Ganz schön bissig ...
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April 2007
Gängiger Abgang?
von Heinz-Helmut Hadwiger


„Raff dich auf! Lass den Alltag hinter dir und komm am Wochenende zu mir an den See heraus!“
Da war die Einladung, von der ich geträumt, die ich herbeigesehnt, auf die ich so lang gewartet hatte.
Ich hatte Monika bei einer Lesung kennen gelernt und mit ihr danach Eindrücke, schließlich unverbindlich die Telefonnummern ausgetauscht. Wenn es wieder einmal eine Lesung gäbe …
Man könnte ja gemeinsam!
Alles sah so aus, als läge das Interesse einseitig bei mir. Ich machte es mir zur lieben Gewohnheit, sie ein-, zweimal in der Woche anzurufen und über Fragen nach dem Wetter am See und dem Wohlbefinden hinaus kulturpolitische und literarische Belange aufzugreifen.
Nun hatte sie mich endlich eingeladen.
Als ich am Nachmittag in Traunkirchen eintraf, erwartete sie mich schon vor ihrem Häuschen am See. Ob ich sie zu ihrem Mieter in Neukirchen, nahe Altmünsters, begleitete? Dort müsse sie etwas wegen der Kläranlage klären. Na klar!
Bei unserem Eintreffen saß die dralle Freundin des Mieters, Elfie, vor der Tür und bedeutete uns, der Peter sei beleidigt und stelle sich schlafend. Auf unser Klopfen reagierte er nicht.
Unverrichteter Dinge fuhren wir weiter an den Taferlklaus-See. Hier ist die Aurach früherer Holzbringung wegen aufgestaut, heute ein Naturschutzgebiet, das wir durchstreiften.
Auf einer Bank am Ufer nahmen wir Platz. Die noch schneebedeckten Spitzen des Hochlecken spiegelten sich auf der Wasseroberfläche. Als ein Jäger mit Dackel vorbei kam, erinnerte sich Monika an Flachberger Ferdinand, einen Jäger, der sich auf Wildenten spezialisiert hatte, die er von seinem Boot am Traunsee aus schoss.
Eines Tages sei er wieder einmal hinausgerudert, mit seinem Jagdhund, das Gewehr schussbereit am Boden des Bootes. Als der Hund die ersten Wildenten bemerkt habe, sei er so unruhig geworden, dass er im Boot umhersprang. Er sei mit den Pfoten am Abzug angekommen und habe einen Schuss ausgelöst, der den Flachberger auf der Stelle getötet habe (flach gelegt, damit war er über den Berg). Wegen seiner mürrischen Art sei er ohnehin nicht beliebt gewesen, sein plötzlicher Abgang kein wahrer Verlust.
Sein Sohn, Ferdinand jun., habe daraufhin das von Monika verpachtete Gasthaus übernommen. Den müssten wir nun einer anderen Mieterin wegen aufsuchen.
Nachdem Monika mit dem Wirt gesprochen hatte, lud sie mich ins Meraner -Stüberl auf ein Glas Rotwein der Kellerei Frescobaldi ein.
An diesem Tisch sei er gesessen, der Remigius Fischbacher, ein geschiedener Tierarzt, der eine unglückliche Beziehung zu Agathe, einer Therapeutin des nahen Krankenhauses, unterhalten habe. Hatte er deshalb dem Alkohol so zugesprochen? Oder hatte erst der Alkohol ihrer beiden Blicke eingetrübt? Agathe setze ihm – so hatte er Monika am letzten Abend anvertraut – derart zu, dass er nicht ein noch aus wisse. Sie nötige ihn, sie zu heiraten, was ihm zuwider sei.
Er erzählte es, beklagte es, weinte sich bei Monika aus, verließ das Gasthaus, erstieg einen Hochsitz im Wald und jagte sich eine Kugel durch den Kopf.
Noch ein Jäger weniger am Traunsee!
Bei einem weiteren Glas Chianti plauderte Monika aus dem „Nähkästchen“, der Familiengeschichte:
Schon ihr Großvater Bernhard habe sich – vor den Augen der Kinder, auch Monikas Mutter – erschossen, nachdem seine Frau frühzeitig gestorben sei und ihn allein zurückgelassen habe. So sehr sei er an ihr gehangen!
Die Kindheit ihres Mannes Franz sei auch nicht gerade beneidenswert gewesen: Sein Vater, Franz I., der offenbar nicht sein leiblicher Vater gewesen sei, habe zu Gewalt, ja Brutalität geneigt. Er habe nicht nur seine Frau und den Buben geschlagen, nein, auch die Tiere. Wenn ihm das Pferd nicht zu Willen gewesen sei, habe es der Knecht festhalten müssen, damit es der Reiter habe auspeitschen können. Habe der Knecht gekniffen, sei dieser das Ziel der Hiebe gewesen. Franz I. habe jedenfalls seinen Groll an jedermann ausgelassen. Sei dies eine Folge davon gewesen, dass seine Frau Viola jeden Sommer allein für einige Wochen nach Südtirol gereist sei? Oder seien diese Reisen ihre Flucht vor dem grimmigen Ehemann – zu einem gestandenen Südtiroler gewesen, von dem Traunkirchen annahm, er sei der wahre Erzeuger Franz des II.?
Andererseits, so unnachgiebig Franz I. zu seiner Familie war, sosehr verwöhnte er seine jeweiligen Geliebten, deren jede letztlich mit einem kleinen Grundstück samt Haus oder einer Wohnung getröstet oder abgespeist wurde.
Seine Frau blieb ihm nichts schuldig. Viola – da gamba, wie sie der Volksmund hieß – lieh ihren Klangkörper (die Böswilligen meinten ihr „Griffloch“) jedem, der ihr als Liebhaber wehmütige Töne zu entlocken verstand, bis eines Tages der Mayrhofer Paul, ein Verehrer vom Westufer des Traunsees, unmittelbar vor ihrem Seegrundstück ertrunken aufgefunden wurde. Die Polizei ging von einem Unfall aus. Gerüchte, die von einem vorangegangenen Streit berichteten, verstummten lange nicht. Damit freilich sanken Violas Chancen bei der Traunseer Männerwelt.
Franz I. hatte sich mittlerweile von seiner ersten Frau getrennt, ihr aber nahe dem Familiengasthaus eine Wohnung gelassen.
Mit seiner zweiten Frau, Maria Elisabeth, lebte er dann im Hause dieser Gastwirtschaft, die sein Sohn hätte übernehmen sollen, wozu er sich aber am aller wenigsten eignete, zumal er eher ein versonnen-versponnener Träumer, ein kunstsinniger Antiquitätenliebhaber denn ein Gastwirt war.
Monika, die er in zweiter Ehe geheiratet habe, sei schließlich als Retterin der Gastwirtschaft aufgetreten, aber erst nachdem der Schwiegervater Franz I.endgültig abgetreten sei.
Davor habe er noch sein Meisterstück der Missachtung von Frau und Sohn geliefert, indem er Franz des II. erste Frau Lonie zur Geliebten genommen habe – vor den Augen aller Traunkirchner.
Als er dann noch von Dr. Schediwy, seinem Schulfreund und langjährigen Anwalt, verlangte, ein Testament zu Lonies Gunsten zu verfassen, wandte sich sogar dieser von ihm ab.
Unmittelbar danach fand sich Franz I. in der Nacht am Abfluss des Traunsees in Gmunden ein, entledigte sich seiner Kleider, die er ordentlich am Ufer zusammenlegte, und sprang in die Tiefe der Traun. Seine Leiche wurde Monate danach beim Traunfall, im nächsten Staurechen, geborgen.
Lonie, die mit dem auf seinen Pflichtteil beschränkten Franz II. drei Kinder hatte, verfiel zusehends dem Alkohol, der älteste Sohn stürzte im hoffungsvollen Alter von 25 Jahren beim Drachenfliegen über dem Traunstein zu Tode, die Tochter Manuela und der jüngere Bruder Franz III. erholten sich von diesem Familiendesaster nie mehr.
Mittlerweile war Franz II, der seinen Kindern aus erster Ehe keine echte Stütze zu sein vermochte, an Altzheimer verstorben. Seine tüchtige, die Familientradition vor dem gänzlichen Untergang (im Traunsee) bewahrende zweite Frau, seine Witwe saß mir ab dem dritten Glas Chianti als begehrenswerte Monika nun beim vierten Glas im Meraner-Stüberl (vielleicht nach den Sommerausflügen ihrer Schwiegermutter Viola benannt?) gegenüber und faszinierte mich mit dem mörderischen Schicksal ihrer Familie.
Sie habe schon befürchtet ihre Kinder, Benno und Elsa, würden den vermutlich genetischen Suiziddefekt mitbekommen haben, aber Gott sei Dank sei Franz II. eines natürlichen Todes gestorben.
Sie selbst sei zu lebensbejahend, als dass sie sich erschießen, in den Traunsee oder vor einen Zug werfen könnte!
Um dies zu unterstreichen, stieß sie mit dem fünften Chianti mit mir an.
Trotz des traurigen Gesprächsstoffes angeheitert, verließen wir die Gastwirtschaft in der Kirchengasse und wankten Hand in Hand ihrem Häuschen zu, wo sie von ihren Hunden schon freudig erwartet wurde – ich weniger!
Da ihre Hunde nach dem Tod ihres Mannes dessen Lager übernommen hatten, wurde mir ein Gästezimmer zugewiesen. Morgen früh würde Monika mit mir im Elektroboot auf den See hinausfahren.
Ich habe diesen Vorschlag überschlafen und komme heute zu der ernüchternden Erkenntnis, keinen so gängigen Abgang im Traunsee, sondern lieber das Weite zu suchen.

© Heinz-Helmut Hadwiger

Letzte Aktualisierung: 22.04.2007 - 20.17 Uhr
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