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April 2007
Lebewohl
von Frauke Gimpel

Nach und nach verloschen die Lichter auf der anderen Seite des Fjords. Auf der Straße unter dem Fenster zog dann und wann noch ein Wagen vorbei. Die Hufe klapperten auf dem unebenem Pflaster und es wirkte, als wollten nicht einmal die Pferde hier länger verweilen. Hätte er eine Wahl gehabt, wäre auch er nicht hier. Aber nach dem, was geschehen war, musste er fort.


Celeste hatte das gute Leben beendet, das nur Monate zuvor durch den Sommer und ihre Ankunft begann. Hatte dafür gesorgt, dass er Opfer seiner selbst wurde. Erst in dem Moment, als er herkam, konnte er wieder atmen. Atmen trotz des Geruchs nach altem Fisch und nassen Tauen. Es würde noch viele Nächte dauern, bis er sich an sein neues Ich gewöhnt hätte. Aber der Anfang war gemacht, und von jetzt an führte der Weg in ein neues Leben.


Versonnen strich er über den Flaum, der sein Kinn bedeckte. In ein paar Wochen wäre er dichter und dann konnte er wieder hinaus. Bis dahin würde er sich an das Gefühl gewöhnt haben und nicht mehr ständig irritiert mit der Hand darüber fahren. Damit könnte er sich verraten. Er musste daran arbeiten, aber noch war es ungewohnt. Einen Teil von ihm war mit ihr gegangen. Seit sie fort war und der Flaum spross, erkannte er sich selbst nicht mehr. Seine Linien wurden härter und männlicher. Arne nannte sich jetzt Tjore. Der Abschied von Celeste hatte das mit sich gebracht wie der Herbst den Nebel. Unausweichlich, kalt und unerbittlich. Wenn das Zwitschern der Vögel verstummte, blieb nur der Schrei der Krähen, die den Winter beherrschten.


Stolz warf er sich vor der Dunkelheit in die Brust. Er war jetzt ein Mann. In mehr als einem Sinne über sich selbst hinausgewachsen. Aber nur einen Moment später, als er die Spur einer Reflexion in der kleinen Scheibe sah, dachte er an das Verlorene. An das, was bei ihr geblieben war. Unschuld hatte ihm gut gestanden, aber sie hatte ihn schwach gemacht. Er biss die Zähne aufeinander. Er war jetzt auf sich allein gestellt und nichts würde ihn aufhalten.


Das zaghafte Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken. Ertappt maß er die wenigen Schritte bis zur Tür und ließ eine der kleinen Annehmlichkeiten herein, die sein neues Leben zu bieten hatte. Amelie hatte langes, blondes Haar, beinahe wie Celeste. Vielleicht duftete auch Amelies Haar nach Kräutern und Sommer, aber der Geruch des Zimmers übertünchte es. Amelie stand am anderen Ende einer Reise, die Tjore gerade erst begann, aber noch war es ihr nicht bewusst.


Sie trug das Tablett, wie an jedem Abend. Die Kerze, die neben dem Teller stand, brachte das erste Licht in das Zimmer. Jetzt würde er sich vom Fenster fernhalten. Amelie hielt den Kopf gesenkt, wie immer. Bereits seit mehr als einer Woche brachte sie ihm die Mahlzeiten, die er verschlang, ohne ein Wort mit ihr zu wechseln. Während er aß, ließ sie sich auf dem kleinen Schemel nieder und sah ihn an. Dann nahm sie das Tablett und verschwand. Es würde ihm leid tun, auch sie zurückzulassen, wenn er fort ging, aber immer wieder ertappte er sich bei dem Gedanken an fließendes, blondes Haar und mühte sich, in solchen Momenten nicht zu ihr hinüber zu blicken. Er würde gezwungen sein, fort zu gehen. Dieses Mal aber würde es anders sein.


Celeste hatte ihn verspottet. Sie hatte versprochen und gelächelt, aber als er einfordern wollte, was ihm zustand, stieß sie ihn fort. Sie wollte ihn verlassen und sprach von dem Schiff, das sie und ihren Vater nach Hause bringen würde, schon morgen, von dem Leben, das zuhause auf sie wartete und nach dem sie sich sehnte. Er konnte es nicht zulassen. Sie würde nicht ohne ihn fortgehen. Zumindest aber wollte er Lebewohl sagen. Das dunkle Wasser hatte ihr Leben zu ihm heraufgespiegelt. Ihre Haare waren nach und nach wie ein Schleier vor ihr Gesicht getrieben. Ohne einen Laut war sie in die Unendlichkeit versunken und der kalte Spiegel hatte sich über ihr geschlossen.


Tjore atmete schwer, als er an den Duft der Haare dachte, an das Lächeln dieses Sommers, in dem er zum Mann geworden war. Als sie mit der Suche begannen, wurde ihm bewusst, dass er nicht bleiben konnte, weil sie fort war. Also nahm auch er ein Schiff und überquerte den Fjord. Von hier aus konnte er beobachten, wie sie tage- und nächtelang umherliefen, den Strand und den Berg nach ihr durchkämmten und mit Booten hinausfuhren. Seit einigen Tagen aber gaben sie auf und die Lichter verloschen eins um das andere. Während die Dunkelheit zunahm, stand er am Fenster und warf einen letzten Blick auf Arnes Leben. Jetzt, da ihr Vater allein die Heimreise antrat, war es auch für Tjore Zeit, aufzubrechen.


Tjore schnürte die wenigen Dinge, die er besaß, in das Bündel, darunter auch ihren weißen Schal. Er hatte sich von ihrem Hals gelöst, als sie fortging. Jetzt blieb er die einzige Erinnerung. Sie hatte einen Teil von ihm genommen, als sie ging. Er hatte einen Teil von ihr behalten.


Amelie klopfte zaghaft wie immer. Auf dem Weg zur Tür strich sich Tjore ein letztes Mal über den dichter werdenden Bart, dann ließ er sie herein. Nach dem Essen glitt seine Hand vorsichtig über Amelies Haar. Sie hatte Arne das Zimmer über der Scheune gegeben, nun würde Tjore ihr auf seine Weise Lebewohl sagen. Es würde ihm leid tun, aber er musste weiterziehen. Still ging er mit ihr in der Dunkelheit zum Wasser hinunter und verabschiedete sich. Als sie langsam in der Dunkelheit verschwand, sah er ihr nach, dann wandte er sich dem Hafen zu. Ein Lächeln spielte um seinen Mund und er suchte den Nordstern am Firmament.

Letzte Aktualisierung: 22.04.2007 - 16.29 Uhr
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