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April 2007
Der Teufel, der nach Liebe schrie
von Daniel Krooß

Sie war im Streit eingeschlafen. Im Streit mit sich selbst, im Streit mit dem Rest der Welt. Und wie immer hatte sie sich in den Schlaf geweint...

…“Wo bringst du mich hin?“ fragte sie.
„Überall“, antwortete der alte Mann, „überall“.
Er war klein, hatte eine Glatze und einen grauen Bart unter seinem Kinn. Er trug einen Stock als Gehhilfe.
„Und wer bist du?“ fragte die junge Frau. Sie war klein, hatte wunderschönes braun gelocktes Haar und goldbraune Augen.
„Ich sagte doch, habe keine Angst, du wirst es früh genug erfahren.“
Sie blieb weiter wie angewurzelt neben ihm stehen.
„Bist du bereit?“, fragte der alte Mann.
„Von mir aus“, sagte sie. Der alte Mann schnipste und sie waren fort.

Sie tauchten vor einem alten Fernseher wieder auf. Mitten in der Stadt in einer kleinen Wohnung. Auf der Couch saß ein Mann, im TV liefen die Nachrichten. Krieg. „Keine Angst“, sagte der alte Mann, „er kann dich nicht sehen.“
Sie antwortete nicht, hatte dem Mann gar keine Beachtung geschenkt. Ihre Augen waren wie gefesselt auf den Bildschirm gerichtet. Der Nahostkonflikt war eskaliert, es musste ja so kommen. Seit Tagen liefen die Nachrichten rund um die Uhr. Nicht mehr lange und der dritte Weltkrieg würde offiziell ausbrechen, da waren sich die Experten einig.
„Ich verstehe...“, sagte der alte Mann. „Lass mich dich in eine andere Wohnung bringen.“ Er schnipste, sie waren fort.

Der Gestank von Alkohol überall. Die Mutter, mit Kippe im Mund, stillte gerade ihr Baby während der Vater mit seinen älteren Sohn auf der Couch saß und ein Bier nach dem anderen in sich hineinlaufen ließ. Angewidert schaute sich die junge Frau das Ganze an.

„Ist es nicht schrecklich?“, fragte der alte Mann. Sie schwieg. Der Mann schnipste und wieder waren sie an einem anderen Ort.

Mitten im Gewerbegebiet. Alles Grau, weit und breit nichts als Grau. In der Mitte stand ein Baum. Ein Mann ging vorbei drückte die Zigarette an ihm aus. Er setzte sich hin, aß und trank etwas. Dann ging er wieder, den Müll ließ er liegen. Sie sagte nichts. Der alte Mann schmunzelte. Schnips.

„Lass uns einen kleinen Spaziergang machen.“ Sie waren in einem Wald gelandet. Herbst. Der Himmel grau, die Luft bitterkalt. Gefallene Blätter und Äste raschelten und knackten unter ihren schweren Schritten, während sie schweigsam gegen den stürmischen Wind ankämpften. Sie gingen bergauf.
„Du sprichst nicht viel oder?“
„Ich weiß nicht“.
„Was hast du gefühlt als du gerade all diese Bilder gesehen hast?“
„Nichts.“
„Nichts?“
Sie schwieg.
„Und wie fühlst du dich wenn du diese tote Herbstlandschaft siehst?“
„Normal. Wenn du die Welt durch meine Augen siehst, ist immer Herbst. Es ist immer kalt. Manchmal kommt kurz der Sommer durch, aber wenn er wieder vorbei ist, ist es wieder kalt und dann weiß ich, dass es wieder nur eine Lüge war.“
Der Alte Mann schwieg für eine Weile. Sie folgten dem Pfad nach oben und hielten an einem Höhleneingang inne. Dann sprach der alte Mann: „Ich möchte, dass du deinen Kopf da hineinsteckst und mir sagst, was du hörst.“
„Was?“, fragte sie verwirrt.
„Bitte tu es einfach.“
Sie zögerte einen Moment, dann streckte sie ihren Kopf vorsichtig hinein, war sich unsicher, was sie als nächstes zu tun hatte. Also ging sie einen weiteren Schritt.
„Was hörst du?“, fragte der alte Mann.
„Nichts“.
„Sicher?“
Sie überlegte für einen Moment, lauschte, genau hin.
„Ja, sicher. Ich höre nichts“.
„Und was siehst du?“
„Nichts, es ist alles so dunkel. Sieht leer aus.“
„Und du hörst wirklich nichts?“
„Nein! Was soll das Ganze?“
„Doch du hörst etwas, meine Liebe. So schallt es, wenn der Teufel nach Liebe schreit.“
„Was?“
Sie wollte raus aus der Höhle, doch sie konnte nicht zurück. Sie fing an zu verzweifeln, Tränen liefen ihr die Wangen runter, egal wie hart sie es versuchte, sie konnte nicht zurück. „Schon einmal versucht in der andere Richtung zu gehen?“, fragte der alte Mann mit ruhiger Stimme. Aber sie hörte ihn gar nicht. „Mach, dass es aufhört! Bitte mach, dass der Krach aufhört!“
„Dreh dich um, meine Liebe. Sieh hin“.
Durch ihre verweinten Augen konnte sie ein schwaches Licht wahrnehmen. „Geh darauf zu. Du musst da jetzt durch. Geh. Wir treffen uns auf der anderen Seite“.

Sie schaute sich um, doch der alte Mann war längst verschwunden. Sie zögerte einen Moment, dann ging sie einen Schritt. Mit jedem weiteren schien es unerträglicher zu werden. Ihre Beine wurden schwerer, die Stille dichter. Doch mit ihren Augen starte sie auf das Licht, den Ausgang. Sie raffte sich auf. „Ich muss hier raus. Es gibt jemanden, der auf der anderen Seite auf mich wartet.“ Einen Schritt, einen weiteren. Und dann noch einen.

Die Helligkeit auf der anderen Seite machte ihren Augen gehörig zu schaffen. „Da bist du ja endlich“, hörte sie den alten Mann sagen. Sie rieb sich die Augen, schaute auf. Es war Frühling. Der ganze Wald schien zu blühen, Vögel zwitscherten im Hintergrund, die Sonne strahlte am Himmel mit einer Kraft, wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte. Vielleicht wäre sie zurück in die Höhle gekrochen, hätte sie es gekonnt. Doch ihre Beine ließen sie nicht. Und ehe sie sich versah, hatte der alte Mann bereits ein weiteres Mal geschnipst.

Ein Schwan drehte einsam seine Runden auf einen kleinen Bach. Am Himmel tanzten Schmetterlinge. Im Hintergrund blühten Kirschbäume, eine rosa Blütenpracht im Sommerwind. „Ein Wunder?“, fragte der alte Mann.
Doch sie war zu beschäftigt damit, alles in sich aufzunehmen, um dazu in der Lage zu sein, eine Antwort zu geben. Und ehe sie sich versah, waren sie schon wieder an einem anderen Platz.

Ein junger Familienvater saß auf einem Sessel. Sein zweijähriger Sohn saß auf seinem Schoß und schaute ihm neugierig in die Augen. Vor ihnen Kaminfeuer, im Fenster Schnee. Es roch süßlich. Die Mutter kam mit heißem Kakao aus der Küche, setzte sich zu ihrem, Ehemann und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Der kleine Junge fing aufgeregt an zu lächeln, schmiss sich in Arme seines Vaters. „Ist es nicht wunderbar?“, fragte der alte Mann. Sie musste weinen. Er schnipste, sie waren in einer anderen Wohnung.


Auf dem Bildschirm liefen die aktuellen Nachrichten, doch ihre Augen blieben an etwas anderem kleben. Dort auf der Couch lag eine Frau in den Armen ihres Mannes. Tränen in ihren Augen. Sie trug ein Kopftuch, er ein Kreuz um den Hals.

“Ich habe Angst, wenn ich an die Welt da draußen denke“.

„Ich auch Schatz, ich auch“. Er presste sich ganz fest an sie, streichelte ihr sanft über den Rücken.
„Wir alle haben Angst, meine Liebe“, sagte der alte Mann. Sie schwieg, die Tränen liefen vereinzelt ihre Wangen hinunter. „Lass mich dich noch an einen weiteren Platz bringen. Er schnipste das letzte Mal.

Der Raum war schwarz. In der Mitte war ein Licht. Dort stand ein junger Mann. Sie kannte ihn, sie wusste ganz genau wer es war. Er trug ein schwarzes Hemd, hatte mittellanges schwarzes Haar, den Pony zur Seite gekämmt, In seinen tiefblauen Augen spiegelte sich wider, dass er sich nach etwas sehnte.
„Er wartet auf dich“, sagte der alte Mann.
„Ich weiß“, sagte sie, „ich weiß“.
„Ich lasse euch zwei jetzt allein“, sagte der alte Mann und verschwand.
Sie lief in die Mitte.
„Da bist du ja“, sagte der junge Mann. Sie schauten sich in die Augen, nahmen sich in die Arme. Einen Augenblick der Stille, ein Kuss und der ganze Raum füllte sich mit Licht, die Quelle kam direkt aus ihren Herzen.

Sie erwachte im Morgengrauen. Das Herz schlug schnell, doch sie blieb ruhig. Sagt mir, können Träume leben lehren?

Letzte Aktualisierung: 20.04.2007 - 19.44 Uhr
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