Der Cousin im Souterrain
Der Cousin im Souterrain
Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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Dezember 2006
Schweig dich ins Grab
von Anita Handlbaur

Vor Wut kochend, stand Andrea in der Küche. Heute war Frauenabend, wie jeden Dienstag, und der ach so verwöhnte Gatte brauchte seine warme Mahlzeit.
Diesmal kreierte sie aus Zorn einen Spezialeintopf. Wenige Tropfen würden reichen, um ihn ins Jenseits zu befördern.
Die Erinnerungen an das Gesehene ließen Andrea nicht los:

Es war an einem dieser Dienstage, Andrea fühlte sich nicht wohl und ging früher heim.
Als sie das Haus betrat hörte sie eine fremde, weibliche Stimme. Den Inhalt verstand sie nicht. Die Frau hielt einen Vortrag. Wem? Ihrem Kurt wohl kaum, denn der hätte längst schon etwas eingeworfen.
Wie immer! Kaum hatte jemand einen Satz angefangen, unterbrach Kurt schon. Er führte das große Wort und trachtete danach, sein Gegenüber zu beherrschen, zu steuern und zu lenken. Wie es ihm beliebte und in den Sinn kam. Das trieb Andrea oft in den Wahnsinn. Händeringend gab sie ihm dann zu verstehen, dass auch sie ein Recht hätte sich zu äußern. Dies zog meist ein Gezanke nach sich, denn die Marionette hatte zu funktionieren, wie Kurt sich das vorstellte. Wehe, sie widersprach! Dann hagelte es Vorwürfe und Unterstelllungen.
Sollte Andrea dennoch etwas erzählen, so konnte sie davon ausgehen, dass es kein Gehör fand. Die Worte flogen durch seine Lauscher, um auf der anderen Seite des Gehirns wieder rauszufallen. Hängen blieben lediglich Bruchstücke, mit denen er neue Reden schwang und Andreas Worte verdrehte.

Andrea trat näher ans Wohnzimmer, öffnete die Tür einen Spalt und sah sie. Hübsch anzusehen war sie, das musste man ihr lassen. Plötzlich trat Kurt einen Schritt auf die Blonde zu, blieb dicht vor ihr stehen. Hob seine Hände, streichelte liebevoll über ihre Wangen, zog sie mit der anderen Hand ganz vorsichtig zu sich heran, neigte den Kopf und küsste sie leidenschaftlich auf ihren Schmollmund.
„Wow! Das war perfekt! Genau so!“, erntete Kurt höchstes Lob.
Das war für Andrea zu viel! Wut brachte ihr Blut zum Wallen und erhitze ihr Gesicht. Verzweifelt stand sie vor der Tür. Was tun? Eine Szene veranstalten? Das war nicht ihre Art. Ihr schwindelte; die Luft wurde ihr zu dünn. Andrea floh aus dem Haus. Stolperte schimpfend die Einfahrt hinab. Stundenlang irrte sie im Park umher. Immer wieder zog das Bild des Kusses wie ein Film an ihrem geistigen Auge vorbei: „Das war perfekt!“
Na toll! Sie war noch nie so zärtlich von ihm geküsst worden. Genauso hätte sie ihn gerne gehabt: Einen geduldigen Zuhörer, der sie ab und zu in den Arm nahm. Jeder Frust wäre schnell vergessen und weggetröstet.
‚Wieso bekommt das eine andere? Was mache ich falsch? Dieser Bastard! Ich hasse ihn, das wird er mir büßen!’
Wut und Panik regierten Andreas Gedanken und veranlassten sie, einen teuflischen Plan zu schmieden.


Nun war es soweit! Das „Letzte Abendmahl“ stand bereit.
Den Frauenabend ließ Andrea diese Woche ausfallen. Sie wollte dem Schmollmund gehörig auf den Zahn fühlen. Zwei Tage lang hatte sie die „holde Blonde“ observiert. Eheberaterin war sie, die Gute. Ungläubig starrte Andrea auf das Schild. Gingen ihr die Klienten aus, musste sie Ehen zerstören, damit wieder welche zu kitten waren? Andrea hatte unter falschem Namen einen Termin vereinbart.

„Frau Neulinger, bitte!“ Andrea erhob sich und betrat das Sprechzimmer. Frau Doktor Zechmeister kam auf sie zu und reichte ihr die Hand.
„Grüß Gott! Wie kann ich Ihnen helfen?“ Da war sie wieder, diese süßliche Stimme. Andrea rang sich angeekelt ein Lächeln ab.
„Indem Sie meinen Mann in Ruhe lassen!“
„Wie bitte?“
„Sie haben richtig gehört!“
„Wer ist Ihr Mann?“
„Wie viele Liebhaber haben Sie denn?“
„Keinen! Ich bin glücklich verheiratet! Worauf wollen Sie hinaus?“
Höhnisch blickte sie die Beraterin an. „Kurt! Sagt Ihnen der Name etwas?“
„Kurt Neulinger? Kenne ich nicht.“
„Wie wäre es mit einem Kurt Wellinger?“
„Ja, den kenne ich: ein Klient.“
„So nennt man das heutzutage? Klingt interessant. Sie machen Hausbesuche?“
Die Gefühle gingen mit Andrea durch, sie ging auf die ehebrecherische Eheberaterin zu und brüllte sie an: „Geben Sie es endlich zu!“, brüllte sie. Andreas Gesicht bekam Flecken, der Hals war purpurn rot, so sehr brachte sie diese falsche Schlange aus der Fassung. Es fehlte nicht viel, und Andrea hätte sie erwürgt. Schwer mit sich ringend, stieß sie lediglich mit ihrem Zeigefinger auf das Brustbein der Rivalin und forderte: „Nun rücken Sie endlich raus mit der Wahrheit! Was soll dieser Hausbesuch! Bei meinem Mann?“
„Er war so verzweifelt, vollkommen unglücklich in seiner Ehe …“
„Klar, da mussten Sie sofort zu ihm fahren und ihm helfen.“
„Wenn Sie mich freundlicherweise zu Ende sprechen lassen würden, könnte ich Ihnen erklären, worum es geht.“
„Ewiges Erklären bringt uns hier nicht weiter! Sie haben meinen Kurt in meinem Wohnzimmer geküsst!“
„Er hat mich geküsst. Stimmt!“ Nun lachte die Beraterin.
Andrea kniff die Augen zusammen.
„Frau Wellinger! Nun hören Sie mir einen Moment zu!“
„Ich bin ständig die Zuhörerin! Wer hört endlich mir einmal zu? Verdammt!“
Der Schmollmund erhob sich und legte beruhigend die Hand auf Andreas Schulter: „Ich kenne Ihr Problem. Eben deshalb war Kurt bei mir. Ich sollte ihm helfen und Ratschläge geben.“
„Sie wollen mir jetzt nicht weismachen, dass mein Mann Ihre Hilfe suchte, weil er nicht zuhören kann?“
„Wohl kaum, welcher Mann würde von sich aus zugeben, dass er nicht zuhören kann?“
Wäre die Wut in ihr nicht so groß gewesen, hätte Andrea bei dieser Äußerung gelacht. Frau Zechmeister hingegen genierte sich nicht und lächelte breit. Unbeirrt fuhr sie fort: „Der Kuss gehörte ebenso dazu.“
„Ja bestimmt, küssen lernt man neuerdings bei der Eheberaterin.“ Andreas Augen funkelten zornig.
„Zu lernen brauchte er es nicht, dennoch ist Kuss nicht gleich Kuss. Mit dem alltäglichen: hab dich lieb Schatz – Schmatz, waren Sie sicherlich nicht zufrieden.“
„Darum haben Sie Kurt gezeigt, wie man zärtlich küsst!“
„Seien Sie ehrlich, wann hat er Sie das letzte Mal so in den Arm genommen?“

Bei diesen Worten verlor Andrea die Beherrschung und brach in Tränen aus.

„Schon gut. Frau Wellinger, beruhigen Sie sich. Gehen Sie zu Ihrem Mann nach Hause und überzeugen Sie sich selbst. Bestimmt erwartet er Sie bereits mit Theaterkarten oder einem selbst gekochten Essen!“
„Um Gottes Willen!“ Andrea zuckte zusammen und brach grußlos auf.

Die Wohnung war still, Andreas Herz raste, sie stürmte in die Küche und atmete auf, als sie das Essen unangetastet in der Mikrowelle stehen sah. Doch was war das? Der Tisch war festlich gedeckt und es roch nach Fisch.
In dem Augenblick kam Kurt zur Tür herein.

„Hallo, mein Schatz! Es tut mir leid, dass du umsonst gekocht hast.“
„Wie?“ Völlig benebelt blickt sie ihren Mann an.
„Ich möchte dich überraschen.“ Er nahm sie in den Arm und küsste sie ebenso romantisch wie den Schmollmund letzte Woche. „Was ist los mit dir? Du siehst so bedrückt aus.“
Andreas Knie wurden weich. Sie kuschelte sich an seinen Hals und nuschelte etwas wie: „Was bin ich doch für eine Närrin!“

„Mir tut es leid. Ich war ein Hornochse. Kannst du mir verzeihen? Ich …“ Er stockte kurz, sah Andrea an und erzählte ihr von den Treffen mit Frau Zechmeister. „Sie hat mir auf die Sprünge geholfen. Ich werde mein Bestes versuchen. Ihr Frauen seid wirklich nicht leicht zu verstehen.“ Kurt zog Andrea lachend an sich. „Ich habe für dich gekocht. Zander in Weißweinsauce! Komm setzt dich und lass dich verwöhnen!“

Andrea wusste nicht, wie ihr geschah. Einerseits war sie erleichtert, andererseits total überrumpelt und verwirrt. So schnell ändert sich kein Mensch. Sie versuchte, die Gedanken abzustellen, nur für einen Moment. Warum nicht einfach diese nette Art genießen, wer weiß, was morgen kommt.
Sie setzte sich und ließ sich bedienen. Der Fisch sah ebenso köstlich aus, wie er duftete. Dazu gab es ein Glas Chardonnay. Kurt prostete ihr zu: „Auf uns, Schatz! In Zukunft bin ich aufmerksamer. Versprochen!“
Andrea hob das Glas und trank. Just in diesem Moment läutete das Telefon. Sie fluchte innerlich.

„Ich geh dran. Iss du schon mal. Wer immer das auch ist, ich wimmle ihn ab“, rief Kurt und verließ den Raum. Andrea wandte sich dem Zander zu. Er schmeckte fantastisch. Der Teller war bereits halb leer, als Kurt zurückkam und sie sich ans Herz fasste. Sie rang nach Luft. Mit Angst und Schmerzerfülltem Blick, sah sie ihn an. „Ich … es …“, stammelte Andrea und fiel mit dem Kopf voran in den Teller.
Kurt fühlte den Puls. Nichts! Kalt lächelnd räumte er den Tisch ab und wärmte seinen Eintopf in der Mikrowelle. In Gedanken schon bei Sandra Zechmeister …

Letzte Aktualisierung: 29.12.2006 - 07.18 Uhr
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