Mainhattan Moments
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März 2007
Bitte zu Tisch
von Anna Maria Sauseng

„Wumm! Wir sind eingeladen!“ rufe ich meinen Mann zu.
Ich stecke den Brief in die Postablage. Gleichzeitig wühlen meine Gedanken in meinem Garderobenschrank nach etwas Brauchbaren.
Die lange schwarze Hose mit dem weinroten Kasak und Jacke, nun ja, das dürfte passen. Die schwarzen Lackschuhe sind etwas knapp. Der Weg ist nur kurz dorthin, vom Auto etwa fünf Minuten.
Männer sind immer passend angezogen, dunkler Anzug, helles Hemd und dem Fest entsprechende Krawatte.
Alles klar, ich freue mich schon auf dem Abend.
Die Party ist um fünf Uhr.
Dieses leuchtende Prachthaus, in pastellgelben Farben, mit den spiegelnden, hohen Fenstern, grüngestrichenen Balken, drei Stockwerke hoch. Der großflächige Vorgarten, einladend die gepflegten Beete, die blühenden Rosen und der safte Rasen.
Fünf breite Marmorstufen führen zum Eingang, das hohe, braune Tor lädt uns zum Eintreten ein.
Ich schmiege mich fester an meinen Mann, ich suche Schutz vor so viel Eleganz.
Wir werden in einen Salon geführt wo schon einige uns bekannte Gäste sich, mit dem Empfangstrunk in der Hand, unterhalten. Dort gesellen wir uns dazu, wir werden von ihnen kaum beachtet. Ein Fremdland für mich.
Immer mehr große Persönlichkeiten füllen den Raum.
Ein Frauenarzt feiert seinen Einstieg in unsere Gemeinde. Ich bin noch nie an einen solchen festlichen Abend dabei gewesen.
Mich hätte man sicher nicht eingeladen, wenn ich nicht die Gattin eines Arztes wäre. denke ich.
Die Zeit ist zu kurz, um mit allen in ein Gespräch zu kommen, sie zu begrüßen.
Punkt viertel nach fünf wechseln wir in das groß Esszimmer. Dort erfolgen die Begrüßungen durch den Bürgermeister, den Bezirksärztevertreter und den Fachärztevorstand. Der neue Gynäkologe wird mit seiner hübsche Gattin im langen roten Kleid vorgestellt. Sie absolvierte dieselbe medizinische Ausbildung und wird mit dem Gatten in der gemeinsamen Praxis tätig sein.
Dr. Berger begrüßt und heißt uns in seiner Villa herzlich willkommen und wünscht allen einen angenehmen Abend.
Solche Tische mit Speisen und Getränke beladen, so etwas habe ich noch nie erlebt.
Mein Mann wird von seinen Kolleginnen und Kollegen angesprochen und für mich ist er bald nicht mehr zu sehen. Ich schlendere etwas verlassen von einem Tisch zum anderen, bestaune die aufgetürmten Köstlichkeiten, Wurst und Käseplatten, Fleischpasteten und gebratene Hühnerteile, Kaviar, Austern, Lachs, geräucherte Fische und Wildpasteten. Verschiedene Obstsorten, die Herrlichkeit von Weintrauben, Südfrüchte, Orangen, Bananen, Kiwi und von vielen weiß ich nicht einmal den Namen.
Die Gäste wandeln umher, Teller mit Leckerbissen vor sich, keine Hand frei zum Gruß, wohl nicken wir einander zu.
Ich habe noch keinen Teller genommen. Wieder gehe ich die Runde, versuche aufrecht zu gehen und meine Ratlosigkeit mit einem Lächeln zu über spielen. Endlich nehme ich eine Serviette vom Ständer, dann sehe ich das Geschirr mit Besteck. Das Wasser rinnt mir im Mund zusammen, jetzt erst merke ich, was für einen Hunger ich habe.
Einige Kostproben und dann bediene ich mich am Salatbüffet. Die Frau des Hauses kommt auf mich zu. Wir begrüßen uns. Ich nehme mir vom Salatteller, verkoste einige Happen, aber dann, da ist ein braunes längliches Etwas, eine Nudel etwa? Frau Berger legt sich auch Salate auf ihren Teller die sauren Gerichte munden ihr sehr. Sie hat sicher keine so komische braune Nudel dabei.
Ich betrachte genauer ihr Gesicht, da erkenne ich sie, wir waren zusammen in einem Krankenhaus, sie als Turnusärztin, ich als Krankenschwester.
Mein sonderbares Etwas wird größer und bewegt sich nun. Den Salat am Teller lasse ich vorerst liegen. Ich sage ihr, wir kennen uns doch.
„Ja? Sie, mir kommen auch bekannt vor.“
Die Nudel ringelt sich, wird länger, verdrängt die Salatblätter. Ich versuche das Geschirr irgendwo abzustellen, meine Hände zittern. Schweißperlen benetzen nun meine Stirn und ein Klumpen im Hals würgt mich.
Die Hausherrin fragt mich:
„Warum essen Sie nicht weiter? Ist etwas?“
„Es ist nichts, unser Wiedersehen freut mich.
Ich nehme ein Blatt vom Rande des Tellers und schaue dabei in die Ferne um meinen Mann zu finden.
Ein Hustenreiz quält mich. Der Wurm lugt empor, da wische ich mit einer Serviette die Tränen aus meinen Augen und schlucke gleichzeitig das Blatt vom Salat.
Wieder allein stelle ich meinen Teller auf einen Tisch, wo sich die Pasteten türmen und die gebratenen Hühner verlockend ihren Geruch verbreiten.
Keine Weintraube, keine Orange und keine Kiwi vermögen mich mehr zu locken.
Mein Mann ist endlich wieder zu sehen, er kommt auf mich zu, wir stoßen mit einem Glas Sekt an:
„Warum bist du so rot?“, fragt er.
„Hm, im Salat war etwas und jetzt habe ich genug!“
„Ein was?“
„Ja, ein Wurm und er hat sich bewegt.“
„Wo?“
„Im Salat! Und überhaupt, ich passe nicht hierher.“
„Das wirst du noch gewohnt werden.“ Sagt er.
Das Handy in der Tasche meines Mannes piepst. „Ja, ich komme!“
Ein Patient braucht den Arzt.
Wir verabschieden uns.
Endlich zu Hause. Meine Lackschuhe streife ich von den schmerzenden Füssen und falle auf das Bett.
Es war ein sehr netter Abend. Das Wiedersehen mit der Ärztin war eine Überraschung für mich.
Wie fein der Abend angefangen hat, aber dann habe ich mich kaum aufzutreten getraut vor dieser Noblesse. Vielleicht werde auch ich mich einmal wie eine Pfauin an solchen Abenden bewegen können, tröste ich mich.
Der Wurm hat es mir ja gezeigt, dass nichts ganz vollkommen ist auf dieser Welt.

Letzte Aktualisierung: 20.03.2007 - 20.19 Uhr
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