Honigfalter
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März 2007
Zum Dessert
von Silvia Both

Die Stimme dröhnte in Jennys Ohren. Sie tastete nach dem LautstĂ€rkeregler an ihrem Kopfhörer und stellte ihn leiser. “ ... begrĂŒĂŸe Sie im Namen meiner Regierung.” Sie lĂ€chelte professionell, wie es von ihr erwartet wurde. Die WinkgebĂ€rde des bovistischen Botschafters erinnerte sie an die Schattenspiele ihrer Kindheit, an den Hasen zum Beispiel. Im Laufe ihrer Karriere als ChefsekretĂ€rin des Ersten Botschafters der Vereinigten Erdregierungen hatte sie schon schlimmere BegrĂŒĂŸungsrituale ĂŒber sich ergehen lassen mĂŒssen. Mit Schaudern dachte sie an die Schlammschlacht mit den Karpfianern zurĂŒck, deren FlossenschĂŒtteln kein Ende nehmen wollte. Hinterher hatte sich herausgestellt, dass es sich bei den vermeintlichen “HĂ€nden” um ihre Genitalien gehandelt hatte. Wochen spĂ€ter waren Kisten voller Fischeier mit einem herzlichen Dank “fĂŒr die unterhaltsame und fruchtbare BegrĂŒĂŸungsorgie” eingetroffen. Sie hatten den Inhalt der Kisten nachts heimlich im Regierungspark vergraben.
WĂ€hrend ihr Chef Michael freundliche Worte mit seinem Kollegen wechselte, musterte sie ihr außerirdisches GegenĂŒber. Selbst fĂŒr ihre anspruchsvollen MaßstĂ€be hĂ€tte der bovistische Botschafter attraktiv gewirkt, wenn nicht ein drittes Auge auf der Stirn und mehrere farblose Tentakel, die sich ĂŒber seinem Kopf in unentwegt fließender Bewegung befanden, den Gesamteindruck etwas störten. Soweit sie sehen konnte, war er Zweibeiner, besaß eine helle, fast weiße Haut (keine Schuppen!), und auch nur zwei Arme. An den HĂ€nden, die er beim Reden lebhaft durch die Luft schwenkte, zĂ€hlte sie eins, zwei, drei ... sechs Finger. Seine beiden Begleiter waren jĂŒnger als er. Sie hielten sich wie sie im Hintergrund. Ob es auf dem Planeten Bovist auch Frauen und Kinder gab? Sie hatte keine gesehen, weder auf der kurzen Fahrt vom Weltraumflughafen zum RegierungsgebĂ€ude, noch im GebĂ€ude selbst.
“So, und jetzt möchte ich Sie und Ihre bezaubernde Assistentin zum Essen einladen, um unsere neuen planetarischen Beziehungen bei einem geselligen Beisammensein zu vertiefen. Ich möchte Sie mit einigen unserer landestypischen Speisen vertraut machen.”
Michael und Jenny bedankten sich und folgten ihrem Gastgeber durch einen langen Flur in einen geschmackvoll eingerichteten kleinen Saal, in dessen Mitte ein niedriger Tisch fĂŒr sie gedeckt worden war. Sie nahmen auf den bequemen Sitzkissen Platz und Jenny war erleichtert, dass sie sich fĂŒr den Wickelrock mit Folkloremotiven und gegen das körperbetonte KostĂŒm entschieden hatte. Botschafter Malvor und seine Angestellten (oder waren es seine Söhne?) trugen ebenfalls lange GewĂ€nder aus einem schimmernden Stoff. Michael rutschte auf seinem Kissen hin und her, öffnete sein Jackett und verstellte unauffĂ€llig seinen GĂŒrtel.
Sie saßen zu fĂŒnft um den runden Tisch. Malvor klatschte in die HĂ€nde. Sofort öffneten sich die hohen TĂŒren. Mehrere Diener erschienen mit zugedeckten SchĂŒsseln, die sie schweigend abstellten. Sie machten einem Mann Platz, der aus einer Karaffe eine blaue FlĂŒssigkeit in die hohen GlĂ€ser einschenkte. Der Botschafter dankte mit einem Kopfnicken, dann erhob er sein Glas und sagte:
“Ich wĂŒnsche unseren Planeten Bovist und Erde eine gute und friedliche Zeit miteinander. Zum Wohl!”
Hatte er ihr zugezwinkert?
“Zum Wohl!”
Auf Bovistisch hatte der Trinkspruch wie “Arphxquorqactl” geklungen. Ohne den automatischen Übersetzer wĂ€ren sie völlig hilflos. Jenny setzte das GetrĂ€nk an ihre Lippen, bemĂŒht, es wie die anderen in einem Zug auszutrinken. UuuuĂ€h. Ekelhaft! Es schmeckte wie eine Mischung aus kaltem Kaffee und Katzenpipi und brannte fĂŒrchterlich in ihrer Kehle. Mindestens sechzig Prozent Alkoholgehalt, wenn nicht mehr. Mit trĂ€nenden Augen sah sie zu ihrem Chef hinĂŒber, der sie ĂŒber sein Glas hinweg beschwörend anstarrte. Er schluckte das Zeug mit eiserner Disziplin. Jaja, der ach so wichtige Erstkontakt. Niemanden verĂ€rgern, niemanden vor den Kopf stoßen, diplomatische Beziehungen aufnehmen. Sie gab sich einen Ruck und lĂ€chelte Malvor an, der gerade eine Begebenheit aus der Vergangenheit seines Volkes schilderte. Wenn die Tentakel nicht wĂ€ren sowie das dritte Auge, das sie durchdringend anstarrte, wĂ€hrend sein rechtes Auge auf Michael und das linke auf einen seiner Untergebenen (Söhne?) gerichtet war, wer weiß ...
Ein Diener lĂŒftete den Deckel einer SchĂŒssel. Aus einer goldenen Schöpfkelle klatschte eine Ladung Nacktschnecken auf Jennys Teller, jedenfalls sah das Essen genau danach aus. Herunter damit. MĂŒhsam schluckte und schluckte sie, als sie die Bewegung spĂŒrte. Verdammt, es lebte noch. Dankend wehrte sie einen weiteren Schöpflöffel ab. Leider konnte sie nicht verhindern, dass ihr Glas wieder gefĂŒllt wurde. Sie versuchte dem GesprĂ€ch zwischen den Botschaftern zu folgen.
“Wir waren ein Volk von Kriegern, wild und gewalttĂ€tig. Viele Jahrhunderte begnĂŒgten wir uns mit der Jagd auf wilde Tiere, bevor wir den Ackerbau entdeckten und kultivierten.”
Michael sagte, diese Entwicklung wĂ€re bei den Menschen Ă€hnlich verlaufen. “Die Jagd ist bei uns nur noch ein Hobby. Wir kaufen unser Fleisch in GeschĂ€ften. Die Tiere werden zu diesem Zweck gezĂŒchtet.”
Malvor fand diesen Gedanken interessant.
“Bei uns wird Fleisch auch nur aus rituellen oder sexuellen GrĂŒnden verzehrt.”
Jenny verschluckte sich an ihrem “Katzendrink”. Hatte sie richtig verstanden oder hatte der Übersetzer falsch ĂŒbersetzt?
Der nĂ€chste Gang. Die Fladen wirkten wie trockene Pfannkuchen. Misstrauisch sah sie zu Michael hinĂŒber. “Greif zu”, schien sein Blick zu sagen. Toll, wie sie sich ohne Worte verstanden, das liebte sie an ihrem Chef. Beherzt biss sie zu. Der Pfannkuchen schmeckte nach nichts.
“Schmeckt es Ihnen?”, fragte ihr Gastgeber. Als er ihr zuprostete erglĂŒhten seine Tentakel. Sein drittes Auge schien sie abzutasten.
“Ich hoffe, die “Hrshsyzxfcs” sind gut durchgebraten. Dreißig Tage sind das Minimum. Am besten gelingen sie, wenn sie im Trockenofen zubereitet werden.”
Sie bemĂŒhte sich, begeistert zu nicken und gleichzeitig den aufquellenden Bissen hinunterzuschlucken. Er blieb in der Speiseröhre stecken. Verzweifelt griff sie nach ihrem Glas, das ein aufmerksamer Diener erneut gefĂŒllt hatte. Mithilfe des widerlichen GetrĂ€nks zwang sie den zĂ€hen Speisebrei hinunter.
Der Schnaps legte eine feurige Spur bis tief in ihren Magen.
Malvor nickte anerkennend, als ein Diener ihr Glas zum vierten Mal fĂŒllte.
Michael beobachtete sie besorgt.
“Gan Bei, Auf Ex, Nastrowje!” rief sie ĂŒbermĂŒtig und schĂŒttete den Drink in sich hinein.
Die Bovistlinge lachten.
“Jenny, wenn du dich nicht gut fĂŒhlst ...”, begann Michael. Jenny unterbrach ihn.
“Nicht gut, wieso? Mir geht es doch prima! Es ist so lustig hier auf diesem Pilz, Ă€h Planeten Bovist!”
“Was ist ein Pilz?” fragte Malvor.
Michael erklÀrte es ihm.
Der bovistische Botschafter zeigte sich an einer Lieferung interessiert.
Er trank sein Glas leer und rĂŒlpste laut.
Anscheinend war das Festessen nun beendet, denn ihre Gastgeber standen auf. Sie verabschiedeten sich mit tiefen Verbeugungen und begleiteten sie zum Ausgang. Als Michael durch die TĂŒr gegangen war, hielt Malvor Jenny am Arm zurĂŒck. “Einen Augenblick noch, verehrte Jennifer. Ich möchte Ihnen etwas zeigen.”
Sie blickte hilflos ihrem Chef hinterher, der von den beiden jĂŒngeren Bovisten hinauskomplimentiert wurde und so ins GesprĂ€ch vertieft schien, dass er ihre Abwesenheit gar nicht bemerkte.
“Was denn?” fragte sie nervös. Ihr Magen rebellierte.
Malvor zerrte sie am Arm in ein anderes Zimmer. Darin stand ein Tisch. Oder war es ein Bett? Er drĂŒckte sie darauf und hielt sie so fest, dass sie sich nicht bewegen konnte. Seine tiefroten Tentakel zitterten. Sechs Finger auf ihrem Mund erstickten ihren Hilferuf.
“Sie wirken so appetitlich, Jennifer, dass ich gar nicht beschreiben kann, wie ich mich nach ihnen verzehre. WĂ€hrend des Prunkessens, das die wohlschmeckendsten Speisen meines Planeten feilbot, war mein Auge immerfort auf Sie gerichtet. Beim Anblick Ihres köstlichen Arrangements lief mir den ganzen Abend das Wasser im Mund zusammen. Ihnen wird nun die Ehre zuteil, meine neunundzwanzigste Frau zu werden!”
Drei gierige Augen starrten sie an. Sein Mund nÀherte sich ihrem Gesicht. Er öffnete ihn weit, um seine scharfen HaifischzÀhne in ihren Hals zu schlagen.
Mit einem schrillen Schrei schrak sie hoch.
Die Musik aus dem Radio dröhnte in ihren Ohren. Sie tastete nach dem LautstĂ€rkeregler und stellte ihn leiser. 6.25 Uhr, Zeit zum Aufstehen. Da erst begriff sie. “Es war ein Traum. Es war nur ein Traum!”, tanzte sie durch das Zimmer.
“WasÂŽn los?”, tönte Michaels verschlafene Stimme aus dem Bett. Sie pfefferte ihr Kissen auf ihn. Na klar, sie hatten doch gestern Pilze gesucht.
“Beim nĂ€chsten Mal lĂ€sst du mich nicht mit dreiĂ€ugigen Bovisten allein, du Feigling!”

© Silvia Both

Letzte Aktualisierung: 11.03.2007 - 09.50 Uhr
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