Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
Immer an der Wand lang, immer an der Wand lang … Seine Beine bewegten sich mechanisch im Takt. Was für eine Ironie, ausgerechnet bei ihr hatte er dieses alberne Lied gehört, dessen Refrain ihn nun vorwärts trieb wie der Aufziehmechanismus ein Spielzeug. Er erinnerte sich genau, es war bei ihrer Einweihungsfeier gewesen. Die Gäste waren mehr als angeheitert, als sie in einer schwankenden Polonaise ausgelassen grölend von Raum zu Raum zogen. Immer an der Wand lang.
Damals dachte er noch, sie wäre anders als ihre Vorgängerinnen. Er blieb im Verborgenen, beobachtete ihr Leben. Sie studierte Biologie, war Vegetarierin und bepflanzte mit Feuereifer den winzigen Balkon. Alles gute Zeichen für ihn. Sie hatte Respekt vor allen Lebensformen, war kinder- und tierlieb und tolerant gegenüber Außenseitern. Sein Bild von ihr - in tausend Splitter zersprungen.
Der Gedanke an seine Naivität entfachte erneut die Glut seines Zorns, setzte seine gepeinigte Seele in Brand. Der aufflammende Schmerz ließ ihn stolpern. Er hielt inne, drängte die Erinnerung zurück, konzentrierte sich auf das Ziel und setzte sich wieder in Bewegung. Immer an der Wand lang.
Der Weg schien endlos. Aber Aufgeben kam nicht in Frage. Schritt für Schritt, immer an der Wand lang. Diese Demütigung schrie nach Vergeltung! Er hatte ihr nie etwas getan. Im Gegenteil, sie konnte nicht ahnen, wie tief sie in seiner Schuld stand. Unzählige Plagegeister hatte er ihr vom Leib gehalten. Dank erwartete er keinen. Wie die meisten verschloss sie die Augen vor seinen Leistungen. Daran war er gewöhnt. Ignoranz, Ablehnung, ja, sogar Abscheu. Aber sie war noch weiter gegangen. Viel zu weit, flüsterte sein verletzter Stolz ihm bei jedem Schritt zu. Sie attackierte ihn, beschimpfte ihn aufs Übelste. Und sie ließ nicht locker, verfolgte ihn, schlug zu.
Die Erinnerung war verworren. Als er zu sich kam, lag er unter einem Apfelbaum, alles tat ihm weh. Er fühlte sich furchtbar. Sobald er sich wieder bewe ...
Liebe Leserin, lieber Leser,
diese Geschichte gehört zu den Siegergeschichten und erscheint in unserer Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print. Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir uns nicht selbst Konkurrenz machen möchten, indem wir die Geschichte ebenfalls hier komplett veröffentlichen.
Vielen Dank!
Andreas Schröter
Letzte Aktualisierung: 01.10.2006 - 09.38 Uhr Dieser Text enthält 4052 Zeichen.