Der Tod aus der Teekiste
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Mai 2007
Begegnung
von Manuela Schulz

Maritta stieg aus der Straßenbahn und wartete. Die Bahn fuhr ab und gab den Blick auf die erleuchteten Fenster ihrer Wohnung auf der anderen Straßenseite frei. Sie sah seinen Schatten hinter der Gardine, einen rundlichen Scherenschnitt, der wieder verschwand. Maritta blickte auf die Uhr. Es war viertel nach elf. Schon wieder so spät. Sie hätte nicht noch den großen Saal übernehmen sollen.
Ihre Füße brannten und die Hände juckten. Sie vertrug diese Putzmittel nicht. Maritta schaute erneut nach oben. Der Schatten war wieder da und schob die Gardine ein Stück beiseite. Sie konnte die Flasche in seiner Hand deutlich sehen.
Unwillkürlich duckte sie sich. Ein paar Sekunden verharrte sie regungslos. Dann lief sie los, den Kopf gesenkt und ihre kleine schwarze Handtasche fest an die Brust gepresst.

Er saß allein an einem Tisch in der hinteren Ecke von „Reginas Klause“. Er nahm sie wahr, als sie sich hinter den lärmenden Männern am voll besetzen Tresen vorbei zwängte. Ihre grauen Haare waren im Nacken zu einem Knoten gebunden. Sie trug einen dunkelblauen Sommermantel und presste eine kleine schwarze Handtasche an die Brust.
„Ist hier noch frei?“, fragte sie, als sie neben seinem Tisch stand.
Er sagte: „Bitte“.
Maritta setzte sich und stellte die Handtasche vor sich auf den Tisch. Sie saß aufrecht, die Hände im Schoß gefaltet. Er trank den Rest seines Biers aus und suchte mit den Augen das Lokal ab. Seine Hände umrahmten wie zwei Fächer das Bierglas auf der fleckigen Tischplatte. Er hob kurz den Arm. Die Kellnerin kam.
„Noch ein Pils?“, fragte sie ihn. Er nickte.
Die Kellnerin sah Maritta an. „Sie auch eins?“
Maritta schüttelte den Kopf. „Nein, lieber nicht. Wenn Sie einen Kaffee hätten?“
„Haben wir“, sagte die Kellnerin, nahm das leere Bierglas und verschwand.
Maritta sah auf seine Hände. Sie waren schmal und sehr gepflegt. Die Finger bewegten sich jetzt, als spielten sie ein imaginäres Instrument. Maritta rieb ihre Handflächen aneinander. Sie spürte die raue Haut, die Schwielen und den schmalen goldenen Ring, der sich wie eingewachsen anfühlte.
„Das Bier und der Kaffee!“ sagte die Kellnerin. Sie stellte das Bier vor ihm ab und blickte auf Marittas Handtasche.
„Verzeihung“, sagte Maritta, griff nach der Tasche und nahm sie auf den Schoß.
„Bitte“, sagte die Kellnerin, rückte ihr die Tasse hin und ging.
Maritta griff nach der Tasse. Ihre Hand zitterte. Der Kaffee schwappte auf die Untertasse und auf den Tisch. Sie sah, dass er sie ansah.
„Entschuldigung. Das tut mir leid. Ich bin das nicht gewohnt. Ich meine Kaffee, um diese Zeit!“ sagte sie.
Er nickte, trank einen Schluck und ließ seine Hände wieder spielen.
„Ich gehe sonst auch nie weg, wissen Sie! Das ist das erste Mal. Ich glaube, es ist das erste Mal seit fünfzehn oder zwanzig Jahren.“ sagte Maritta.
Er schwieg und sah auf seine Finger, die sich gewandt auf der Tischplatte bewegten. Maritta folgte seinem Blick.
„Sie haben sehr schöne Hände!“, sagte sie. „Sind Sie Pianist?“
Er sah sie an. „Nein, Pathologe!“
„Oh!“ Marittas Oberkörper straffte sich und sie presste die Henkel ihrer Handtasche zusammen. Er grinste. Dann hob er beide Hände hoch und bewegte die Finger geschmeidig in der Luft.
„Ja“, sagte er und sah auf seine Hände. „Diese schönen schlanken Finger schneiden schwammige Bäuche auf, wühlen in stinkenden Eingeweiden und kratzen zerquetschte Hirnmasse von Schädelknochen. Zufrieden?“
Maritta schluckte.
Er hob sein Bierglas. „Prost!“
Maritta nippte an ihrem Kaffe.
„Ich gehe nur putzen.“, sagte sie dann. „Ich mach das schon seit über fünfzehn Jahren. Aber jetzt kriege ich ganz rote Hände davon. Wahrscheinlich ist es das Scheuermittel. Hier sehen Sie!“
Maritta legte ihre rissigen Hände auf den Tisch. Er verzog das Gesicht.
„Tut mir leid.“ Maritta zog die Hände schnell wieder weg und verbarg sie hinter ihrer Tasche.
„Schon gut“, sagte er.
Maritta holte tief Luft. „Aber es ist doch sicher auch ein sehr spannender Beruf, den Sie da haben? Ich putze nur. Aber Sie können sogar raus finden, woran jemand gestorben ist!“
Er sah sie aufmerksam an.
„Glauben Sie wirklich, dass man das immer raus finden kann?“
„Na ja, ich dachte mir das so.“, sagte Maritta. „Im Fernsehen schaffen die das auch immer, mit solchen Geräten, den Tests und dem ganzen Zeug.“
„Im Fernsehen! Im Fernsehen! Das ich nicht lache! Diese Idioten! Was wissen die schon!“
Er beugte sich zu Maritta hinüber und sie sah seine kleinen schwarzen Augen glühen.
„Jetzt verrate ich Ihnen mal was“, flüsterte er. „Es gibt hier am Hals so eine kleine Stelle, gleich hinter dem Ohr. Ich zeige Ihnen das mal.“
Seine rechte Hand näherte sich ihrem Hals. Maritta wollte zurück weichen. Aber er war schneller. Wie ein kalter Hauch strich sein Zeigefinger hinter ihrem Ohr vorbei. Maritta fröstelte. Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust und sagte:
„An diesem Punkt, den richtigen Druck und aus ist es! Keiner bekommt da was mit! Glauben Sie mir, keiner!“ Dann hob er den Arm und rief: „Bedienung! Noch ein Bier bitte!“
Maritta starrte ihn an. Die Kellnerin kam mit dem Bier.
„Für Sie noch einen Kaffee?“ fragte sie Maritta.
„Nein.“
„Zahlen?“
„Nein. Ein Bier bitte“, sagte Maritta.
„Kommt sofort.“
Seine Hände waren wieder auf dem Tisch. Die Finger klopften auf die Tischplatte. Tack, tack, tacktacktack, tack, tack, tacktacktack. Er fixierte Maritta.
„Sie glauben mir nicht!“ sagte er.
„Doch, doch! Sie müssen es ja wissen. Sie kennen sich ja aus damit.“
„Und ob ich mich da auskenne! Und ich werde es Ihnen auch beweisen!“
Maritta knetete die Henkel ihrer Tasche. Ihre Hände wurden feucht.
„Nein, das brauchen Sie nicht, wirklich nicht! Ich glaube Ihnen das auch so!“
„Doch, doch, doch! Ich beweise es Ihnen!“
Er verschränkte die Finger seiner Hände ineinander und bog sie. Die Gelenke knackten. Maritta zuckte zusammen.
„Ihr Bier!“
Die Kellnerin warf einen Bierdeckel vor Maritta auf den Tisch und stellte das Glas ab.
„Noch einen Wunsch? Wir machen gleich Feierabend!“
Maritta sah zu ihr hoch. Dann schüttelte sie den Kopf. Die Kellnerin ging.
„Hören Sie“, sagte er und beugte sich näher zu Maritta, „Sie brauchen wirklich keine Angst zu haben. Es ist nur ein Handgriff. Es geht ruckzuck und tut überhaupt nicht weh!“
Maritta saß wie versteinert. Er legte seine Hand auf ihren Unterarm.
„Sie können mir ruhig vertrauen. Es ist so, wie ich es sage.“
Marittas Hände umkrampften die Taschenhenkel. Ihre Fingerknöchel wurden weiß.
„Sie sind ja irre!“, presste sie hervor.
„Ist das denn ein Wunder?“ raunte er.
Sein Blick wurde dunkler und sein Griff fester. Maritta spürte, wie kalter Schweiß ihre Bluse durchnässte. Plötzlich ließ er los. Er nahm einen Schluck Bier, lehnte sich zurück, reckte sich, und wandte sich wieder zu Maritta.
„Passen Sie auf, wir machen das ganz einfach! Sie sagen mir, wer weg soll und ich erledige das. Wie wäre es zum Beispiel mit …“ Er sah auf ihren Ehering. „Ja, wie wäre es zum Beispiel mit Ihrem Mann?“
Maritta blickte auf ihren Ring und schwieg.
„Wusste ich` s doch! Ihr Mann also! Wo ist er jetzt?“
Maritta schaute lange auf den dünnen Ring, der ihren Finger einschnürte. Schließlich hob sie den Kopf und sah ihn an.
„Zu Hause!“, sagte sie leise.

Maritta stand am Fenster und schob die Gardine ein Stück beiseite. Die Straßenbahnhaltestelle war noch verlassen. Sie sah auf die Uhr. Kurz vor vier. In einer Stunde fuhr ihre Bahn. Es wurde Zeit. Maritta ging zum Telefon.
„Hallo? Ist da der Notarzt? Hören Sie, ich bin gerade aufgestanden, für die Frühschicht wissen Sie! Und da hab ich` s erst gemerkt … mein Mann! Mein Mann, der atmet auf einmal nicht mehr!“

Letzte Aktualisierung: 21.05.2007 - 13.33 Uhr
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