Futter für die Bestie
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Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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April 2007
Das Glas Milch
von Ingrid Gertz

Paula kam langsam die Straße herauf. Ihre abgewetzte Reisetasche war nicht schwer, hatte sie doch nur das Nötigste hineingeworfen.
Am Nachmittag, als ihre Ratlosigkeit groß genug war.
Als sie begriffen hatte, dass sie Verantwortung nicht nur für sich tragen musste und sich aus dem verzweifelten Suchen nach einer Lösung ihr Entschluss herausgeschält hatte: Zurück, nach Hause!

In der anbrechenden Dunkelheit ging Paula die Straße entlang, die sie zuletzt vor zwei Jahren gegangen war, damals mit wesentlich mehr Gepäck und in umgekehrter Richtung.
Fast zögerlich setzte sie ihre Schritte.
Unbewusst, als wolle Paula die kommende Begegnung noch etwas hinauszögern, verweilte sie stückweise an hell erleuchteten Fenstern, hinter denen sich der Betrachterin familiäre Szenen boten. Nicht alle Akteure in der hellen, warmen Gemütlichkeit von Küchen und Zimmern, in die Paula einen Blick werfen konnte, waren ihr auch bekannt.
In zwei Häusern registrierte sie fremde Bewohner, Zugezogene…
Sonst hatte sich nichts verändert, denn außer Paula war zu dieser Zeit keine Menschenseele mehr unterwegs.
Das Leben war in die Häuser zurückgeschlüpft und die Heimkehrende hatte den mit nebeliger Feuchte übergossenen Gehweg nur für sich.
Ein vergessener Ball, den Paula im Vorübergehen kurz anstubste, das in einer Garageneinfahrt liegende Kinderfahrrad, Kreidekästchen auf der Straße…all das wartete hier
verträumt auf den neuen Tag, neue Spiele…
Und genau diese verschlafene, tranige Kleinstadtatmosphäre, die ihr früher so sehr verhasst war, empfand Paula heute angenehm, fast wie einen vertrauten Willkommensgruß.
Am Grundstück der Meiers blieb sie länger stehen, obwohl, oder auch weil Paulas Ziel, die kleine Eckkneipe, schon in greifbarer Nähe, mit wenigen Schritten zu erreichen war.
Fand sie den Blick in Nachbars Küche so furchtbar interessant, oder war Paula einfach nur feige, zu feige zum Weitergehen?
Nein…, ihr Entschluss stand ja fest…
Aber alle Erklärungen, die sie sich während der Fahrt zurechtgelegt, an die Paula bis hierher auch noch selbst geglaubt hatte, die erschienen ihr jetzt mit jedem weiteren Schritt unsinniger, an den Haaren herbeigezogen, aufgesetzt.
Seit ihrem Weggehen hatte Paula sich nicht gemeldet. Kein Brief, kein Telefonat, nicht mal irgendeine Karte…

„Schieß den Max in den Wind, Mädchen! Zwei Studienabbrüche, eine Lehre in den Sand gesetzt und zu fein zum Arbeiten! Aber mit seinem Mundwerk quatscht der doch so ziemlich jeden besoffen, dich ja wahrscheinlich auch!
Wach auf! Worthülsen und schöne Sprüche können dich doch nicht ewig blenden! Der kriegt doch weder ´ne Tapete an die Wand noch sonst irgendwas gebacken!“
Leider wahre Worte alter Weiber.
Aber damals hatte Paula trotzig ihre Sachen gepackt.
Sie war ihrer Liebe gefolgt und stand heute wieder hier. Sie war unsicher, fürchtete sich vor den Worten „Ich hab´s dir doch gesagt!“ und öffnete zaghaft die Tür zur Gaststätte.
Wie würden sie reagieren?

Am Stammtisch saßen ein paar Männer, vertieft in ihr Kartenspiel.
Paulas Mutter stand am Tresen und zapfte frisches Bier, hatte aber die Eingangstür im Blick.
„Paula!!?“
Ein erfreutes Lächeln vertrieb die Müdigkeit aus ihrem Gesicht.
Langsam, als brauche sie Zeit, die richtigen Worte zu finden, stellte sie die halbvoll gezapfte Biertulpe ab und ging auf ihre Tochter zu.
„Paula, Mädchen, lass dich anschauen…gut siehst du aus!“
Paula überließ der Mutter ihre Hände, beobachtete nur noch deren Augen, die Paulas Gesicht und ihren Körper abtasteten.
Ein leichtes Seufzen bemerkte Paula, als Mutters Blick über die sanfte Rundung des Bäuchleins glitt, das Paula vor sich her trug.
Und erstaunt stellte Paula fest, dass das Lächeln im Gesicht und in den Augen ihrer Mutter blieb.
„Sicher biste müde, hast Hunger!“ Paulas Reisetasche greifend, schob Mutti sie in Richtung Küche. „Martha bäckt noch für morgen, geh´ rein und lass dir was zu essen geben! Die Tasche stell ich in dein Zimmer, weißt schon, alles noch wie immer.“
Paula war irritiert.
Keine Fragen, keine Vorwürfe….
Sie ließ sich in die Küche schieben. Martha war dort am Ofen, zog gerade ein Blech mit Butterkuchen heraus. Die leicht gebräunten Mandelsplitter tanzten auf der buttrigen Fettschicht. Und es roch…nach Backstube…nach Kindheit…
„Paula, Mädel, magst kosten?“ Oma Martha stellte ihr von einem zweiten, inzwischen ausgekühlten Blech, ein wahrhaft riesiges Stück Kuchen auf den Tisch.
„Magst erzählen? … Nein? …Na, iss erst mal!
Einen Kaffee dazu, oder lieber Milch, Paula?“
„Milch, Oma!“
Butterkuchen und heiße Milch, war das nicht himmlisch?
Oma Martha hatte es sich im Schaukelstuhl gemütlich gemacht und sah ihrer Enkelin freudig zu, wie die genüsslich ihrem Kuchenstück zu Leibe rückte.
Noch immer war Paula um jede Erklärung herumgekommen, fühlte sich einfach nur angenommen und aufgehoben, fühlte sich wohl.
Und Paula wusste jetzt, dass sie erzählen würde…
Morgen, Übermorgen, in den nächsten Tagen ganz bestimmt…vielleicht nicht sofort alles, aber die Wahrheit und keine geschönten Versionen -
die hatte sie sich selbst sowieso lange genug eingeredet…
„Weißt´ was, Mädel?“ unterbrach Oma, mit Blick auf Paulas Bäuchlein deren Gedankengänge. „ ´s wird alles nicht so heiß gegessen, wie´s gekocht wird….
Und wenn man ein Glas Milch trinken will, Paulinchen, dann kauft man sich nicht unbedingt gleich eine Kuh, oder?“
Paula musste grinsen.
„Aber Oma!“
Glücklich streichelt sie ihr Bäuchlein.
„Sabinchen, ich glaub´, wir sind zu Hause!“





Letzte Aktualisierung: 27.04.2007 - 10.03 Uhr
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