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Februar 2007
RÃœCKSPIEGELUNG
von Heinz-Helmut Hadwiger


Mit 28 Jahren hatte Till sein Medizinstudium erfolgreich abgeschlossen. Endlich hatte er auch ein Mädchen kennen gelernt, von dem er sich vorstellen konnte, sie würde ihm über seinen noch immer nicht ganz verkrafteten Verlust hinweghelfen.
Nun musste er sich darüber klar werden, welche Fachrichtung er weiter verfolgen sollte. Ursprünglich hatte er Dermatologe werden wollen. Das kleine Krankenhaus seiner Heimatstadt Gmunden verfügte jedoch über eine solche Spezialabteilung nicht.
Sollte er sich daher in der Landeshauptstadt Linz als Turnusarzt bewerben? Oder sollte er versuchen, in einem Spital in der Bundeshauptstadt unterzukommen. Schließlich hatte er in Wien studiert und seine Wohnung dort noch nicht aufgegeben, und Gabi, seine Freundin, hatte dort noch ihr Betriebswirtschaftsstudium abzuschließen.
Seine Mutter, die nach dem Tod seines Vaters allein im Haus am See lebte und noch für ihren Unterhalt arbeitete, würde er dann freilich auch nicht öfter sehen.
So war er hin und her gerissen und suchte nach einer Entscheidungshilfe. Da riet ihm seine Mutter, die Astrologin Mechthild am Ostufer des Sees, aufzusuchen. Anfangs überlegte er, ob er Gabi zu ihr mitnehmen sollte. Da er aber die Möglichkeit ins Auge fasste, Mechthild nicht nur zu seiner Berufswahl, sondern auch über die Entwicklungsfähigkeit seiner Beziehung zu Gabi zu befragen, ließ er sich nur Gabis genaue Geburtsstunde geben.
Till war einigermaßen überrascht, als er bei Mechthild eintraf. Da erwartete ihn nicht die kühle Atmosphäre einer Astrologin in einem wissenschaftlich wirkenden, nüchternen Rahmen, am Computer. Eine esoterische Szene mit unzähligen flackernden Kerzen, mit exotischen Düften und verschleierten Buddha- oder Schiwabildern – so genau kannte sich Till dabei nicht aus – tat sich ihm auf.
Mechthild begrüßte ihn in ihrem gewickelten, auch den Kopf umhüllenden Sari. Mit einem Male sah sich Till in eine Felsenhöhle in Indien versetzt.
Die Astrologin bat ihn, an einem in dem niedrigen Raum in der Mitte stehenden, runden Tisch ihr gegenüber Platz zu nehmen. Till nannte sein und Gabis Geburtsdatum und fragte frei heraus, wie es mit seiner Berufs- und Partnerwahl weitergehen könnte.
Während Mechthild eine Linie nach der anderen auf ein vorbereitetes Blatt Papier auftrug – für Till handelte es sich um die „Konstellation seiner Sterne“ (oder wie immer das hieß!) –, wurde er der prächtig funkelnden Kristallkugel mitten auf dem Tisch gewahr, von der er nicht wusste, ob Mechthild daraus oder aus ihren astrologischen Berechnungen ihre Vorhersage bezog.
Gebannt starrte Till auf die ihm zugewandte Seite des glitzernden Rundes. Da kam es ihm vor, als erstrecke sich ein honiggelber Fleck über die Oberfläche, der langsam in die Kugel tiefer eindrang und in der Mitte die Form eines braunen Knopfes anzunehmen schien, der sich letztlich als die Spitze der Schnauze eines Teddybären herausstellte, seines Teddys, den er als Kind so geliebt hatte.
Die Bemerkungen der Astrologin traten für Till immer mehr in den Hintergrund, bis sie zu einem eintönigen Sing-Sang verschmolzen, während der Teddy in der Kristallkugel Leben eingehaucht bekam und sich aus seinem gläsernen Gefängnis herauszubewegen begann.
*****
Da war sie wieder, Tills unbeschwerte Kindheit. Damals lebte er mit seinen Eltern und seiner Schwester Eva in einem herrschaftlichen Haus im Zentrum der Stadt, in dem seine Mutter ein Restaurant gepachtet hatte. Nur an Sonn- und Feiertagen fuhren sie in das Häuschen am See mit Blick auf Schloss Orth. Während der Woche wurden sie von dem Kindermädchen und der Hausgehilfin Franziska Dolezal betreut, die mit ihrer Tochter Susi ein Zimmer in ihrem Haus bewohnte.
Susi war so alt wie Eva, Till ein Jahr älter. Von Klein auf steckten die drei zusammen, spielten miteinander und heckten die tollsten Streiche aus.
Dabei gelang es ihnen immer wieder, sich der strengen Aufsicht Franzis – wie sie Susis Mutter riefen – zu entziehen, sei es, dass sie sich anboten, Einkäufe, auch für die Gastwirtschaft, zu tätigen, sei es, dass sie mit den Hunden ausgingen und dabei selbst ins Streunen verfielen.
Till sah plötzlich wieder die Frau des Gemeindearztes außer sich ins Restaurant seiner Mutter stürzen:
“Sind das Ihre Kinder, da draußen? Schauen Sie sich doch an, was die treiben! Damit haben Sie gewiss keine Freude!“
Die beiden Frauen waren überfallsartig am Tatort erschienen, so dass Eva, Susi und Till keine Zeit mehr fanden, die Mütze, die Gmundner Keramikschale und die Büchse, mit der sie Geld erbettelt hatten, verschwinden zu lassen.
„Ja, seid ihr denn ganz von Gott verlassen? Nur um möglichst arm und hilfsbedürftig auszusehen, habt ihr euere Kleider beschmutzt und zum Teil sogar zerrissen! Dafür dürft ihr eine Woche lang nicht miteinander spielen!“
Eine schlimmere Strafe konnte es nicht geben.
Unvergesslich war Till auch Susis Idee:
„Wir sammeln Reisig und Abfallholz im Wald und zünden es im Gasthauskeller in den alten Bottichen an, die früher für Sauerkraut verwendet wurden!“
Daran, dass wegen der ungeheueren Rauchentwicklung sogar die Feuerwehr ausrücken müsste, hatte keiner gedacht.
*****
Diese Streiche fielen Till ein, als er wie gebannt in die Kristallkugel starrte. Aber auf einmal trübte sich das Leuchten in der Kugel und Till spürte, wie sich ihm das Herz zusammenzog.
*****
Eben noch hatte er sich mit Eva und Susi am Kieselstrand vor dem Häuschen am Traunsee herumtollen gesehen, wo ihnen der Vater Sand aufgeschüttet hatte, damit sie Burgen bauen und Kuchen backen konnten, als ihm das Bild von Susis sechstem Geburtstag vor Augen erschien:
Susi blies gerade die Kerzen auf ihrer Torte aus.
„Großartig! Alle auf einmal! Da darfst du dir etwas wünschen!“
„Ich möchte, dass die Zeit des Spielens mit Eva und Till nie ein Ende hat.“
Die Eltern und Franziska, die dabeistanden, zeigten mit einem Mal Tränen, die Till erst verstand, als ihm seine Mutter eröffnete:
„ Susi hat Leukämie. Das ist eine tödliche Krebserkrankung, bei der die Rückenmarkszellen schwinden. Sie wird nicht mehr lange mit euch spielen.“
Wie verzweifelt war Till damals! Das konnte doch nicht wahr sein! Es müsste doch eine ärztliche Behandlung dagegen geben!
Er zog seine Schwester ins Vertrauen, und beide berieten, ob und wie man Susi helfen könnte, ohne dass sie irgendeinen Weg fanden. Sie begegneten Susi noch liebevoller, vermieden jedoch, ihren Verdacht zu erwecken.
Zwei Monate später starb Susi. Eines Morgens war sie nicht mehr zum Spielen gekommen.
Till, der sie über alles geliebt hatte, gab ihr das Zweitliebste, das er besaß, ins Grab mit: seinen Teddy.
Viele Jahre lang konnte Till diesen Verlust nicht verwinden. Er hatte sich auch seither, weil er meinte, keine wahrhaftigere Freundin als Susi zu finden, bis zu seinem Medizinstudium mit keinem Mädchen näher angefreundet.
Seine Eltern hatten schon befürchtet, er sei – wie man es damals zu umschreiben pflegte – „vom anderen Ufer“ (nicht des Traunsees, sondern homosexuell). Andererseits waren sie darüber erfreut, dass er sich ohne Ablenkung seinem Studium widmete.
Bis Till Gabi mitbrachte, die seine Mutter irgendwie an Susi erinnerte …
*****
Da wurde Till durch die erhobene Stimme der Astrologin aus seinen Erinnerungen gerissen:
Er habe als Stier heuer ein gutes Jahr, auch harmoniere sein Sternzeichen mit dem Erdzeichen Gabis, die Jungfrau ist (doppelte, dachte Till, aber nicht mehr lange …)
Auch das ihm günstige chinesischen Jahr des Schweines verspreche das Gelingen seiner Pläne, er müsse nur den Mut aufbringen, sich in Wien um eine Turnusarztstelle zu bewerben.
Nachdem Till Mechthilds Honorar beglichen hatte, ging – nein, wankte er wie benommen aus der esoterischen Höhle hinaus an die Sonne am Ostufer des Traunsees. Geblendet zerstob ihm das Funkeln der Kristallkugel. Ein letztes Mal schien sich sein Teddy an ihn zu wenden.
Till hatte nie bereut, ihn Susi mitgegeben zu haben.
Langsam fand Till in die Wirklichkeit zurück. Schritt für Schritt nahm seine Sicherheit zu.
Er fragte sich, ob er – hätte er es ändern können – gewollt hätte, dass alles anders verlaufen wäre? Gewiss, er hätte gewünscht, dass Susi ihre Krankheit besiegt und überlebt. Aber dieses Wunder war nicht geschehen. Von dieser Unabänderlichkeit musste er bei seiner Rückspiegelung ausgehen:
Er hatte Susis Tod nicht verhindern können. Warum sollte er seine Begegnung mit ihr, die Aufarbeit seiner Trauer ihretwegen umgestalten wollen? Diese Erfahrungen waren wohl für seinen Lebensweg wesentlich. Warum ihnen ausweichen?
All die Jahre hindurch, vor allem an Susis Geburtstag, hatte sich Till seine kleine Freundin in Erinnerung gerufen. Allein der Gedanke, was Susi nicht noch alles erleben hätte können, löste in Till Traurigkeit aus. Trost lag nur in der Betrachtung, Susi hatte sich damit zugleich auch Unangenehmes erspart.
Till wollte dies für sich und für sein Verständnis der Welt nicht missen.
Von dieser Überzeugung getragen, ging für ihn Susi allmählich in Gabi über.
Als Till das Haus seiner Mutter erreichte und hinüber auf Schloss Orth blickte, wusste er, dass er als Fachrichtung Onkologie wählen würde.

(© Heinz-Helmut Hadwiger)

Letzte Aktualisierung: 23.02.2007 - 11.56 Uhr
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