Honigfalter
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Mai 2007
Die Einsamkeit eines Vampirs in einer langen Nacht
von Angelika Schröder

Ich wusste gar nicht mehr, wie ich auf dieses Schiff gekommen bin. Ich erinnere mich, gestern Abend im Hafenviertel eine recht heftige Sause mit zwei Kumpels gemacht zu haben. Die Seemänner, die wir anzapften, waren schon voll bis zum Stehkragen, sie hatten so viel Alkohol im Blut, dass auch wir bald beschwipst waren. Wir soffen uns also durch die seemännische Blutbank, waren ausgelassen und fröhlich. Das Wetter war genau für uns geschaffen, neblig, windig. Gut, wir sind sowieso nicht zu sehen, auch am Tage nicht, wobei wir uns tagsüber wegen der Empfindlichkeit unserer Augen gegen Helligkeit eher in abgedunkelten Räumen aufhalten. Meine Kumpel und ich leben aus Gründen der Sparsamkeit in einer Wohngemeinschaft, das heißt, wir teilen uns einen Sarg, unsere alten Kisten, in denen wir beerdigt wurden, waren mittlerweile natürlich hinüber. Wie man weiß, sind Särge nur für Ein-Personen-Tote gemacht. Deshalb haben wir zur Selbsthilfe gegriffen, uns im einschlägigen Fachhandel Bretter, Leisten und diverse Werkzeuge besorgt und einen Dreipersonensarg gezimmert. Gut, ist nicht gerade sehr bequem, aber preiswert. Unsere Nächte verbringen wir immer sehr ausgelassen auf der Pirsch, so auch gestern. Allerdings gingen mir meine Freunde Amadeus und Wolfgang junior verlustig. Als ich im Morgengrauen meinen letzten Schluck nahm, waren sie verschwunden. Nun gut, sie werden nach Hause finden. Ich selbst war bald voll und jetzt weiß ich nicht mehr, wie ich auf dieses Schiff gekommen bin.
Ich reckte mich, strich meinen Umhang glatt und schaute aus dem Rettungsboot, die Plane darüber bot mir Schutz während des Tages. Mein Kopf brummte, als seien hundert Fledermäuse damit beschäftigt, meine Schädeldecke von innen mit kleinen Hammerschlägen zu bearbeiten. Aber ich stelle mich mal zuerst vor, damit man weiß, wer ich bin, obwohl mir im Moment selbst Zweifel kamen, wer ich bin. Meine Zunge fühlte sich sehr pelzig an, mein Magen gab knurrende Laute von sich. Ah ja, vorstellen, mein Name ist Guiglio Sebastiano. Man erkennt unschwer, dass ich italienische Vorfahren habe. Derer von Sebastianos kamen aus einem kleinen Dorf in den Abruzzen, meine Eltern leben immer noch dort.
Ich spähte vorsichtig aus dem Rettungsboot und kletterte an Deck. Ich lehnte mich an die Reling und stellte fest, dass ich wohl auf einem Kreuzfahrtschiff war. Die frische Seeluft tat meinem Schädel gut, die Kopfschmerzen verschwanden langsam, nur der quälende Hunger blieb. Ich schaute mich weiter um und entdeckte ein Schild mit den Daten des Schiffes. ADIA hieß das riesenhafte Schiff, das immerhin 289 m lang war. Die Deckaufbauten sahen aus wie die Fassade einer Hochhaussiedlung im Armenviertel der Großstadt, entzückend! Ich schaute auf die Uhr und stellte fest, dass ich den ganzen Tag verschlafen hatte. Es war kurz vor 19 Uhr, wie ich auch auf meinem Handy sehen konnte. Ich schickte eine BVM (Bloody Vampire Message) an meine Kumpels, um sie zu beruhigen. Amadeus schrieb sofort zurück, dass sie wieder am Hafen wären und auf die Seemänner warteten. Ich muss aufpassen, die beiden werden mir noch zu Alkoholikern! Und mit zwei Schnapsleichen in einem Sarg zu liegen ist nicht gerade prickelnd. Sollte ich jemals von diesem Schiff herunterkommen, werde ich die beiden therapieren. Statt alkoholisierten Seemännern gibt es dann Blutorangensaft.

Nun begann also wieder eine lange Nacht. Ich schlenderte an Deck entlang, blickte in die Fenster und – irgendwie beschlich mich ein merkwürdiges Gefühl. Ich betrat einen der Salons und wusste schlagartig, was hier so merkwürdig war. Wo waren die Leute, die man normalerweise auf einem Kreuzfahrtschiff erwartet? Der Salon war leer! Leer – leer – leer!! Eine Katastrophe, ich hatte Hunger! Ich trank etwas Wasser aus der Leitung des Handwaschbeckens einer Toilette, die ich zufällig fand auf der Suche nach den Menschen, die ich doch so sehr liebe und brauche. Man stelle sich das doch mal vor, ein verkaterter und hungriger Vampir auf einem menschenleeren Schiff – ein Alptraum. Das würde wohl die längste Nacht meines Lebens werden. Das sind Momente, wo ich überaus sentimental werden kann. Ich schämte mich meiner Tränen nicht, fasste mich jedoch bald wieder, als mir einfiel, dass dieses Schiff ja fuhr, ich hörte die Motoren im eintönigen Rhythmus. Ein Schiff fährt schließlich nicht von selbst, obwohl ja technisch vieles in dieser modernen Zeit möglich ist. Ich ging wieder an Deck und suchte die Mannschaft. Mannschaft - gehören da nicht auch Stewards dazu und andere Matrosen, die das Schiff sauberhielten? Ich traf niemanden auf meinem Weg. Mittlerweile war es ganz dunkel, der volle Mond stand groß und schwer am Himmel, einige wenige Wolken zogen dahin, das Meer war sehr ruhig. Der Wind wehte jedoch und blies mir frische Seeluft in die bleichen Wangen. Hach, tat das gut. Meine Kopfschmerzen waren weg, auch der pelzige Geschmack im Mund. Nur der Hunger blieb, mein Magen knurrte herausfordernd. Plötzlich wurde mir ein wenig schwindlig und ich musste mich setzen. Na, bequem sind diese Liegestühle nicht, das kann man sagen. Warum liegen hier eigentlich Handtücher drauf? Es sind doch keine Passagiere da, in dem Fall keine deutschen Passagiere? Ich würde im Moment sogar einen wodkagefüllten Russen anzapfen, so hungrig war ich, auch auf die Gefahr hin, mich wieder zu besaufen. Meine bangste Frage war die, wohin das Schiff fuhr und wie lange es unterwegs sein würde. Denn wenn nur der Kapitän und einige wenige Offiziere an Bord wären, dann hätte ich ein Problem, ich esse gerne abwechslungsreich, jeden Tag Eintopf – nein Danke!

Ich stand wieder auf, nachdem der Schwindel vorbei war und ging weiter zum nächsten Deck. Aha, hier war wohl die erste Klasse, vielleicht reisen hier die Blaublüter. Übrigens, das wird auch immer in den Medien, ich habe die Batman’s Gazette abonniert, stark übertrieben, besser schmeckt das Blut auch nicht, wirklich. Mir persönlich ist es manchmal einfach zu fett. Aber das ist Geschmackssache. Wolfgang junior liebt es. Dafür hat er auch ein paar Kilo Übergewicht.
Neulich bemerkte er gerade wieder, dass er sich einen neuen Umhang kaufen müsse, der alte spanne ein wenig über dem Bauch. Amadeus und ich lächelten uns nur vielsagend an, tja, die Wahrheit glaubt Wolfgang junior ja nicht. Ich muss ihm mal ernsthaft ins Gewissen reden, denn nur seine Nahrung aus den Schlössern und Landhäusern zu beziehen, ist auf Dauer nicht gesund. Abwechslungsreiche Kost tut dem Organismus eines Vampirs wirklich gut, ich liebe die Abwechslung, verschmähe auch Fast Food, indem ich nie auf die Idee käme, einen MacDoof-Verkäufer anzuzapfen. Ungesund, wirklich sehr ungesund!
Ich schaute auf die Uhr und stellte fest, dass seit dem Beginn meines Rundganges nicht einmal eine Stunde vergangen war. Ich hasse diese langen Nächte, in denen so nichts, aber absolut nichts passiert – und der Hunger dazu!
Der Wind frischte etwas auf, was auch an den Wellen zu sehen war, sie kräuselten sich. Der Mond tauchte das Schiff in ein silbriges Licht. Eine Nacht, um Gedichte zu schreiben.

Der Mond scheint hier
Auf einen hungrigen Vampir.
Wer hat mich denn vergessen,
Ich brauche was zu essen.

Blödsinn! Der Hunger ließ mich faseln, ich kann auch gar nicht dichten. Dann entdeckte ich das Schild – ZUR BRÜCKE! Ich jubelte und mobilisierte alle meine Kräfte und stieg die sechzehn Stufen zur Brücke hinauf. Warum haben Schiffstreppen immer so schmale Stufen, ich habe große Füße.
Dann stand ich vor der Tür, sie war geschlossen. Ich wollte durch das Fenster hineinspähen, aber die Vorhänge waren zu. Also straffte ich mich und drückte leise die Klinke herunter. Ich öffnete die Tür und trat ein.
„Happy birthday to you, happy birthday to you, happy birthday dear Guiglio Sebastiano, happy birthday to you!“ Ich stand im fahlen Licht einer kleinen Lampe und blickte auf meine Freunde. Alle waren sie da, Amadeus, Wolfgang junior, die drei von der Zapfstelle und Mary, meine geliebte Bloody Mary. Sogar die spanische Band „Los tres vampiros“ war da und spielten ihren erfrischenden Sound. Ich lachte befreit und umarmte sie alle herzlich. Diese Überraschungsparty war ihnen gelungen! Ich hatte ja heute Geburtstag, mein 300., also ein runder Geburtstag, der einfach gefeiert werden musste. Sie hatten keine Mühen gescheut, das Schiff einfach zu kapern, als es verwaist am Pier lag. Als Überraschung hat man mir einen frischen Seemann aufgehoben, sodass ich endlich meinen Hunger stillen konnte. Danach wurde es noch eine lange, lange Nacht!



Letzte Aktualisierung: 13.05.2007 - 21.50 Uhr
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