Der Tod aus der Teekiste
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Januar 2007
Zuckerkuss und Sahnetaube
von Sabine Poethke

Sally nahm den nächsten Koffer und hievte ihn auf den Tisch. Der noch, dann wäre alles verstaut. Morgen Nachmittag um diese Zeit würden sie im Flieger sitzen.
Drei Wochen Mauritius.
Traumhafte Strände, Palmen, die kleinen Hütten der Fischerdörfer, das tropische Klima und vieles mehr warteten auf sie.
„Sally, Liebling, magst du einen Kaffee und dazu etwas Süßes?“, riss Thorsten sie aus ihren Gedanken. Sie sah zur Tür, genau in sein strahlendes Gesicht, nickte ihm lächelnd zu und legte weiter ordentlich gefaltete Kleidungsstücke in den Koffer.
Aus der Küche hörte sie ihn mit Geschirr klappern und wenig später trug Thorsten ein Tablett ins Wohnzimmer.
„Na, mein Edelstein, bist du nervös?“ Liebevoll schob er ihr eine Praline in den Mund. Während sie darauf herumkaute, nuschelte sie fast unverständlich [k]büsschn[k]. Noch bevor sie den Mund richtig leer hatte, wanderte die nächste Praline hinein.
Sally schmatzte leicht und Thorsten streichelte zärtlich über ihre Wange.
„Vergiss bloß nicht, die Pässe einzupacken. Für solche Späße war die Reise zu teuer.“ Er lachte. „Wäre wirklich schade, wenn drei Plätze im Flugzeug leer blieben. Hast du das Taxi zum Flughafen bestellt?“ Er goss sich Kaffee nach.
„Alles erledigt. Wir werden uns nach der Trauung sehr schnell von unseren Gästen verabschieden müssen.“ Sally wurde flau in der Magengegend, kaum, dass sie das Wort `Trauung´ ausgesprochen hatte.
Thorsten schien das nicht zu bemerken, denn wieder wanderte eine Praline ungeniert aus seiner Hand in ihren Mund.
„Ach herrje!“ Thorsten blickte auf seine Armbanduhr, „Ich muss zum Bäcker, unsere Torte abholen. Ich bin echt gespannt, ob sie so aussieht wie auf dem Bild.“ Er schnappte sich das Tablett und verschwand damit Richtung Küche.
Wenig später fiel die Haustür ins Schloss und Sally war allein.
Das flaue Gefühl in ihrem Bauch meldete sich wieder. Panik vor dem Ja-Wort?
Sie erhob sich schwerfällig und schlurfte zum Schrank, um die Pässe zu holen. Bisher waren sie nie so weit zusammen verreist. Ja, sie fuhren zum Eisladen oben an der Burg oder in die Nachbarstadt zum Pferde-Fritz, aber weiter waren sie nicht gekommen. Allerdings war es dieses Mal etwas Besonderes: Ihre Hochzeitsreise. Sally wollte gerade die Pässe im Handgepäck verstauen, als ihr ein Foto entgegen fiel.
Mühevoll bückte sie sich, hob es hoch und starrte darauf, als ob sie einen Geist sehen würde.
DAS WAR ZUVIEL!
Einen Tag vor dem schönsten Tag ihres Lebens schossen ihr Sturzfluten aus den Augen. Wut und Frust mischten sich salzig auf ihren Wangen. Wuchtig ließ sie sich auf das Sofa plumpsen. Verdammt! Wie hatte so etwas nur geschehen können? Warum tat er ihr das an?
Ganz langsam bröckelte die Erkenntnis in ihre Fragen - wie Streusel vom Kuchen.
Sie würde mit ihm reden, gleich, wenn er aus der Konditorei zurück war. So konnte es nicht weitergehen!
Die junge Frau auf dem Foto zeigte eine breite Reihe weißer Zähne. Die fröhlich schauenden, blauen Augen standen mit dem Lachen des Mundes im Wettbewerb. Das ovale Gesicht war ebenmäßig geschnitten und die Haut so rein wie ein Gebirgsbach an der Quelle.
Verdammt!
Thorsten stand daneben, liebevoll, hielt sie im Arm und strich mit der Hand über ihr glänzendes Haar. Er selbst trug seines länger als jetzt. Locken, die widerspenstig um sein Gesicht fielen.
Sally hatte gern hineingegriffen und darin herumgewuschelt.
Verdammt!
Sie hörte ihn zurückkommen. Und Stimmen. Getrappel herein und hinaus. Thorsten sprach noch eine Weile an der Tür, dann klackte sie zu.
Sallys Tränen und die roten Augenränder waren wieder verschwunden, als er ins Wohnzimmer trat.
„Komm mit!“ Er nahm ihre Hand und zog Sally hinter sich her in die Küche. „Die ist wundervoll, nicht wahr?“ Wichtig und ehrfurchtsvoll zeigte er auf das Kunstwerk aus Sahne, Schokolade, Marzipan, Biskuit und feinsten Zuckerrosen.
Sie musste ihm Recht geben. Das war ein Meisterwerk. Sie betrachtete die fünfstöckige Torte auf der oben, als Krönung, ein Brautpaar - vermutlich war sogar das essbar - stand, umrahmt von lebensecht aussehenden Tauben aus Sahne.
„Wir werden morgen gar nichts davon haben. Eigentlich ist sie nur etwas für die Fotos und die Gäste.“
„Genau.“
„Wie bitte?“ Sally zog scharf die Luft ein.
„Genau! Das dachte ich auch. Und darum …“ Seine Stimme senkte sich und er tat geheimnisvoll. „Darum ist diese hier für uns!“ Thorsten öffnete die Speisekammer und gab den Blick auf ein weiteres Schmuckstück frei. Nur dreistöckig, aber mindestens so wundervoll wie die größere.
„Das ist nicht dein Ernst!“
„Doch!“ Er trat nah an sie heran und schob ihr den ersten Löffel Sahne in den Mund.
Das Bild fiel ihr ein. Sie wollte, musste doch mit ihm reden! Aber da schmeckte Sally die Sahne, cremig und süß. Und ihre Gedanken begannen sich zu verlieren.
Morgen, ja, morgen würde sie mit ihm reden.
Thorsten trug vorsichtig die Torte ins Schlafzimmer. Sally stampfte hinter ihm die Treppe hinauf.
Sie legte sich auf das Doppelbett, räkelte sich in ihrer Nacktheit frivol herum. Verschmierte Sahne auf ihren großen Brüsten. Gierig sah Thorsten auf sie herab, knipste ein Foto nach dem anderen. Zwischendurch schob er Sally schaufelweise Torte in ihren Mund.
Er verzierte ihre Speckrollen mit den kleinen Marzipanröschen, die vorher im Kreis auf der Torte gelegen hatten und setzte vorsichtig die Sahnetauben dazwischen.
Er schleckte die süße Masse von ihrem Bauch, von ihren Nippeln, aus ihrem Gesicht.
„Gib mir einen Zuckerkuss!“, stöhnte Thorsten und leckte schmatzend ihren Mund ab, saugte gierig an ihren sahneverschmierten, zuckerverkrusteten Lippen.
Dann ließ er wieder von ihr ab, murmelte „nicht genug“ und sie verspeiste artig - für ihn - die Brautfigur, die er ihr hingehalten hatte.

Die Augen strahlten blau, auf dem schulterlangen Haaren lag ein goldener Schimmer. Als die Frau von dem Bild, das heute aus dem Pass gefallen war, begann, sich im Tanze zu drehen, waren die Bewegungen geschmeidig. Leichtfüßig schwebte sie über die Blumenwiese.
Sally ahnte, dass sie träumte.
Sie konnte nichts hören, aber sie sah das fröhliche Lachen auf den Lippen.
Dunkle Wolken begannen die Sonne zu verdecken, nein, doch keine richtigen Wolken. Sondern Vögel. Tauben. Tausende Tauben flogen über sie hinweg. Keine gewöhnlichen Tiere, sondern riesengroße. Sie bedeckten den Himmel und näherten sich drohend der Tanzenden.
Kaum, dass Sally die Hand vor Augen erkennen konnte.
Ein Lichtkegel wie ein Theaterspot blitzte auf und leuchtete auf eine Stelle in der Dunkelheit. Dort, wo sich eben noch das zarte Wesen leichtfüßig im Kreise gedreht hatte, stand ein riesiger dunkler Klops. Hoch wie breit. Das Bild kam näher und näher. Sally erkannte das Fleischgesicht und begann zu schreien.
Die Tauben, alle aus leckerer, süßer Sahne, klatschten auf sie herab.

Sally schwitzte und wälzte sich unruhig im Bett herum.
„Nein!“
Ihr eigener spitzer Schrei ließ sie aufschrecken. Schwer atmend drehte sie sich um. Thorstens Bett war leer, die Bettdecke ordentlich gefaltet.
Sally schämte sich. Das ungute Gefühl, wie sie es nach solchen Nächten immer beschlich, ließ sich nicht einfach wegwischen.
Das Bild fiel ihr wieder ein und … der Traum, der sie erschreckte.
Nein, so durfte es nicht weitergehen! Was war nur aus ihr geworden? Sie fühlte sich wie der dritte Nachschlag, wenn sie ihn aufgezwungen bekam.
Das Klingeln der Türglocke riss sie aus ihren trüben Gedanken.

„Nicht mehr lange, Sally-Liebling, dann gehörst du für immer mir!“
Sally stand gedankenverloren neben Thorsten, der sie breit anlächelte. Schon wandte er sich einigen Gästen zu. Eigentlich hatte sie mit ihm reden wollen. Nun gut, es konnte sicher auch bis hinterher warten.
Vor ihnen gaben sich zwei andere verliebte Menschen das Ja-Wort. Gleich würden sie herauskommen. Ein ungutes Gefühl beschlich Sally. Wieso konnte sie sich nicht wie eine strahlende Braut freuen?
„Alles in Ordnung? Bist du glücklich? Du siehst irgendwie …“
„… Fett aus?“
Kirsten zog die Augenbrauen hoch, räusperte sich und vollendete den Satz. „ … unglücklich aus.“
Seit Sally mit Thorsten zusammen war, hatte der Kontakt zwischen den Freundinnen gelitten. Sally schaute Kirsten traurig an. Dann sah sie zu Boden. „Du hast mich kaum wieder erkannt, nicht wahr? Noch vor drei Jahren war ich genauso schlank wie du.“
„Liebst du ihn?“, flüsterte Kirsten ihr ins Ohr.
„Thorsten ist ganz lieb zu mir. Wer nimmt mich denn auch sonst noch! Hab ich denn eine Wahl?“
„Man hat immer eine Wahl!“ Mit einem Nicken unterstrich Kirsten ihre Worte. „Da, schau nur!“ Sie zeigte zur Tür des Standesamtes.
Eine wunderschöne Braut und ein frischgebackener Ehemann stiegen lachend die Stufen herunter. Die Leute klatschten, kleine Kinder streuten Blumen. Ein paar Omis warfen mit Reis.
Auf dem untersten Treppenabsatz blieben die beiden Frischvermählten stehen. Er umfasste ihre Taille, hob seine zarte junge Frau hoch und wirbelte sie im Kreis herum. Das Kleid wehte fröhlich im Wind und ihr Schleier wickelte sich um den Mann, als spänne seine Frau ihn damit ein. Dann küssten sie sich und die Hochzeitsgesellschaft klatschte wieder begeistert Beifall.
Ein kleines Mädchen lief an Sally vorbei. „Dich kann dein Mann aber nicht hochheben, du bist zu dick.“ Schon rannte die Kleine unbeschwert weiter, schwenkte keck ihr Blumenkörbchen.
Sally sah ihr wie versteinert nach. Ihr wurde die Luft knapp, so stockte ihr der Atem.
Hoch am Himmel schob sich eine große Wolke vor die Sonne.
Der Traum! Das Bild! Das SIE zeigte. Schlank und hübsch.
‚Thorsten, was hast du bloß aus mir gemacht? Was habe ich nur mit mir machen lassen?’ Sallys Gesicht sah entschlossen aus.
„Du wirst meine beiden Plätze im Flieger neu belegen müssen, Thorsten. Hier.“ Sie drückte dem verwirrten Thorsten den Brautstrauß in die Hand, zwinkerte der erstaunten Kirsten zu, drehte sich in eine andere Richtung und zog sich beim Weggehen den Schleier vom Kopf.


© Sabine Poethke

Letzte Aktualisierung: 21.01.2007 - 19.44 Uhr
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