Der Tod aus der Teekiste
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"Viele Autoren können schreiben, aber nur wenige können originell schreiben. Wir präsentieren Ihnen die Stecknadeln aus dem Heuhaufen."
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September 2006
Freier Fall
von Manuela Gantzer

Die Vorfreude auf dieses Abenteuer war unbeschreiblich. Ich konnte nicht fassen, dass mein größter Traum in Erfüllung ging.
Urlaub in Neuseeland: relaxen, quer durch das Land reisen, Sightseeing, baden. Mit dabei die beste Freundin, was könnte schöner sein?

Jetzt sind Tina und ich schon sechs Wochen hier. Die Zeit verging viel zu schnell.
Zuerst waren wir in Auckland. Diese Stadt hat mich sofort in ihren Bann gezogen und verzaubert. Mittlerweile sind wir mit dem Auto unterwegs, fahren kreuz und quer durch Neuseeland. Die Landschaft fasziniert mich jeden Tag aufs Neue.
Im Norden haben wir den Tane Mahuta bestaunt. Mit einem Alter von über tausend Jahren der älteste Kauri-Baum Neuseelands und der Größte den ich je gesehen habe. Er ist gewaltig! Wie Ameisen wirken wir vor diesem Riesen.
Kaum sind wir wieder unterwegs tauchen hinter der nächsten Kurve Sanddünen auf. Unglaublich! Keine kleinen Hügel richtige Berge wie sie sonst nur in der Wüste zu finden sind.
Es fällt mir schwer mich auf die Straße zu konzentrieren. Mein Blick wandert ständig von links nach rechts und zurück, da ich befürchte einen unvergesslichen Anblick zu verpassen.

Unsere Tour geht weiter und wir dringen in das Landesinnere der Nordinsel vor. Da entdecken wir zufällig das Schild "Okere Falls" und entschließen uns kurzerhand Halt zu machen. Der Weg zu den Wasserfällen führt durch einen Wald. Hier entdecke ich riesige Farne, die selbst die Pflanzen im Botanischen Garten zu Hause kläglich aussehen lassen. Der kleine Pfad endet an Klippen, die die Aussicht auf die sonnenbestrahlten Wasserfälle frei geben. Im Sonnenlicht funkeln die Wassertropfen wie Diamanten. Ich bin so in dieses Bild versunken, dass ich die Fotografen, die ein Stück weiter links stehen zuerst nicht bemerke. Sie unterhalten sich über irgendwelche Boote. Ob sie heute kippen würden oder nicht.
Tina und ich verstehen nicht, was das zu bedeuten hat, bis plötzlich mit lautem Geschrei zwei Rafting-Boote eben genau diese Wasserfälle herunter donnern.
Staunend beobachten wir die Boote, wie sie gefährlich schwanken. Nervös kaue ich auf meiner Lippe und sehe schon alle im Wasser liegen.
Doch sie schaffen es! Kippen nicht.
Momentan herrscht Stille, dann dringen laute Jubelschreie zu uns nach oben. Zurück in unserem Backpacker erkundigen wir uns über diese Rafting-Tour.

„Mariella, ich würde diese Tour gerne machen. Was hältst du davon?“
„Ich weiß nicht so recht. Es würde mich schon reizen, andererseits ist mir heute beim Zuschauen Angst und Bang geworden.“
„Ach, komm lass uns einmal etwas Verrücktes, Abenteuerliches machen! Du hast gehört, was die Besitzer des Backpackers gesagt haben. Es macht Spaß! Sie haben diese Tour bereits sehr oft gemacht! Na und wenn die das schaffen, dann kriegen wir das locker hin.“
Schließlich lasse ich mich von Tina überreden.

Jetzt ist es gleich soweit.
Da kommt unser Bus. Beim Einsteigen begrüßen uns einige junge Leute, die schätzungsweise alle zwischen zwanzig und dreißig sind.
In ihren Gesichtern kann ich die verschiedensten Gefühle lesen.
Neugier, Angst, Vorfreude.
Meine Hände sind eiskalt und mein Magen fühlt sich flau an, wie nach einer wilden Achterbahnfahrt. Tina sitzt ganz ruhig neben mir, während ich meine Füße nicht still halten kann. Wie schafft sie das nur?

Kaum sind wir aus dem Bus ausgestiegen, bringen sie uns gleich in die Umkleideräume. Dort muss ich mich in eine Art Taucheranzug zwängen. Ein Pullover zum drüberziehen, Helm und Schwimmweste gehört ebenfalls zur Ausstattung.
“Langsam werden meine Knie auch weich“, gab Tina kleinlaut zu.
„Wenigstens geht es nicht nur mir so“, antworte ich und bringe ein schiefes Grinsen zustande.
Aber es bleibt nicht viel Zeit zum Nachdenken. Gleich geht es weiter zum Trockentraining.
Sieben Leute für jedes Boot. Wir sollen uns einfach reinsetzen und schon gibt es großes Gelächter von unseren Guides. Alle haben sich in die Mitte des Bootes gesetzt, anstatt am Rand Platz zu nehmen.
Die Vorstellung bei wildester Fahrt am Rand zu sitzen, bringt meine Hände zum schwitzen und eine leichte Übelkeit steigt in mir hoch.
Es werden alle Kommandos geübt und uns wird erklärt, was zu tun ist, wenn wir aus dem Boot fallen. Dieser Gedanke versetzt mir einen Stich in die Magengrube.

Bevor es losgeht, muss eine Erklärung unterschrieben werden, worin wir selbst die Verantwortung übernehmen. Darin soll auch eine Person angeführt sein, die sie verständigen können, falls etwas passiert. Die Guides machen makabre Scherze deswegen. Die haben leicht lachen.
Der Aufbruch verhindert zum Glück, dass weitere schreckliche Szenen in meinem Kopf ablaufen.

Drei Boote werden zu Wasser gelassen und wir werden aufgeteilt. Ich sitze vorne neben dem Guide, Tina und eine Schweizerin direkt hinter mir, dann zwei Japanerinnen und schließlich noch ein zweiter Guide.
In den beiden anderen Booten sitzen mehr Männer als Frauen. Irgendwie beunruhigt mich das.
Die Fahrt geht los. Nachdem der Fluss zunächst ruhig verläuft, wiederholen wir das Erlernte auf dem Wasser.
Die ersten kleinen Stromschnellen kommen auf uns zu.
Mein Puls schnellt in die Höhe. Ich werde hektisch.
Aber - die Aufregung ist umsonst alles klappt wunderbar.

Ich entspanne mich ein wenig und beginne die Umgebung wahrzunehmen. Rechts von uns befindet sich ein Wald und links ragen steile Felsen in die Höhe. Die warmen Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht genieße ich in vollen Zügen. Langsam macht mir diese Fahrt wirklich Spaß und ich frage mich, wovor ich eigentlich Angst hatte.
Da! Plötzlich höre ich ein Rauschen.
Ein Wasserfall kommt in Sichtweite.
Schlagartig fällt es mir wieder ein.
Bei diesem Anblick wird mir heiß und kalt zugleich.
„Paddeln!“, schreit der Guide neben mir. „Nicht nachlassen! Paddeln!“
Ich werde ziemlich nervös, als ich die Kante immer näher und näher rücken sehe. Unruhig blicke ich zum Guide. Er grinst mich frech an.
Blödmann, denke ich und werde wütend.
Endlich erschallt sein Kommando „DOWN“.
Schnell rutsche ich ins Boot, halte das Paddel und vor allem mich selbst fest. Gerade rechtzeitig fällt es mir noch ein: Kopf einziehen!
Das Boot wird hin und her geschüttelt. Meine Hände umgreifen die Halteschnur noch fester.
Das Rütteln lässt nach und ich rechne fast damit gleich im Wasser zu landen. Doch als ich mich umblicke, sitze ich im Boot und der Wasserfall war so schnell vorbei, dass ich ihn nicht richtig realisiert habe.

Gerade als ich erleichtert aufatme, schreit Tina hinter mir:
„Mann über Bord!“
Ich drehe mich und sehe den zweiten Guide im Wasser liegen. Noch bevor die Panik in mir hoch kommt, hat sein Kollege neben mir schon das Seil ausgeworfen und zieht ihn zum Boot. Gekonnt klettert er herein und schnell kehrt Ruhe bei uns ein.
Beunruhigend wenn ein erfahrener Guide hinausfällt, aber die Fahrt geht sofort weiter und ich schiebe die Gedanken beiseite.
Es wird rasanter. Das Wasser spritzt mir ins Gesicht, während wir die nächsten Stromschnellen hinunter donnern.
Plötzlich entdecken wir eine kleine Ente. Ein Aufschrei geht durch unser Mädchenboot und die beiden Männer können ein Lachen nicht unterdrücken.
Das Vöglein schwimmt um sein Leben, zwischen Felsen hindurch und versucht nicht noch weiter den Fluss hinunter geschwemmt zu werden.
Schnell haben wir uns zur Rettung entschlossen und paddeln auf sie zu. „Los! Schneller!“, versuche ich die anderen anzutreiben.
Mir kommt es wie eine Ewigkeit vor, bis wir sie endlich erreicht haben.
Unser Guide streckt ihr das Paddel entgegen, während alle anderen probieren die Position zu halten. Nach mehreren vergeblichen Versuchen klappt es. Geschickt schubst er das kleine Entlein ans nahe gelegene Ufer.
An Land plustert sie sich auf, schüttelt ihr Federkleid und sucht quakend das Weite.
Ich schaue ihr grinsend nach, während das Boot schon wieder Fahrt aufnimmt.

Wir wenden uns den Felsen auf der anderen Seite des Flusses zu.
Von oben herab schießt das Wasser über die Klippen. Die Sonne erschafft viele kleine Regenbogen. Dieses Schauspiel nimmt mich völlig gefangen. Mechanisch paddle ich weiter und merke nicht, dass wir direkt darauf zu fahren, bis mir plötzlich das eiskalte Wasser durch den Helm, in den etwas zu großen Taucheranzug und unten wieder heraus rinnt. Ein Schauer durchläuft mich und für einen kurzen Moment stockt mir der Atem.
Erfrischt und putzmunter setzen wir unser Abenteuer fort.

Nach einer Weile steuern wir das Ufer an. Dieses Mal ist zum Glück keine Überraschung in Sicht. Noch nicht.
Wir halten an und unsere Guides erklären, dass wir uns fast am Ende der Tour befinden und nur noch der sechs Meter Wasserfall vor uns liegt. Nachdem es hier schon Unfälle mit Knochenbrüchen und anderen Verletzungen gegeben hat, geben sie uns die Möglichkeit auszusteigen und ihn an Land zu umgehen.
Ich drehe mich zu Tina um. Ein kurzes Kopfnicken genügt und wir wissen:
Jetzt überstehen wir auch das letzte Stück!
Es wird noch einmal erklärt, wie wir uns zu verhalten haben, falls das Boot kippt oder jemand hinausfällt. Weder aus unserem, noch einem der beiden anderen Boote, steigt jemand aus.

Unser Boot fährt als erstes dem Wasserfall entgegen.
Die Angst kommt zurück und ich umschließe das Paddel fester. Trotz der Abkühlung durch die unfreiwillige Dusche wird mir heiß.
Das Rauschen wird immer lauter, viel lauter als beim ersten Mal.
Ich sehe den Abgrund auf mich zukommen.
Mein Herz rast und droht gleich zu zerspringen.
Oh Gott! Warum habe ICH mir das selbst angetan.
Ich paddle eigenhändig meinem nassen Grab entgegen und habe sogar dafür bezahlt.

Endlich das erlösende Kommando „DOWN“.
Pfeilgeschwind rutsche ich hinein, halte das Paddel fest, klammere mich ans Boot, ziehe den Kopf ein und presse die Augen zu.
Ich spüre keinen Halt unter mir. Der Boden gibt nach.
Wir sind in freiem Fall!
Schon spritzt mir Wasser ins Gesicht. Das Boot taucht vorne ein, wird zusammengedrückt und katapultartig nach vorne geschleudert.
Das Boot schaukelt. Momentan weiß ich nicht, was um mich passiert. Vorsichtig öffne ich die Augen… Ich lebe noch!
Schnell drehe ich mich zu Tina um.
Lachend fallen wir uns in die Arme.
Alle schreien vor Freude durcheinander.

Die Guides sagen uns, dass an der Klippe Fotografen stehen und noch ein Foto gemacht wird.
Lächelnd winke ich nach oben und frage mich, wer heute die Wette verloren hat?

© Manuela Gantzer 2006

Letzte Aktualisierung: 27.09.2006 - 19.42 Uhr
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