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November 2006
Hetu'u
von Daniel Schmidt

Hetu'u* spielte am Strand des großen dunklen Sees. Über ihr zog eine kleine weiße Wolke gemächlich am blauen Himmel entlang. Ihre Großmutter saß nur wenige Meter entfernt im warmen Sand und war dabei, einen Korb aus langen Blättern zu flechten. Die zwei befanden sich im Krater eines längst erloschenen Vulkans. Nur ein paar Vögel unterbrachen ab und zu die Stille.

'Oma, warum darf ich nicht in den See?' Hetu'u hielt ihre sandigen Hände weit vorgestreckt, um ihre Großmutter von der Notwendigkeit eines Bades zu überzeugen. Diese holte ein Tuch aus ihrem Umhang und wischte damit die Hände ihrer Enkelin sauber.
'Setz dich zu mir. Ich werde dir eine Geschichte erzählen, du bist inzwischen alt genug dafür.'

Hetu'u setzte sich dicht neben ihre Großmutter, um ja kein Wort zu verpassen. Sie liebte Geschichten und Oma war eine gute Geschichtenerzählerin.

'Es ist schon lange her, als ich noch nicht lebte und auch meine Großmutter noch nicht lebte und deren Großmutter auch noch nicht, da fuhren tapfere Menschen mit großen schnellen Booten über das Meer, auf der Suche nach neuem Land, nach einer neuen Heimat. Sie waren schon viele Tage unterwegs, als sie in der Ferne ein paar Vögel am Himmel entdeckten. Und bald sahen sie auch das Land, eine kleine grüne Insel mitten im Ozean. Was sie fanden, war das Paradies. Die ganze Insel war ein Garten, in dem tausende Früchte drauf warteten, gepflückt zu werden. Sie bauten sich Hütten und Ställe für die Hühner, die sie mitgebracht hatten. Sie sangen ihre Lieder und lebten in den Tag hinein. Ihnen fehlte es an nichts.

Doch schon bald war es ihnen zu langweilig, den ganzen Tag nichts zu tun und so begannen sie, die Stunden mit dem Herstellen von Steinfiguren zu füllen. Sie hatten das in ihrer ehemaligen Heimat gelernt und verbesserten ihre Fähigkeiten jetzt zur Perfektion. Sie teilten sich die Arbeit auf, die kräftigen Männer schlugen grob geformte Rohlinge aus dem Vulkangestein, während sich andere um die Feinheiten kümmerten. Die Frauen versorgten die Hühner und kochten das Essen.

Wann immer eine Figur vollendet wurde, feierten sie ein großes Fest, während die Figur an ihren Platz gezogen wurde. Das konnte einige Tage dauern, aber Zeit hatten sie genug. Am Ende wurden die Figuren aufgestellt und Augen aus Muschelschalen eingesetzt. Nun waren sie heilig und beschützten die Insel und deren Bewohner.

So lebten sie viele, viele Jahre, bis eines Tages ein neues Schiff eintraf. An Bord waren nur Männer, große kräftige Krieger. Sie wurden freundlich aufgenommen und man stellte fest, dass ihre Sprache sehr ähnlich war, dass sie wahrscheinlich aus dem gleichen Land kamen. Sie feierten, bauten neue Hütten und lebten von nun an zusammen. Die Krieger lernten schnell, wie man Steinfiguren meißelt und so arbeiteten sie gemeinsam an der Vollendung ihres Werkes. Alles war friedlich.

Doch im Laufe der Zeit, anfangs war es nur ein Spiel, begannen die einzelnen Grüppchen einen Wettstreit, wer die größten und schönsten und die meisten Figuren baut. Sie holzten nach und nach den Palmenwald ab, weil sie das Holz brauchten, um die Statuen zu stützen und zu transportieren. Sie kümmerten sich nicht mehr um ihre Felder sondern arbeiteten wie besessen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Und so kam es, dass die Vorräte knapp wurden. Die Menschen hatten nichts mehr zu essen. Sie begannen sich zu streiten, bestahlen sich und schließlich fingen sie an, gegeneinander zu kämpfen. Sie warfen die Figuren um, die von den jeweils anderen geschaffen worden waren und kratzten ihre Augen aus, um ihnen die beschützende Kraft zu nehmen.

Die Krieger waren im Vorteil, sie wussten, wie man Waffen baut und auch, wie man sie benutzt. Bald schon unterdrückten sie die Erstankömmlinge und teilten die wenigen Früchte, die auf dem kargen Boden noch wuchsen, unter sich auf. Es waren schlimme Zeiten, doch sie sollten noch schlimmer werden. Die Unterdrückten hatten noch nicht aufgegeben und eines Nachts nahmen sie all ihren Mut zusammen. Mit angespitzten Stöcken und Steinäxten gingen sie auf ihre Peiniger los, doch es war aussichtslos. Viele von ihnen wurden getötet, die anderen flohen auf den Vulkan.

Die Wochen danach waren eine einzige Qual. Die Krieger hielten auf dem Kraterrand Wache, so dass keiner der Eingeschlossenen fliehen konnte. Sie hatten zwar Wasser, aber keine feste Nahrung. Von Tag zu Tag schwanden ihre Kräfte.

Als sie kaum noch genug Kraft hatten, sich auf den Beinen zu halten, kamen die Krieger und holten sich die Frauen und ihre Töchter. Sie schleppten sie fort zu ihren Hütten, wo sie für sie arbeiten mussten.

Die im Krater gefangenen Männer sollten verhungern, das war der Plan. Doch das taten sie nicht. Stattdessen gingen sie in den See, schnitten sich mit scharfen Steinen die Adern auf und ließen sich in die Tiefe sinken.
Ihr Blut färbte das Wasser rot und ihre Körper sanken zu Boden, bis heute sind sie nicht wieder aufgetaucht. Ihre Seelen schwimmen im See und warten darauf, dass jemand ins Wasser steigt, an dem sie sich rächen können.

Seit dem hat keiner mehr einen Schritt hinein gewagt und deswegen, meine liebe Hetu'u, darfst du nicht im See baden. Sie würden dich töten!'

'Aber wieso? Ich habe doch niemandem was getan!'

'Du bist das Kind eines Kriegers, wie wir alle.'

Hetu'u schwieg eine Weile. Dann fragte sie ihre Großmutter: 'Was geschah danach?'

'Du willst wissen, wie die Geschichte weiter ging? Das Leben wurde nicht leichter. Der See des Vulkans speist einen unterirdischen Fluss. Er versorgt die wenigen fruchtbaren Flächen mit Wasser. Doch nun war das Wasser verflucht. Die Krieger hatten zu viel Angst vor der Macht der Seelen und so wurde auf den Feldern nichts mehr angebaut. Sie wagten sich nicht einmal mehr in die Nähe.

Sie sammelten Regenwasser und bewässerten damit andere Stellen, die sonst immer trocken waren. So konnten sie ein paar Früchte anbauen, genug, um nicht zu verhungern aber zu wenig, um sich weiter zu entwickeln. Es wurde nie wieder richtig friedlich, ständig gab es Streit zwischen den Familien, die Gesichter der Frauen klagten die Männer jeden Tag an.

Sie verboten ihnen, alte Traditionen zu pflegen. Die Steinfiguren blieben liegen, das Wissen, wie man sie baut, verschwand. Das Kunsthandwerk geriet in Vergessenheit, es durften nur noch die Dinge erstellt werden, die unbedingt zum Leben notwendig waren. Alles war knapp. Und weil es nichts mehr zu feiern gab, verschwanden auch die Lieder und die Tänze. Nur einige wenige wurden heimlich von den Müttern an ihre Töchter weiter gegeben. Die Söhne erzogen sie zu Kriegern, obgleich es niemanden mehr zu bekämpfen gab.

Und so ist es bis heute geblieben. Wir haben keine Hoffnung mehr. Wir haben nur unsere Sehnsucht und diesen See, in dem unsere Vorväter begraben sind.'

Hetu'u schaute zu ihrer Großmutter. 'Wirst du mich die Tänze lehren und die Lieder?'

Sie lächelte und strich ihrer Enkelin übers Haar. 'Natürlich werde ich das.'

Hetu'u lächelte zurück und drehte dann ihre Kopf in Richtung des Sees. 'Ich glaube nicht, ' sagte sie 'dass sie mir etwas tun werden. In meinem Herzen gehöre ich zu ihnen!' Und ehe ihre Großmutter etwas erwidern konnte, sprang sie auf und rannte in den See. Sie tauchte unter und ihre Großmutter hielt den Atem an, glaubte, dass ihr Herz jeden Moment aufhören würde zu schlagen.

Doch plötzlich schien es, als würde sich die Farbe des Sees verändern, Hetu'u tauchte wieder auf und von der Stelle, an der sie schwamm, breitete sich ein Licht aus, das den ganzen See erhellte. Freudestrahlend kam sie aus dem Wasser.

'Ich glaube, wir sollten die alten Felder wieder bestellen.'

Ihre Großmutter hatte Tränen in den Augen.



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* Hetu'u heißt Stern

Anmerkung: Diese Geschichte lehnt sich an die Geschichte der Osterinseln an. Wer mehr darüber wissen will, kann ja mal googeln ;-)

Letzte Aktualisierung: 26.11.2006 - 17.09 Uhr
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