Ich bin unterwegs. Wieder nachts. Ich folge der alten Stimme. Jene Stimme, die mich immer wieder hinauslockt. Sie lockt mich mit unentfliehbarem Nachdruck, ruft, schreit, lÀsst mich nicht schlafen.
So folge ich ihr und verrichte mein Werk.
Jede Nacht, in der ich wach in meinem Bett liege und versuche sie abzuschĂŒtteln, schreit sie umso lauter. Verlangt nach Tribut. Nie finde ich Schlaf, bis es vollbracht ist.
So bin ich unterwegs.
Die Dunkelheit ist mein VerbĂŒndeter - und die StraĂe. Sie ist mein Revier, mein Gehege, in dem ich umherstreife. Ruhelos.
Suche nach der einen, nach der bestimmten. Locke sie zu mir, mit List und sĂŒĂen Worten. Es ist so leicht. Ein paar Nettigkeiten, ein paar freundliche Komplimente, schon gehört sie mir. Sie ahnt nichts von dem UnglĂŒck, das ich ĂŒber sie bringen werde.
Ich höre GroĂmutters Stimme, wie sie drĂ€ngend flĂŒstert: âSie sind schlecht. Alle sind sie schlecht. Sie haben es nicht anders verdient.â Höre ihre Stimme, wie sie sagt: âEs sind alles Flittchen. Sie taugen alle nichts. Lasse dich nicht auf sie ein. Du bist ein Versager, fĂ€llst immer wieder auf sie rein.â
Dann sehe ich es wieder vor mir: wie sie mit der flachen Hand zuschlĂ€gt, immer wieder. Wie sie mir die Hose herunterzieht und mit dem Kabel zuschlĂ€gt. Wie sie schimpft: âDu taugst nichts! Immer wieder habe ich es dir gesagt! Lasse die HĂ€nde von den Weibern! Du hast eine SĂŒnde begangen!â
Wie sie mich in den Arm nimmt, wenn ich dann weine.
âDu bist doch Omas Liebster. Nur deine Oma hat dich richtig lieb. Du darfst nicht sĂŒndigen.â
Dann war sie wieder so lieb.
Jetzt bin ich wieder unterwegs.
Höre ihre Stimme.
Bin unterwegs - mit der Erinnerung.
Sie ist schon alt, und doch so prÀsent.
Als Oma starb, war ich alleine. So verdammt alleine. Ich weiĂ nicht, ob ich sie hasste oder liebte. Wahrscheinlich hasste ich sie. Einerseits war ich befreit. Andererseits fehlte sie mir. Sie hat mir immer gesagt, was ich tun soll. Sie hat mir immer den Weg gewiesen.
Ich sehnte mich so sehr nach NĂ€he. Sehnte mich nach Liebe und Geborgenheit, doch Oma war immer noch da. Ich hatte ihre Warnungen immer im Ohr. âLasse die HĂ€nde von den Weibern. Du hast SĂŒnde begangen.â Sie verbot es mir noch immer. Ich hasste sie, hasste die Frauen, denn sie lieĂen jene Erinnerung wieder in mir aufleben. Die Erinnerung an die Schmerzen, die Erniedrigung. Aber ich wollte eine von ihnen haben. Wieder hörte ich ihre Stimme.
Und ich gehorchte.
Ich bestrafe sie alle.
Wie schon die anderen zuvor.
Sie sind alle schlecht.
Sie sind voller SĂŒnde.
Ich bin ein guter Junge, denn ich lasse mich nur zum Schein auf sie ein. Wie bei dir.
Du saĂest in der Bar. Die verdorbenen Reize deines Körpers stelltest du zur Schau. Ich sah den Ansatz deiner BrĂŒste. Deswegen wurde ich aufmerksam auf dich. Es reizte mich und stieĂ mich gleichzeitig ab. Ich sprach dich an, lud dich auf etwas zu trinken ein. Ich machte dir Komplimente, ein paar nette Worte, du fĂŒhltest dich geschmeichelt. Ich sprach auch von deinen Augen, wie schön sie seien. Du gingst darauf ein, fĂŒhltest dich geschmeichelt.
Du falsche Schlange.
Ihr seid alle gleich. Verdorben bis ins Mark. Ich sehe deinen Busen, wie er auf und ab wippt. Du trĂ€gst keinen BH. Ich sehe es genau. Das ist billig. Du SĂŒnderin.
âDu bist wirklich nettâ, sagtest du.
Nach einigen Drinks warst du willig. Wolltest mit mir mitkommen. Ich war der Charmeur. Es war so einfach. Ich brachte dich zu meinem Auto.
Du fragtest: âWohnst du hier in der NĂ€he?â
Ich schĂŒttelte stumm den Kopf.
LĂ€chelte.
Im meinem Kopf ging ich bereits meinen Plan durch. Ich bin nicht so leicht zu verfĂŒhren. Egal, was du auch versuchtest. Es prallte an mir ab. Ich bin ein guter Junge.
Im Radio lief âAll I wanna do is making love to youâ von Heart.
âEin schönes Liedâ, sagtest du. âDu bist schĂŒchtern, oder?â
âEin bisschenâ, antwortete ich.
Lenkte den Wagen weg von der HauptstraĂe. Suchte einen stillen Ort.
âWo bringst du mich hin?â Deine Frage ging unter in einem Kichern. Du hattest zuviel getrunken. Auch das ist eine SĂŒnde.
Ich parkte das Auto an einem Feld. Der Vollmond stand am Himmel und ein Nachtvogel sang. Ich stellte den Motor ab.
Schweigend saĂen wir da.
Ich war erregt. Doch anders, als du dachtest.
Du beugtest dich zu mir herĂŒber.
âIch liebe schĂŒchterne MĂ€nnerâ, sĂ€useltest du. Ich roch deine Fahne. In mir stieg Ekel hoch. Ihr seid alle gleich. Wollt immer nur das eine. Doch ich bin ein guter Junge.
Dein Kuss schmeckte nach Alkohol und nach Lasterhaftigkeit. Ich erwiderte ihn widerstrebend. Du wandest dich wie eine Schlange. Meine HĂ€nde suchten deinen Hals. Umschlossen ihn. DrĂŒckten zu. Du stöhntest. Ich war erregt. Wollte dich. Doch es war SĂŒnde.
Meine HÀnde gruben sich tief in deine Haut. Ich bin ein guter Junge. Bin nicht lasterhaft. Du warst die Böse. Die Verkommene. Du hattest selber Schuld.
Ich drĂŒckte zu.
Dein Blick weitete sich. Dein Mund öffnete sich zum Schrei. Doch nur ein Gurgeln verlieà deine Kehle. Du Gespielin des Bösen. Ich bin ein guter Junge.
Deine FĂ€uste schlugen auf mich ein. Du rangst nach Luft. Speichel rann weiĂ an deiner Wange herunter. Doch ich bin ein gnadenloser RĂ€cher. Du hattest keine Chance. Als du dann still neben mir lagst, fuhr ich dir sanft durchs Haar. Nun bist du erlöst. Erlöst von deinem sĂŒndenhaften Dasein. Es war besser fĂŒr dich. FĂŒr dich und deine Seele.
Oma hÀtte mich bestimmt gelobt.
âGuter Junge. Du bist mein Schatz. Auf dich kann ich mich immer verlassen.â
Ich war froh. Wieder eine gute Tat. Die Stimme war fort.
Versteckte deinen Körper im Dickicht.
Fuhr davon.
Ich war wieder unterwegs.
Denn ich bin ein guter Junge.
Letzte Aktualisierung: 20.09.2006 - 18.33 Uhr Dieser Text enthält 5666 Zeichen.