Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Dezember 2006
Rodins Meisterwerk
von Luzia Fischer

Wie hungrige Wölfe schlichen sie um mein Haus. Im Schein der Laternen und der rotierenden Lichter konnte ich sie sehen, huschende Gestalten, geduckt, in Lauerstellung.
Die Tür zum Flur stand offen, ein Lichtkegel fiel ins Wohnzimmer. Gehetzt irrte mein Blick umher. Sie würden mich holen kommen – bald.
Ich kauerte wie gelähmt am Boden und zitterte.
Meine Augen verharrten auf dem Mann neben mir. Er war ganz still. Als ein bärtiges Gesicht vor dem großen Fenster auftauchte, kroch ich, mit einem erstickten Laut, in die dunkle Ecke hinter der Tür.
„Wir waren doch so glücklich, Pieter“, flüsterte ich. Meine Stimme bebte. „Warum ... ?“

Bilder der vergangenen Wochen flackerten durch meinen Kopf, wie eine Videokassette, die zurückgespult wurde, zuerst langsam, dann rastloser, verzerrter.
Als Vanessas verheultes Gesicht auftauchte, kam der Film zum Stehen. Verächtlich betrachtete ich das Bild, wünschte mir, ich könnte es wegwischen, auslöschen - ganz schnell.
Aus einem diffusen Mitgefühl heraus ließ ich sie bei mir einziehen. Ihr Freund hatte sie abserviert, vor die Tür gesetzt. Nie hätte ich gedacht, dass Vanessa so etwas passieren könnte.
„Du bist ein Schatz, Sonja“, bedankte sie sich mit heller, fast kindlicher Stimme, „ich werde es wieder gut machen.“
Vanessa erholte sich bemerkenswert schnell von ihrer Niederlage. Anstatt sich einen Job zu suchen, wie sie mir versprochen hatte, amüsierte sie sich auf Partys. Meistens kam sie erst im Morgengrauen zurück, danach schlief den ganzen Tag über.
Sie lieh sich ungefragt meine Klamotten aus, plünderte meinen Kühlschrank, ließ überall verstreut ihre - nein, meine Sachen liegen.
Wenn ich sie zur Rede stellen wollte, wich sie aus.

Bald dämmerte mir, dass sie gar keinen Job wollte. Sie war auf der Suche nach einem wohlhabenden Typen, der ihr ein angenehmes Leben ermöglichte.
Als ich Vanessa darauf ansprach, stritt sie es nicht einmal ab. Sie zuckte nur mit den Schultern und lächelte.

Das Zusammentreffen mit Pieter hatte ich instinktiv hinausgezögert. Nur auf Dauer ließ es sich nicht vermeiden, dass sie sich begegneten. Als er Vanessa zum ersten Mal sah, überschlug er sich fast. Sie flötete mit heller, kindlicher Stimme: „Willst du mir diesen gutaussehenden Herrn nicht vorstellen?“
Ich war gewarnt.
In mir begann das scheußliche Gefühl von Eifersucht zu gären. Bei jeder Gelegenheit machte sie ihn an. Vanessa flatterte mit ihren langen, schwarzen Wimpern. Ihre grell geschminkten Lippen verformten sich zu einem niedlichen Schmollmund.
Pieter ließ es sich gefallen, schien sogar geschmeichelt zu sein. Ich musste sie loswerden.
„Verschwinde, du Schlampe!“ schrie ich sie an, sobald Pieter gegangen war. „Ich will, dass du mein Haus verlässt, sofort! Und lass meinen Freund zufrieden!“

Vanessa grinste überheblich. Ihr Blick gab mir zu verstehen, dass ich ihn bereits verloren hatte. Vor Wut zitternd, stellte ich mir vor, wie ich ihren weißen, schlanken Hals umdrehte. Ganz langsam, bis ich ein befreiendes Knacken hören konnte. Die Vorstellung reichte nicht aus, um den Zorn in mir zu besänftigen. Ich ging zur offenen Schrankwand im Wohnzimmer, griff mir eine Flasche und goss das Glas randvoll mit Whisky. Geistesabwesend betrachtete ich meine Skulpturensammlung im Regal, fixierte kurz Rodins Plastik, dann kippte ich den Inhalt in einem Zug hinunter.
Sobald Vanessa das Haus verlassen hatte, warf ich all ihre Habseligkeiten aus dem Fenster und schloss die Vordertür ab. Erleichtert lehnte ich mich zurück. Ich hatte es geschafft, dieses Miststück war ich für immer los.
Danach griff ich zum Telefon, atmete erleichtert auf, sobald ich Pieters Stimme hörte. Ich bat ihn heute Abend zu mir zu kommen, musste ihn unbedingt sehen.
Voller Ungeduld, Zweifel verharrte ich vor dem Wohnzimmerfenster. Inzwischen war es fast Mitternacht. Eine entsetzliche Leere machte sich in mir breit.
Plötzlich hörte ich seinen Sportwagen. Schnell löschte ich das Licht im Wohnzimmer. Er sollte nicht wissen, dass ich stundenlang auf ihn gewartet hatte. Etwas Stolz besaß ich schließlich auch.
Das Verdeck seines Sportwagens war heruntergeklappt. Laternen vor dem Haus erhellten die Einfahrt, streuten mattes Licht in das Wohnzimmer. Dann sah ich sie.
Vanessa hatte ihre Arme um ihn geschlungen, küsste ihn wild, leidenschaftlich.
Ungeniert, ohne jede Scham, rücksichtslos.

Die gärende Eifersucht explodierte, riss mich fast entzwei. Schluchzend stolperte ich durch den Raum, griff nach einer der massiven Skulpturen im Regal. Sie würde jeden Moment hier sein, mir höhnisch ins Gesicht lachen, den grell geschminkten Mund dabei hämisch verzogen.
Als sich die Tür zum Wohnzimmer öffnete, schlug ich blind vor Wut zu, vollkommen blind.
Das Blut rauschte in meinen Ohren. Es übertönte den Aufschlag. Der Körper sackte auf den Boden.

Gedämpfte Stimmen von draußen holten mich in die Gegenwart zurück. Ich hörte Schritte auf dem Kies, blaue, rotierende Lichter tasteten sich suchend durchs Zimmer. Dumpf betrachtete ich Pieters leblosen Körper neben mir. Die Wunde klaffte dort auseinander, wo sich der kleine, kahle Fleck auf seinem Kopf befand. Das Einzige, was mich an ihm gestört hatte.
Vanessas irres Geschrei gellte noch in meinen Ohren.
Ihre Augen starrten schreckensweit auf Pieters blutigen Hinterkopf, dann auf mich.
Eine Weile später Sirenengeheul, Reifen knirschten in der Einfahrt.
Seitdem schlichen sie ums Haus, wollten sich wohl einen Überblick verschaffen. Wer weiß, was Vanessa ihnen über mich erzählt hatte. Vielleicht, dass ich zu allem fähig wäre?
Ich fixierte die Skulptur, die vor meiner ausgestreckten Hand lag. Ein flüchtiger Lichtstrahl ließ sie bronzen aufleuchten. Als ich die Bedeutung der Figur erkannte, begann ich zu frösteln. Es handelte sich um Rodins Meisterwerk „Der Kuss.“

Letzte Aktualisierung: 25.12.2006 - 06.36 Uhr
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