Futter für die Bestie
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Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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März 2007
Frühstück mit ungebetenen Gästen
von Gertraude Schreiber

Es ist ein Samstagmorgen wie aus dem Bilderbuch. Die Wohnung duftet nach frischem Kaffee. Sonnenstrahlen fingern durch die Pflanzen am Fenster und malen helle Streifen auf einen gedeckten Frühstückstisch. Charlotte freut sich über ihr freies Wochenende, sie braucht Zeit zum Erholen und vor allem, um Zukunftspläne zu schmieden. Der Toast knistert köstlich, als sie voller Genuss hinein beißt.

Die Türglocke schrillt, ein gleichzeitiges Klopfen an der Wohnungstür signalisiert Dringlichkeit. Charlottes Hand stockt auf dem Weg zur Kaffeetasse, scheint einen Augenblick zu schweben und sinkt in ihren Schoß. Oh nein, nicht jetzt! Nicht heute! Nicht an diesem Wochenende! Sie hat doch extra gesagt ...
Die Stuhlbeine schrammen über den Holzboden, als Charlotte aufsteht. Sie schlingt den Morgenrock um sich und bindet den Gürtel straff. Auf dem Weg zur Tür begegnet ihr im Spiegel eine Frau um die Vierzig mit einer tiefen Zornesfalte über der Nasenwurzel und ergrauenden Haaren, die sich um ihr Gesicht kringeln.
In die nächste Klingelattacke hinein reißt sie die Tür auf.
„Was ist passiert? Hat euch jemand aus dem Bett geworfen?“
„Man sagt erst einmal: Guten Morgen!“ weist ihr Vater sie zurecht und hinkt auf seinen Stock gestützt an ihr vorbei in die Wohnung. Ihre Mutter bleibt auf der Fußmatte stehen, die altmodische Handtasche wie einen Schutzschild an die Brust gepresst. Die wässrig blauen Augen blicken anklagend, wie immer, seit sich ihr Sohn Markus ohne Vorankündigung nach Brasilien abgesetzt und einen Berg Schulden zurückgelassen hat.
„Dürfen wir reinkommen?“
„Da Papa schon drin ist, erübrigt sich die Frage. Also tritt ein!“

Ihr Vater tippt mit dem Stock an den Koffer, der ungeöffnet im Flur steht. „Wo warst du? Die ganze Woche haben wir versucht, dich zu erreichen. Wir haben uns Sorgen gemacht.“
Als wäre ich ein Schulkind, das nicht rechtzeitig nach Hause gekommen ist. Aber damit ist jetzt Schluss, schwört sich Charlotte. Laut erwidert sie:
„Ich habe euch sogar mehrfach mitgeteilt, dass ich auf Geschäftsreise gehen und erst am Sonntagabend zurück sein würde. Wieso seid ihr trotzdem gekommen?“
„Nichts hast du uns gesagt, gar nichts“, ereifert sich ihr Vater. „Aber du hast ja schon immer gemacht, was dir gerade passte!“
Vor Aufregung lockert sich sein Gebiss und wird mit einem „Klick“ an seinen Platz verwiesen. Sein Stock pocht ein Staccato auf die Dielen. Ihre Mutter seufzt.
„Kommt, setzt euch bitte und frühstückt mit mir. Ich habe genug Kaffee für drei gekocht.“
Die Gedecke klirren, als Charlotte sie vor ihre Eltern stellt. Während Sie einschenkt, überlegt sie fieberhaft, wie sie ihnen die Neuigkeit am besten serviert.

„Du kannst nicht einfach übers Wochenende wegbleiben, ohne uns zu informieren. Du weißt, deine Mutter wartet sonntags auf dich“, nimmt ihr Vater den Faden auf, und seine Frau unterstützt ihn mit zitterndem Unterkiefer:
„Ich habe Rouladen angebraten. Die isst du doch so gerne.“ Fehlt nur, dass sie zu weinen beginnt.
In Charlotte kocht es. Wieso vermitteln ihre Eltern ihr dauernd das Gefühl, sich nicht genügend um sie zu kümmern? Sie sind doch erst Anfang siebzig und noch rüstig. Es wird Zeit, dass sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Charlotte braucht dringend Abstand. Um den Druck auf ihrer Brust zu lindern, holt sie tief Luft.
„Mutti, ich habe eine Verabredung. Frier die Rouladen ein, wir essen sie ein anderes Mal.“
Mit weißen, knochigen Fingern umklammert ihr Vater seinen Stock. Er richtet sich auf, sein Kopf ruckt nach vorn.
„Das kannst du uns nicht antun! So viel Zeit wirst du doch übrig haben, dass du deine Eltern wenigstens einmal in der Woche besuchst. – Übrigens sind die Steuern fällig. Du musst mir helfen.“ Klick, bestätigt das Gebiss.
„Papa, dein Enkel arbeitet im Finanzamt und hat seine Hilfe angeboten. Es ist nicht meine Schuld, wenn du ihn abgewiesen hast.“
„Was kann der denn schon? Haben wir dich Steuerberaterin werden lassen, damit du uns jetzt im Stich lässt?“
In Charlottes Ausschnitt steigen rote Flecken hoch. „Jetzt verdreh die Dinge nicht, Papa. Wenn es nach dir gegangen wäre, hätte ich Buchhalterin in deinem Betrieb bleiben müssen. Markus durfte zur Uni gehen, nicht ich. Erinnere dich an unsere Auseinandersetzung, als ich mich an der Fachhochschule eingeschrieben habe.“
Ihr Vater duckt sich und kaut an seinem struppigen Schnurrbart, die buschigen Augenbrauen zucken. Seine Frau hält die Augenlider gesenkt und spielt verlegen mit den Henkeln ihrer Handtasche. Hin und wieder gelingt ihr ein dezenter Schluchzer.
Charlotte erhebt sich und tritt ans Fenster. Fahrig zupft sie an den Blättern des Ficus herum. Jetzt oder nie! Der Zeitpunkt lässt sich nicht länger hinausschieben. Sie verschränkt die Arme über der Brust und dreht sich langsam zu ihren Eltern um.
„Bitte hört mir gut zu. Ich werde aus Frankfurt wegziehen. Anfang nächsten Jahres steige ich in eine Steuerkanzlei in Köln ein. Gestern habe ich den Vertrag unterzeichnet.“
Ein Aufschrei im Duett: „Du darfst uns nicht auch allein lassen. Wir haben doch nur noch dich! Was sollen wir machen, wenn wir Hilfe brauchen?“
Jetzt rinnen Tränen über die käsigen Wangen ihrer Mutter, während sich die Gesichtsfarbe ihres Vaters zu einem beängstigenden Rot steigert.
„Dafür zieht man seine Kinder groß, dass man im Alter allein da steht. Ich will dir mal - “
Was er mal will, geht in einem Hustenanfall unter. Seine ‚Dritten’ haben sich verheddert. Mit wilden Kaubewegungen und Zungenverrenkungen versucht er, wieder Ordnung in die Mundhöhle zu bringen.

Charlotte schluckt heftig, bevor sie herausbekommt: „Wie bitte? Ihr seht in mir einen bequemen Altersservice? Hört auf, mein Leben zu verplanen! Mit eurer Redensart ‚Eltern wissen, was das Beste für ihre Kinder ist!’ habt ihr es lange genug geschafft, meine Pläne zu durchkreuzen.“ Ihre Stimme wird schrill. „Sogar die Männer, die sich für mich interessierten, habt ihr mir ausgeredet.“
Die Flecken haben ihre Ohren erreicht und setzen sie in Flammen. Es gelingt Charlotte nur mühsam, ihren Worten einen versöhnlichen Klang zu geben: „Ihr seid nicht allein, sondern zu zweit, und könntet euer Leben genießen. Von Hilfsbedürftigkeit kann - im Moment jedenfalls - nicht die Rede sein. Außerdem liegt Köln nicht in Brasilien, und im Notfall bin ich in einer Stunde bei euch.“
Ein Spitzentaschentuch bemüht sich, die Rinnsale im Gesicht ihrer Mutter zu stoppen. Inzwischen hat ihr Vater seine Zähne wieder sortiert und ist aufgestanden. Rastlos humpelt er hin und her. Tack, tick – tack! Tack, tick – tack!
“Willi, setz dich bitte hin. Denk an dein Herz!“
„Mutti, lass das Theater. Diesmal wirst du nichts damit erreichen, wenn du Papas angebliche Herzprobleme hochspielst.“
Ihr Vater setzt sich schwer atmend auf die Stuhlkante, der Krückstock kreist bedächtig zwischen seinen Händen. „Was sind das für Leute, mit denen du dich zusammen tust? Kannst du ihnen vertrauen? Vergiss nicht, wie es deinem Bruder ergangen ist.“
„Ich kenne meinen Partner Thorsten seit fünf Jahren und weiß, dass ich mich auf ihn verlassen kann. Übrigens, wir sind ein Paar und wollen künftig zusammen wohnen.“
Das Taschentuch verschwindet in der Handtasche. Auf den Wangen ihrer Mutter zeichnet sich eine interessierte Rötung ab.
„Ach! Du hast einen Freund? Warum hast du uns das denn nicht gesagt?“
Charlottes Vater schweigt, doch in seinem Gesicht wetterleuchtet es, auf seiner Stirn bilden sich Schweißperlen. Seine Kiefer mahlen so heftig, dass es knirscht. Sonst ist es still im Raum.

Das Knirschen wird lauter. Plötzlich knackt es. Voller Entsetzen sieht Charlotte, wie ihr Vater unter Husten und Würgen einen Teil der Zahnprothese, gefolgt von einzelnen Backenzähnen, in seine Hand spuckt. Er legt die Bruchstücke auf den Tisch, zwischen Butter und Käseplatte. Unbemerkt hopst ein Zahn zu Boden und klackert unter die Anrichte. Charlottes Vater reißt den Mund auf. Sein Gesicht scheint nur noch aus einer riesigen dunklen Höhle zu bestehen, in der sich milchige Speichelfäden dehnen wie Gummizug. Mit spitzen Fingern klaubt er den Rest der Zahnruine hervor und hält ihn seiner Tochter unter die Nase. Ein säuerlicher Geruch steigt auf.
Charlottes Magen reagiert empört und katapultiert Toast und Kaffee nach oben, sie presst die Hände vor den Mund und stolpert Richtung Badezimmer. Während sie hinauseilt, hört sie ihren Vater nuscheln:
„Herta, erinnerß du dich noch, daßß wir unß früher mal in Köln niederlaßßen wollten? Wir ßiehen auch um, wir können unßer Kind doch nich alleine laßßen.“


© Gertraude Schreiber

Letzte Aktualisierung: 26.03.2007 - 09.37 Uhr
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