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März 2007
Hamlet und die Bohnen
von Daniel Schmidt


"Kommst du endlich?"

Wir wollen ins Theater. Vorabendvorstellung. Shakespeares Hamlet wird aufgeführt und die Zeit drängt, wenn wir vorher noch in Ruhe mit Schneiders ein Gläschen Sekt trinken wollen, wie wir es für gewöhnlich tun. Doch leider hat das Schicksal anderes mit mir vor und so sitze ich auf unserer Vollholzbrille, tatenlos zusehend, wie sich die Knicke in meiner Anzughose verfestigen. Ich habe Durchfall. Mein Magen krampft, als ob ich ganze Armeen von Krebsen verschluckt habe, denen nichts besseres einfällt, als ihre Scheren in meine Magenwand zu bohren.
Ich jammere nicht. Es ist, wenngleich anstrengend, überaus erlösend. Überwältigt von der Urgewalt meines Körpers überhöre ich die Rufe meiner Frau, bis diese energisch an der Tür klopft.
"Sag mal, wie lange brauchst du noch? Ich schlage schon fast Wurzeln!"
Aus ihrem Mund klingt dies wie Hohn, blockiert sie doch regelmäßig für Stunden das Bad.
"Was machst du da drin?"
Mein Körper kommt mir zuvor mit einer Antwort, die laut tönend jegliches Fragen verstummen lässt.
"Oh mein Gott! Ich hab noch gesagt: Nimm nicht die Bohnen! Oben im Medizinschrank ist Imodium akut, schluck das und dann komm endlich!"

Vorsichtshalber, im Wissen um Schneiders Liebe zu Hamlet, die ich ungern durch häufiges Verlassen meines Platzes stören möchte, nehme ich die ganze Packung. Fest daran glaubend, dass viel auch viel hilft, entspannt sich nicht nur mein Magen, auch der Rest meines Körpers findet zu seiner gewohnten würdevollen Haltung zurück.

Während der Taxifahrt ist bis auf ein leichtes Glucksen, das sicher im Fahrgeräusch untergeht, kaum noch etwas zu spüren. Ungewiss, ob es nun wirklich überstanden ist oder ob der Vulkan nur eine seismische Atempause vor der nächsten Eruption eingelegt hat, bezahle ich den Taxifahrer und lege mein Sonntagslächeln auf.

Schneiders warten im Foyer, sind jedoch höflich genug, uns die kleine Verspätung nicht vorzuwerfen, für die sich meine Frau bereits drei Mal entschuldigt hat.
Gute Laune vortäuschend nippe ich mit einem Anflug von Unwohlsein an meinem Sekt, bis ich ihn in einem unbeobachteten Moment einer vorbeieilenden Servierdame zurückgeben kann.

Unsere Plätze sind abgesehen davon, dass ich rechts und links mehrere Personen im Falle der wiederkehrenden substantiellen Flatulenz bedrängen müsste, hervorragend. Der Vorhang hebt sich und unwillkürlich lege ich meine Hände wie zwei Beschützer auf meinen Bauch, in der Hoffnung, ihn dadurch ruhig stellen zu können. Frei nach Hamlet: Der Rest ist hoffentlich Schweigen.
Nichts scheint das Glück des Momentes stören zu können. Gefesselt von Hamlet, der mit dem Geiste seines Vaters spricht, wenden sich meine Gedanken ganz der Handlung des Stückes zu bis sie plötzlich wie durch einen Donnerknall zurück in die Realität befördert werden. Das Zusammenpressen meines Gesäßes verhindert ein unkontrolliertes Entweichen der Abbauprodukte meines Körpers. Zumindest am unteren Ende, stirnseitig bricht der Schweiß aus mir heraus und mit dem Wissen, unter gar keinen Umständen aufstehen zu können, sehne ich ein großes Loch unter mir herbei, das mich verschluckt.

Diese Gnade erfahre ich nicht, stattdessen verstärkt sich der Druck und um einen lauten unüberhörbaren Ausbruch zu verhindern muss ich, hoffend, dass es sich allein um gasförmige Stoffe handelt, das Ventil ein kleines Stückchen öffnen. Der körperlichen Erleichterung und dem Dank, das wenigstens diese Hoffnung sich erfüllt hat, folgt leichte Panik, die im gleichen Tempo aufsteigt wie die mir entwichene Luft. Möglichst unauffällig versuchend, das Gas pustender Weise zu verteilen, um die Geruchsbelästigung gering zu halten, und in dem festen Glauben, dass mich meine schamesrote Gesichtsfarbe im Schummerlicht nicht verraten wird, beobachte ich aus dem Augenwinkel meine Sitznachbarn.
Scheinbar ist meine Unflätigkeit unbemerkt geblieben, so dass ich mich einigermaßen entspannt zurücklehnen kann.

Wir haben die Schlüsselszene erreicht, Hamlet spricht seinen Monolog, als sich erneut ein Lüftchen auf den Weg macht. Nicht mehr ganz so panisch, da ich den ersten Vorfall hervorragend gemeistert hatte, schirme ich die linke Seite etwas mit dem Programmheft ab.
Meine Frau zur Rechten wird, so vermute ich, verständnisvoller reagieren als die mir völlig unbekannte ältere Dame. Zum Glück sitzen Schneiders neben meiner Frau, so wird mir wenigstens eine größere Peinlichkeit erspart. Auch dieses Mal kann ich mit viel Mühe ein Auffliegen meiner Tat verhindern, verpasse allerdings den Anschluss im Stück, das von Minute zu Minute unwichtiger wird.

Die Pause gerät zur Qual. Ich begebe mich zu den Bedürfnisbereichen und stelle mich geduldig in die Schlange der Wartenden. Als ich endlich die Tür hinter mir schließen kann, sinke ich auf die Keramik und entspanne mich im Glauben, endlich erlöst zu werden. Wider Erwarten passiert die ganzen mir noch verbleibenden zehn Minuten gar nichts, und während ich drücke und lockere, höre ich mich stöhnen wie eine Schwangere in den Presswehen. Verzweifelt gebe ich alle Versuche auf und in der Gewissheit, dass viel offensichtlich nicht immer den gewünschten Effekt erzielt, bleibe ich stumm sitzen, bis die Glocke läutet, um nicht zwischen die Männer treten zu müssen, die mein Stöhnen gehört haben.

"Wo warst du denn die ganze Zeit?"
Ich deute auf meinen Magen und ernte ein wenig mitfühlendes Kopfschütteln. Endlich wird es wieder dunkel und alle Aufmerksamkeit richtet sich nach vorn, auf die Bühne. Müdigkeit macht sich in mir breit, die vielleicht eher eine Erschöpfung ist, und verstärkt meine Unfähigkeit, dem Geschehen zu folgen. Ich nicke immer wieder weg, mein Kopf fällt nach vorn.

Ein heftiger Schmerz lässt mich aus dem Halbschlaf nach oben schrecken. Es ist ein Krampf, ein letztes Aufbäumen meines aufgeblähten Unterleibes. Auf der Bühne neigt sich das Stück dem Ende zu, der Kampf zwischen Laertes und Hamlet erreicht seinen Höhepunkt. Ich möchte Sterben wie Hamlet, der eben auf der Bühne zu Boden sinkt. Oh bitte Hamlet, reiche mir dein vergiftetes Schwert! Erlöse mich mit einem Schluck des vergifteten Weines. Lass mich hier nicht weiter leiden.

Und während ich die Toten auf der Bühne ob ihrer Sorglosigkeit beneide, passiert es.
Es ist… laut.
Der vorwurfsvolle Blick meiner Frau würde mich töten, wenn er könnte, die Frau zu meiner Linken wedelt sichtlich empört mit ihrem Fächer und mir ist inzwischen gleich, was die anderen denken. Ich fühle mich erleichtert, ja befreit von einer unerträglichen Last. Die Verheißung eines ruhigen Tagesausklangs liegt in der nicht mehr ganz so frischen Luft.

Schließlich fällt der Vorhang und wir begeben uns ins Foyer, beurteilen zusammen mit Schneiders die schauspielerischen Leistungen der Darsteller und kommen gemeinsam zu dem Schluss, eine gute Vorstellung gesehen zu haben. Die Verabschiedung naht und Frau Schneider fragt nach den weiteren Plänen für unseren Abend. Da weder meiner Frau noch mir eine passende Antwort einfällt, zumindest keine, die man offiziell erwidern könnte, kommt Frau Schneider eine Idee:

"Wie wär's, wenn wir gemeinsam bei uns zu Abend essen. Heute wird Kassler serviert. Mit Speckbohnen."

© Daniel Schmidt 2007

Letzte Aktualisierung: 21.03.2007 - 13.43 Uhr
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