleine unterwegs
von Anne Zeisig

„Du musst los, Heinz-Jürgen! Wir haben keinen Sprudel mehr im Haus! Bei der Gelegenheit schaust du kurz beim Friseur vorbei. Man schämt sich ja, wie du auf dem Kopf aussiehst!“
Seit ich pensioniert war, verteilte mein Graueselchen Marlies Arbeiten an mich.
„Wenn ein Rentner zur Ruhe kommt, dann lebt er nicht mehr lange“, war ihr Motto. Offensichtlich lag ihr mein langes Rentnerleben sehr am Herzen. „Und wenn du sowieso unterwegs bist, dann fährst du auf dem Rückweg zur Gärtnerei. Kauf ein paar Primeln für den Pflanzkübel an der Haustür.“
Ich goss mir eine Tasse Kaffee ein. „Vorsicht, mein Mädel, sonst bekommst du Ärger mit der Gewerkschaft.“
Marlies wischte die Brötchenkrümel vom Tisch. „Gewerkschaft? Gibt’s so was für Hausfrauen?“
Ich trank einen Schluck. „Für Hausfrauen nicht. Aber für Pensionäre, die herumkommandiert werden!“
Meine Gattin strich ihre Bluse glatt und riss die Augen auf: „Ich kommandiere dich herum?“ Sie trug ihr Gedeck in die Küche und schmollte vor sich hin: „So ist das! Der Herr fühlt sich herumkommandiert. Wo ich `s doch gut meine mit seinem Aussehen. Schließlich ist bald Ostern.“
Ostern! Aha! Daher wehte der Hausfrauenwind. Wie Weihnachten. Gardinen waschen, Hausputz, Haare schneiden.
Geschirrklappern aus der Küche.
„Bei der Gelegenheit kannst du mir was aus der Parfümerie mitbringen! Es ist die erste in der Fußgängerzone, direkt neben dem Café. Da kaufst du eine Flasche `Bossa-Nova-Nummer-Sechs´. Die Sondergröße ist im Angebot. Ostergeschenk für unsere Kassen-Lissi vom Kegelclub!“
Ich stellte mein Geschirr in die Küchenspüle und hielt Marlies meine flache Hand entgegen: „Geld.“
„Hundert Euro müssten reichen?“ Marlies runzelte ihre Stirn.
Ich zuckte mit den Schultern. Was ein Kasten Bier kostet, hätte ich ihr sagen können. Aber Sprudel, Friseur und Pflanzen? Keine Ahnung!
Mein Mädel drückte mir den Geldschein in die Hand: „Neben dem Getränkemarkt hat ein neuer Friseur aufgemacht. `Cut and go´ zum Sonderpreis, wenn man montags ohne Voranmeldung kommt.“
Ich kratzte am Hinterkopf mein schütteres Nackenhaar und schaute auf den Küchenkalender: „Heute ist aber Dienstag.“
Marlies spülte ab. „Dann eben `Cut and go´ zum Normalpreis.“
Schneiden und gehen? Hörte sich gut an. Das klang wie: Kein Klatsch, kein Tratsch, nur Herrenfriseur. Schnipp und Tschüss! Tolle Geschäftsidee. Also hievte ich gutgelaunt die beiden Getränkekästen in den Kofferraum und fuhr los.
„Bring eine Quittung mit!“, rief mir meine Angetraute hinterher.

. . .


Ich steuerte den Getränkemarkt an, und konzentrierte mich auf eine freie Parklücke. Rückwärtsgang rein.
Aber dann! Ein Surren? Ein Schrammen? Schrampfknirsch! Das war ein Unheil verkündendes Geräusch. Bremse treten! Eine Alarmanlage heulte los. Ich blickte zur Seite. Da parkte doch tatsächlich ein 600er Mercedes-Benz. Hatte der vor meinem Einparken auch schon dort gestanden? Ich stieg aus und schaute mir die Bescherung an. Mein Wagen hatte sich mit dem Heck in den Kotflügel des Mercedes geschoben. Nun ging alles blitzschnell. Ich wurde von einer türkischen Großfamilie umringt, deren zehn Kinder zwischen den Autos umher sprangen.
Ein betagter Herr kam wild gestikulierend auf mich zu und schrie gegen die Lautstärke der Alarmanlage an: „Werd issich anrufe Polizei! Issich Mercedes erst ein Jahr alt!“ Er beugte sich in den Wagen, schaltete die Sirene aus und sein Handy ein, um die Beamten herbei zu rufen.
„Wie issich passiered?“, fragte die türkische Großmutter mit Kopftuch im Primeldesign und schimpfte lautstark mit den umherwuselnden Kindern, die aber keinerlei Anstalten zur Besserung machten. Zwei Jungen hatten es sich bereits hinter dem Steuer meines Opels bequem gemacht. Ich riss meine Fahrertür auf, da sagte der Jüngere von beiden: „Issich nur altes Opel, issich zum Ausbeulen mit Hammer, dann wieder issich okay.“
Aus den Augenwinkeln sah ich die Menschentraube vor dem Eingang des Getränkemarktes. Eine Frau rief: „Wenn man zu alt zum Autofahren ist, dann sollte man freiwillig seinen Führerschein abgeben! Wo gibt es denn so was! Kinder umfahren!“
„Rassist!“, schrie ein junger Mann, „das Opfer ist ein deutsches Kind mit türkischer Herkunft!“
Ich scheuchte die Kinder aus meinem Auto und suchte mit zitternden Händen im Handschuhfach nach den Unterlagen meiner Versicherung.

Die beiden Jungpolizisten fertigten eine Skizze, drückten mir das Original und dem Unfallgegner eine Kopie in die Hand: „Für die Versicherung. Und Sie zahlen fünfunddreißig Euro Verwarnung. Wollen Sie eine Zahlkarte, oder zahlen Sie sofort? Wenn Ihnen eine Anzeige lieber ist, dann ... „
Ich zahlte und ging hinüber zu dem neuen Friseursalon.

. . .


„Tut mir Leid“, entschuldigte sich die Schöne hinterm Friseurtresen und wischte sich eine lila Haarsträhne aus der Stirn, „ohne Termin, da müssen Sie nächsten Montag wiederkommen, und zwei bis drei Stunden Wartezeit einkalkulieren.“ Sie schnippte nervös mit der Schere in ihrer Rechten und musterte mich von oben bis unten: „Wenn Sie aber, und das empfehle ich Ihnen sehr, ein absolut mega geiles Rundum-Erneuerungs-Styling wünschen, dann geht das nur mit Termin. Aber nicht mehr vor Ostern.“
Also Tschüss. Go ohne Cut.
Ich fuhr zur Gärtnerei. Dort zeigte sich die Parkplatzsituation nicht besser als vor dem Getränkemarkt. Ich stellte den Wagen am Straßenrand neben einer Baustelle ab.
„Hier können Sie nicht stehen bleiben!“, rief ein junger Mann im Blaumann, „hier wird gleich Baumaterial angeliefert!“
Weder eine Absperrung noch ein Halteverbotsschild waren zu sehen.
Ich versprach, spätestens in einer halben Stunde aus der Gärtnerei zurück zu sein.
Dort studierte ich das reichhaltige Blumenangebot, aber den Standort der Primeln konnte ich nicht ausfindig machen. Gerade, als ich mich auf die Suche nach einem Verkäufer machen wollte, ertönte die Lautsprecherdurchsage:
„Der Fahrer des Opels mit dem amtlichen Kennzeichen ... soll bitte sofort ...!“
Ich raste hinaus! Um mein Auto hatte sich eine Menschentraube versammelt. Dahinter stand ein Polizeifahrzeug.
Mir lief der Schweiß in Strömen unter meinem Nackenhaar den Rücken hinunter.
„Sie schon wieder!“, begrüßte mich der Polizeibeamte. „Hier wird gleich Baumaterial angeliefert. Der Polier hat uns verständigt.“
„Aber ich hatte doch vereinbart, dass ich ... Ist außerdem öffentliche Verkehrsfläche, weil ... „
„Is Irrtum! Großes Irrtum!“, kam ein junger Mann mit weißem Helm auf uns zu, „ich nicht gewusst haben, das sich hatte Kollega geeiniget auf Zeit für Parkern!“ Er zeigte auf meine Beifahrertür. „Das war Gabelstapeles. Ich gefahren bin. `tschuldigung auch noch. Aber issich ja Polizei da.“
Zur Delle von dem Mercedes hatte sich nun eine tiefe Schramme vom Kotflügel bis zum Heck gesellt.
Die beiden Polizisten fertigten eine Skizze und ...
Dieses Mal war ich unschuldig!
. . .

Was sollte ich außerdem besorgen? Ach ja! Das Rasierwasser für mich. Aus der Parfümerie neben dem Café. Aber das gab es nicht mehr. Stattdessen hatte sich dort `Tschiebohnie und mehr´ nieder gelassen mit Stehtischchen.
„Einen Kaffee bitte.“
Die Dame hinter der Theke hatte auf ihrem Shirt den Aufdruck „Tschiebohnie“ und darunter, direkt auf ihrem sehr drallen Busen „und mehr“, stehen.
Sie lächelte: „Kaffee Latte?“
„Wie“?
„Mit Latte?“
Ich schaute mich irritiert um. Diese Jugend! So direkt. Ja. Gut. Okay. Früher. Da hätte ich beim Anblick so eines Atombusens eine, na ja, hüstel, ... gekriegt.
Sie trommelte ungeduldig mit den Fingerspitzen auf den Tresen: „Latte! Milch! Mit Milch?“
Ich räusperte mich. Was für ein Busen! Und nuschelte: „Milch.“

. . .

„Sie müssen mir schon den Namen des Rasierwassers sagen, das sie kaufen wollen. Schließlich haben wir weit über eintausend Marken im Sortiment.“
Ich kratzte mich an der Schläfe. Was hatte Marlies gesagt?
„Soll es denn etwas herbes sein? Mit einer Basis aus Schiefergestein auf einem Gewölbe von Ton und Moos aus Irland?“
Die Barbiepuppe hielt mir eine Duftprobe unter die Nase.
Es roch moderig.
„Ich glaube, meine Frau sagte, Latte in einer imposanten Größe wegen Primelduft und Sexnummer, oder so ähnlich. Es stünde bei Lilliy, oder Lissi, oder so, an der Kasse zum Super-Nova-Sonderpreis.“
„Was?“ Die Schöne zuckte mit dem Duftblättchen unter meiner Nase zurück und zischte: „Der Sex-Shop ist unten im Hinterhof! Da sind Sie hier total verkehrt!“
Ich flüchtete. Aber nicht in den Sex-Shop.
Wo hatte ich den Wagen geparkt? Am Rathaus? Am Hallenbad?

. . .

Erschöpft ließ ich mich am heimischen Küchentisch nieder und legte fünfundsiebzig Euro Wechselgeld auf das Wachstuch. Marlies stellte resolut den vollgepackten Wäschekorb auf den Boden: „Gut, dass du da bist. Mir klebt die Zunge am Gaumen.“ Sie sah in den Flur. „Hast du die Sprudelkästen nicht rein gebracht?“
Ich schüttelte den Kopf: „Dieses Große-Latte-Sex-Rasierwasser, das habe ich aber nicht gekauft. Hättest mir doch sagen können, was das für ein Schweinskram ist.“
„Rasierwasser?“ Marlies setzte sich.
„Aus der Parfümerie!“
Sie lachte. „Parfüm! Heinz-Jürgen! Nummer Sechs. Nach einem Tanz benannt. Bossa-Nova. Sondergröße.“
Dann zupfte sie auf meinem Kopf herum: „Das nächste
Mal gehst du wieder zu unserem alten Friseur. Die haben ja kaum was runter geschnitten. Siehst aber wenigstens wieder gepflegt aus.“
Ich verkrümelte mich mit einer Tasse Milchkaffee in meinem Hobbykeller.
Selbstverständlich dauerte es nicht lange, und Marlies rief hinunter:


„Heinz-Jürgen! Komm hoch! Das ist ja entsetzlich! Und so etwas direkt vor der eigenen Haustür! Da hat dir einer `ne Beule und einen langen Kratzer ins Auto gefahren! Aber damit nicht genug! Der hat irgendwie den Kofferraum offen gekriegt und die zwei Kästen Sprudel leer getrunken. Das gibt `ne saftige Anzeige gegen Unbekannt! Ich habe schon die Polizei angerufen! Und die Primeln hat der auch noch geklaut!“


Anne Zeisig

Letzte Aktualisierung: 27.09.2006 - 19.40 Uhr
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