Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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November 2006
Chankpe Opi Wakpala – Die Hoffnung stirbt
von Melanie Conzelmann

Eines Tages, als das Volk der Lakota großen Hunger litt, weil die Büffel verschwunden waren, kam eine heilige Frau und brachte ihnen eine Pfeife. Sie lehrte die Lakota, damit umzugehen und zu beten. Solange sie sich an die Gebote hielten, sollten sie niemals Hunger leiden und ein mächtiges Volk werden, denn wer die Pfeife raucht, wird mit der Welt verbunden.
Als die Frau ging, versprach sie wiederzukommen, die Welt zu reinigen und ein Zeitalter des Friedens zu bringen. Die Geburt eines weißen Büffels würde ihre Rückkehr ankündigen. Die heilige Pfeife des weißen Büffelkalbes aber, wird bis Heute von den Lakota gehütet.

***


29. Dezember 1890, Wounded Knee Creek, South Dakota:

Rising Sun blickte angespannt zu der langen Reihe von Lakota-Männern hinüber, die von US-Soldaten durchsucht wurden.
Die Demütigungen fanden kein Ende. Das Leben im Reservat war schlimm genug. Sie waren eingesperrt und gezwungen in Kleinfamilien zu leben. Abgeschnitten vom Stammesverband. Wie sollten sie unter diesen Umständen ihre Kultur erhalten, und die heilige Pfeife ehren?
Der große Geist zeigte bereits sein Missfallen:
Die Büffel waren verschwunden. Die oft verdorbenen Essensrationen reichten nicht aus. Wagte jemand sich über die Verbote hinwegzusetzen und Wild zu erlegen, kehrte er mit leeren Händen zurück.
Besonders die Männer hatten unter der Situation zu leiden. Zu Tatenlosigkeit verdammt, suchten viele Trost im Alkohol.
Die Geistertanzbewegung hatte ihnen Hoffnung gebracht. Doch die Regierung wollte ihnen keine Hoffnung lassen. Sie hatte den Geistertanz verboten.
Die Weißen verstanden nichts. Sie sagten, die Lakota leisteten Widerstand durch ihren Geistertanz. Dabei war es ein friedlicher Versuch, zu den alten Traditionen zurückzukehren und die Ahnen zu beschwören, damit alles wieder so werden würde, wie zur Zeit der Vorfahren! Der Weiße Mann war es, der schließlich wegen des Geistertanzes Blut vergossen hatte.
Als sich Häuptling Sitting Bull, der die Geistertanzbewegung unterstütze, gegen seine Verhaftung widersetze, wurden er und sieben seiner Männer ermordet. Unter der Führung von Häuptling Big Foot hatte ihre Gruppe deshalb in der Pine Rigde Reservation Schutz suchen wollen.
Rising Sun seufzte leise, als sie an die Geschehnisse dachte, die ihrer Flucht vorangegangen waren, und sie schließlich an das Ufer des Wounded Knee Creek gebracht hatte.
Erschöpft ließ sie ihren Blick zu den durchwühlten Tipies gleiten. Auf der Suche nach Waffen waren die Soldaten schon vor Morgengrauen in das Lager eingedrungen und hatten alles mitgenommen, was sie als Waffe verwenden könnten. Dabei hatten die Lakota schon gestern ihre Gewehre abgegeben, als sie von der 7.Kavallerie gestellt worden waren.
Ihre beiden Kinder klammerten sich an Rising Suns Rock. Sie litten furchtbaren Hunger und hatten keine Kraft mehr. Doch Rising Sun war sehr stolz auf sie, denn sie waren tapfer.
Ein bedrohliches Gefühl kroch Rising Sun den Rücken hinauf, brachte die feinen Härchen in ihrem Nacken dazu, sich aufzustellen. Schnell wandte sie ihre Aufmerksamkeit erneut den Männern zu.
Yellowbird, der Medizinmann, verweigerte die Durchsuchung. Er wandte sich von den Soldaten ab, stellte sich vor die lange Reihe von Lakota-Männern und begann den Geistertanz zu tanzen. Rising Sun spürte wie die Luft vor Anspannung knisterte. Wachsam verfolgte sie das weitere Geschehen, während sie ihre Kinder an sich drückte.
Der Medizinmann rief mit weit tönender Stimme: „Habt keine Angst, meine Brüder! Sie können uns nichts anhaben! Unsere Geistertanzhemden werden ihre Kugeln abwehren!“, dann fing er an zu singen.
Plötzlich fiel ein Schuss. Das Adrenalin raste in Rising Suns Blut.
Gleich darauf ertönte noch ein Schuss. Trotz der vor Kälte tauben Glieder, nahm sie ihre beiden Kinder fest an den Händen und rannte, während um sie herum das Chaos ausbrach. Die Soldaten, die das Lager umstellt hatten, feuerten unbarmherzig los. Vor Rising Sun stürzten die Menschen zu Boden, niedergemäht von vier Schnellfeuergeschützen, als wären sie Grashalme im Sturm. Die drei Flüchtenden sprangen über Tote und Verletzte hinweg, hinter ihnen stürzten Krieger schreiend durch die Linien der Soldaten und versuchten ihre beschlagnahmten Waffen zu erreichen.
Rising Sun flüchtete mit ihren Kindern auf eine kleine Anhöhe, kroch mit ihnen in ein Gebüsch und drückte sie auf den gefrorenen Boden. Ihr Atem ging schnell. Die Dunstwolken hüllten ihre Köpfe ein, so dass sie das furchtbare Massaker von fern wie durch Nebel beobachteten.
Die Soldaten machten keinen Unterschied zwischen Kindern, Frauen, alten Männern und den wenigen Kriegern. Gnadenlos schossen sie auf alles, was sich bewegte, sogar die Pferde der Lakota verschonten sie nicht. Die Kinder hielten sich die Ohren zu, um die schrecklichen Schreie nicht zu hören. Rising Suns Herz krampfte sich zusammen, die Hilflosigkeit schmerzte sie mehr, als sie ertragen konnte.
Dennoch war das einzige Zeichen ihres Leids die Tränen, die in einem endlosen Strom über ihr Gesicht flossen.
Nach einer Zeit, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, sah Rising Sun Soldaten durch die Reihen der Opfer gehen. Immer wieder ertönten Schüsse, wenn sie auf einen Lakota stießen, der noch lebte. Jeder einzelne Schuss, traf Rising Sun wie ein Messerstich. Gequält schloss sie die Augen.
Als sie sie wieder öffnete, kamen zwei der Kavalleristen die Anhöhe herauf. Systematisch suchten sie die Umgebung nach Geflohenen ab. Rising Sun hörte auf zu atmen. Sie versuchte eins zu werden mit der kalten Erde und dem kahlen Gestrüpp. Sie wusste, ihre Kinder würden es genauso machen. Die Kinder ihres Volkes lernten schon früh, still zu sein und zu beobachten.
Fast schon war einer der Soldaten an ihrem Dickicht vorbeigegangen, als Rising Suns Tochter vor Kälte mit den Zähnen klapperte.
Der Kavalerist drehte sich um und richtete sein Gewehr auf sie. „Kommt heraus!“
Jede Bewegung schmerzte Rising Sun, als sie, gefolgt von den Kindern, unter dem Busch hervor kroch. Angst fühlte sie nicht mehr. Musste sie nun sterben, dann sollte es mit Würde sein, denn das war alles, was ihr geblieben war. Mit erhobenem Haupt blickte sie den Mann an, der seine Winchester auf sie gerichtet hielt, bereit abzudrücken.
„Jeff, lass gut sein. Es ist nur eine Frau mit zwei Kindern. Heute sind genug von ihnen gestorben.“ Mit diesen Worten war der zweite Soldat hinzugekommen und hatte seinem Kameraden die Hand auf die Schulter gelegt. Langsam ließ dieser sein Gewehr sinken.
Zusammen mit den anderen überlebenden Lakota lud man Rising Sun und ihre Kinder auf eine Karre. Neunundvierzig Frauen und Kinder, die meisten verletzt, waren übrig geblieben. Mehr als 300 Menschen lagen tot im Schnee. Rising Sun hatte noch nie so etwas Furchtbares gesehen. Mütter, die ihre Säuglinge noch an der Brust hatten, waren niedergeschossen worden, Großväter lagen schützend über Enkelkindern. Alle waren sie tot. Ihr ganzes Volk war tot, und man würde ihnen nicht einmal erlauben, angemessen um sie trauern.

Als sie Pine Ridge erreichten, brach ein Schneesturm los, der drei Tage andauerte. Nach dieser Zeit wurden die steif gefrorenen Opfer in einem Massengrab auf dem Schlachtfeld begraben.

Rising Suns Kinder schickte man schon bald in eine Boarding School. Dort wurde ihnen verboten, ihre traditionelle Sprache zu sprechen, ihre Lieder zu singen und ihren Glauben auszuüben. Die langen Haare wurden ihnen abgeschnitten.
Als sie zurückkamen waren sie junge Menschen, denen man ihre Kultur genommen hatte, die nicht mehr wussten, an was sie glauben sollten, oder ob es sich lohnte an irgendetwas zu glauben.
Was sie gelernt hatten, konnten sie im Reservat nicht brauchen. So flüchteten sie sich in den Alkohol. Rising Sun wäre das Herz gebrochen, doch genauso wie ihre Traditionen, die zusammen mit den Opfern in der eisigen Kälte gefroren und vom Schnee zugedeckt worden waren, war auch ihr Herz im Schmerz erstarrt.

***


Am 20.August 1994 erblickte das Büffelkalb Miracle in Janesville/Wisconsin das Licht der Welt. Ihr Fell war weiß. Die Chancen für die Geburt eines Büffelkalbes mit weißem Fell stehen ca. eins zu sechzehn Millionen. Unter den indianischen Stämmen erregte die Geburt großes Aufsehen, war doch das letzte weiße Büffelkalb vor einundsechzig Jahren geboren worden. Miracle gab ihnen Hoffnung und die Bestätigung, dass sie mit der Rückkehr zu ihren alten Traditionen den richtigen Weg eingeschlagen hatten.
Heute ziehen wieder große Büffelherden durch die Nationalparks und die Indianer versuchen Arbeitslosigkeit und Alkoholabhängigkeit mit dem „roten Weg“ zu bekämpfen. Dabei sind sie sehr erfolgreich.
Miracle war nur das erste, von vielen weißen Büffelkälbern, die in den letzten Jahren geboren wurden. Laut Chief Arvol Looking Horse, Hüter der Heiligen Pfeife des Weißen Büffelkalbs, ist ihr Erscheinen ein dringender
Aufruf an alle Menschen, sich zusammenzutun und mit der Ausbeutung und Verschmutzung der Mutter Erde aufzuhören, weil wir sie nur von unseren Kindern geliehen haben.

Letzte Aktualisierung: 27.11.2006 - 14.01 Uhr
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