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April 2007
Besetzt
von Katharina Körting

Die polnischen Handwerker sprachen gebrochenes Deutsch oder gar keins. Sie gehörten zum Alltag. Immer wieder wurde in der Wohnung die Einrichtung geändert, die Zimmereinteilung variiert, und so gab es immer neue Gründe, damit Maler, Tischler, Fliesenleger, Klempner ein ständiges Kommen und Gehen veranstalten konnten.

Johann war in seinem Element: Er war der große Boss. Inge kochte große Eintöpfe, denn natürlich saßen die Handwerker abends mit am Tisch, und Johann holte den Wodka hervor und machte seine miesen Sprüche auf Inges Kosten – er war ja der Mann, und sie war nicht mal seine Frau.

Einmal ging es schief.

Johann war zum Baumarkt gefahren, und Inge stand unter der Dusche. Das Bad hatte zwei Türen, die man beide nicht abschließen konnte. Einer der Männer ging hinein, um zu pinkeln (er öffnete seine Hose schon auf dem Weg). Gina saß in der Wohnküche an dem massiven Eichentisch und machte Hausaufgaben. Die Rillen im Holz drückten sich durch das Schulheft und formten die Zahlen schief, die sie schrieb.

Sie wunderte sich, dass der Pole nicht wieder aus dem Bad kam. Es war doch besetzt!

Sie hörte die Mutter.

„Lass mich.“

Es klang nicht gut, oh, es klang schon wieder nicht gut, und zum ersten Mal sehnte Gina sich danach, dass Johann zurückkäme.

„Nun kommst du, Schlucha“, gurrte der Mann, „kommst du schon, Suka!“

„Verpiss dich“, schrie Inge.

Etwas klirrte. Der Pole drückte die Tür von innen zu.

„Du halt still“, herrschte er Inge an.

Gina ging zur anderen Tür des Durchgangsbadezimmers. Sie sah den Polen von hinten, der Gürtel hing ihm aus einer Hosenschlaufe; er drückte ihre Mutter gegen die andere Tür, hielt sie an den Armen fest. Inge zitterte. Sie war nackt, an ihren Füßen bildeten sich Pfützen, an deren Rändern ein bisschen Schaum schwamm.

Gina sah ihr in die Augen.

Da drehte sich der Mann um.

„Du weg! Kind still! Oder…!“

Er machte eine heftige Geste, zackte ein schiefes Kreuz in die Luft, die Hand voll weißer Flecken.

Inge nutzte die Gelegenheit, um ihm einen Schlag ins Gesicht zu geben, aber sofort drückte er wieder ihre Arme gegen die Tür.

Er war stärker.

„Kind weg!“, keuchte er.

Inge nickte ihrer Tochter zu, schickte sie mit einem Kopfrucken aus dem Badezimmer.

Gina gehorchte, ging zurück zum Küchentisch, zu ihren Hausaufgaben.

Sie wusste nichts mehr.

Die ganze Zeit lief das Duschwasser weiter, verspritzte sein Rauschen durch die Tür.

Es gab noch mehr Geräusche.

Immer wieder klappte die Tür einen Spalt auf, aber der Maler drückte von innen immer wieder dagegen und sagte:

„Pisda! Fotze!“

Rutschgeräusche. Etwa rummste. Die Tür klappte gegen den Rahmen.

Gina blieb sitzen und hielt die Luft an – sie hatte die Drohung verstanden – aber sie war ja gar nicht da!

Sie war weg. Abgetaucht.

Ihr Füller lag auf dem karierten Blatt mit den Mathematikaufgaben. Gina hatte die Spitze so fest aufgedrückt, dass sie gebrochen war. Die Tinte lief aus.

Sie schaute auf ihre blauen Finger, summte, um die Geräusche zu übertönen, und suchte wie zum Spaß nach einem angemessenen Schimpfwort.

Ihr fiel keins ein.

Sie saß stocksteif.

Da ging die gemarterte Tür endlich ganz auf; Tomasz war fertig. Er kam aus dem Bad und machte sich die Hose zu. Er hatte eine Schramme an der Stirn, die blutete leicht, und an seinem Hemd waren nasse Flecken.

„Pisda!“, zischte er.

Und zu Gina:

„Still oder tot!“

Er machte einen Schritt auf das Mädchen zu und tat so, als schneide er ihr die Kehle durch; Gina spürte den Luftzug seiner Hand. Sie starrte ihn einen Moment lang an, dann lief sie zu Inge. Ihre Mutter saß auf den Klodeckel, ein Handtuch über den Schenkeln und eines um den Hals, über den Brüsten. Ihre Stirn lag auf den Oberarmen, die sie über den Knien gekreuzt hielt.

Gina ging zur Dusche und drehte das Wasser ab. Dann setzte sie sich auf den Wannenrand.

„Verzeih mir“, flüsterte sie, „verzeih mir bitte, Mama“.

Inge hob den Kopf.

„Du musst dich doch nicht entschuldigen, dummes Ding“, sagte sie weich.

Gina weinte.

Ihre Mutter stand auf, zog sich an, und murmelte dabei immerzu:

„Mir tut es Leid. Mir tut es Leid. Mir tut es Leid.“

Gina ging zu ihr.

„Hör auf, Mama, bitte, hör auf damit!“

Sie konnte nicht aufhören zu heulen, doch Inges Augen blieben trocken. Ihre Mutter zog sich an, kämmte sich die nassen Haare glatt, und Gina weinte für sie beide.

In diesem Moment kam Johann wieder, mit zwei schweren Eimern weißer Farbe.

Er stellte sie laut auf dem Boden ab.

„He, Tomasz!“, sagte er und schlug dem andern Mann auf die Schulter, zeigte auf seine Schramme.

„Hast du dich geprügelt?“

Johann lachte.

„Pisda“, wiederholte der Pole. Er wandte sich den Farbeimern zu.

Inge ging aus dem Bad, Gina dicht hinter ihr.

„Wirf ihn raus“, sagte Inge zu Johann.

„Was ist los?“

„Er ist ein Schwein, wirf ihn raus“, sagte Inge.

Johann schaute zu Tomasz, und Tomasz schaute zu Johann. Sie blinzelten einander zu.

„Hast du etwa geile Träume, Inge?“, fragte Johann grinsend.

Ihre Hand klatschte in sein Gesicht.

Es war das einzige Mal, dass sie ihn schlug.

Johann rieb sich die Wange und lachte.

Er wurde nicht mal böse – das hatte er gar nicht nötig.

Tomasz durfte weiter die Wände weißen.

Letzte Aktualisierung: 20.04.2007 - 16.51 Uhr
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