Honigfalter
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September 2006
Unterwegs
von Claudia Göpel

Verdammter Mist! Mitternacht. Der letzte Zug ist mir vor der Nase weggefahren. Ein Bus bringt mich in die Nähe der Autobahnauffahrt, ich muss noch einige Meter laufen. Das Schild mit der Aufschrift „Berlin“ habe ich auf dem Bahnsteig gebastelt. Mit meinem Edding und der Stützpappe des neuen Hemdes, das ich meinem Freund mitbringen will.

Falls ich in dieser Nacht jemals an einer Raststätte ankommen sollte, reicht mein Geld gerade noch für Zigaretten und eine Coke. Vor Durst klebt mir bereits die Zunge am Gaumen.


Sieht mich keiner oder will mich niemand sehen? Glauben diese Arschgeigen etwa, dass ich mich bei der Schweinekälte in einem Minirock hinstelle, nur um Aufmerksamkeit zu erregen? Pustekuchen! Entweder es nimmt mich bald jemand mit, oder ich fahre zurück, klingele meine Freundin aus dem Bett und werde sehen, was sich morgen ergibt. Tommy steht bestimmt schon auf dem Bahnsteig, um mich abzuholen. Ich tippe seine Nummer in mein Handy, es verreckt mit einem kläglichen Piepsen. Immer genau dann, wenn man das Ding braucht, ist der Akku leer!

Da, ein Scheinwerferlicht. Ich ziehe die Kapuze fester und halte den Daumen in den Wind. Fährt vorbei. Nein, er hält! Ich greife mein Gepäck und renne den blitzenden Rückstrahlern entgegen. Ein Lieferwagen.


„Hi. Fahren Sie nach Berlin?“

„Da komme ich vorbei. Rutsch rein.“

„Klasse! Ich stehe schon seit über einer Stunde hier und keiner hat angehalten.“

„Dann hast du ja diesmal Glück gehabt.“

Erleichtert packe ich meinen Rucksack auf die Rückbank und werfe einen flüchtigen Blick auf den Fahrer. Mitte Dreißig, Schnauzer, gepflegt, Jeans und Turnschuhe. Turnschuhe? Klebte da nicht eine Werbung auf der Seitenwand des Fahrzeuges? Egal. Entspannt lehne ich mich zurück.

„Du willst nach Berlin? Zug verpasst?“

Ich nicke und verziehe ärgerlich die Mundwinkel.

„Scheißfahrplan! Die nächste Bahn fährt erst gegen sechs Uhr, aber dann wäre meine Fahrkarte nicht mehr gültig. Haben Sie etwas zu trinken? Ich komme um vor Durst.“

Er greift neben sich und reicht mir eine Wasserflasche, aus der ich in langen Zügen trinke. Er mustert mich von der Seite.

„Erwartet dich jemand?“

„Ja, mein Freund. Ich konnte ihn nicht mal mehr anrufen und sagen, dass ich später komme. Der Akku ist leer.“

„Gut.“

„Wie bitte?“

„Gut, dass ich vorbeikam.“

Ich verkrieche mich in meiner Jacke. Schweigend fahren wir eine Weile weiter, aus dem Autoradio plärrt Truck Stop.

„Sie sind auch noch ziemlich spät unterwegs. Was machen Sie eigentlich?“

„Arbeiten. Ich liefere Turnschuhe aus.“

„Also habe ich doch richtig gelesen. Turnschuhe. Im- und Export?“

„Second Hand. Die Leute zahlen für gebrauchte Markenschuhe nicht schlecht. Aber richtig Geld verdienen kann man damit nicht. Was trägst du für Schuhe?“

„Reebok“, antworte ich. „Ist das ne gute Marke?“

„Das ist ne echt gute Marke! Vor allem, wenn die Trägerin so hübsch ist wie du.“

„Oh, Danke.“

Verlegen schaue ich aus dem Fenster, fange an, die Kilometersteine zu zählen. Ist ja nicht mehr allzu weit bis Berlin.

Aus dem Laderaum ertönt ein monotones Brummen. Das ist kein Motorgeräusch. Der Fahrer bemerkt meinen fragenden Blick und lächelt.

„Was du da hörst, sind Kühlboxen.“

„Kühlboxen? Müssen die Schuhe gekühlt werden?“

„Nein, natürlich nicht. Ich transportiere außerdem Blutkonserven. Unter anderem. Mit dem Verkauf der Turnschuhe allein lässt sich nicht genug verdienen. Doch nachdem ich mein Geschäft um diesen Transportzweig erweitert habe, boomt der Laden.“

„Blut für das Rote Kreuz?“

„Ja, so in der Art. Privatkliniken. Du glaubst gar nicht, was man mit Blut für Kohle machen kann. Gelegentlich beliefere ich auch eine Tierfutterfabrik mit Rohstoffen. Die Turnschuhe sind da nur noch ein willkommener Nebeneffekt.“

„Das klingt unglaublich: Gebrauchte Turnschuhe und Blutkonserven. Das andere, was war das gleich? Also, wenn das wirklich funktioniert, kann ich Sie nur beglückwünschen! Wie sind Sie bloß auf so eine Idee gekommen?“


Der Wagen holpert. Erst jetzt merke ich, dass der Typ von der Autobahn abgefahren ist und seinen Transporter in einen Wald lenkt. Er stoppt das Fahrzeug, zieht den Zündschlüssel ab und wendet sich mir zu. Ein Lächeln umspielt seine Mundwinkel, sanft legt er eine Hand auf meinen Schenkel.

Ich bin wie erstarrt. Unfähig mich zu bewegen, spüre ich wie mein Herz gefriert.

Sein Blick wandert von meinen Schuhen über meine Beine, verweilt kurz auf meinem Hals, senkt sich in meine Augen.


„Ich werde es dir zeigen“, sagt er freundlich.

Letzte Aktualisierung: 20.09.2006 - 22.07 Uhr
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