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Juni 2007
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von Sabine Poethke


Mein lieber Bruder Josef!
Deine Briefe und das Päckchen mit den Lebensmitteln habe ich erhalten, wofür ich dir herzlich danke. Aber bitte schicke mir nichts mehr, es schmeckt mir nur halb so gut, wenn ich weiß, dass ihr es euch vom Munde absparen müsst. Wer weiß, was noch kommt und wenigstens die Frauen sollen annähernd satt sein.
Ja, ich denke auch gern an die schönen Stunden zurück, an denen wir zusammensaßen, daheim, unterm alten Lindenbaum, mit einem Glas Holunderwein in der Hand und über Gott und die Welt redeten. Lang, lang ist es her, so kommt es mir vor.
Ich konnte mich nicht eher melden, aber sobald es mir möglich war, wollte ich dir schreiben.
Wie geht es dir und den Deinigen?
Es passiert so viel bei euch. Deine Tochter, mein liebes Patenkind, hatte ihren dreizehnten Geburtstag und ist sicher langsam ein hübsches junges Froillein. Bitte segne sie und grüße sie herzlich.
Ich bekomme das alles nicht mit.
Lieber Josef, du wolltest wissen, wo wir liegen. Ich bin 250 Kilometer westlich von W. eingesetzt und soweit ich aus dem Graben gucke, sehe ich nur Steppe und Bäume. Ich habe ein MG. Mann, das hat etliche Schuss … aber lieber wäre ich zu Hause.
Wie geht es den Eltern?
Mutter muss sich schon Sorgen gemacht haben und dachte sicher, ich bin gefallen, weil ich so lange nicht antwortete. Aber ich konnte nicht, sag ihr, sie soll nicht böse sein. Gib ihr einen Kuss von mir. Und drücke sie. Solange sie nichts von mir hört, hört sie wenigstens nichts Schlimmes. Deine Briefe, lieber Bruder, bekam ich alle drei auf einmal, mit dem Päckchen zusammen. Also, grüße Mutter und bestell dem Vater, wenn ich heim komme, von der Mittelfront - so Gott will in einem Stück - helfe ich ihm beim Umbau der Scheune. Er soll warten.
Mein Bruder, ich bin froh, dass wenigstens du für sie da bist.
Ist der Jänner auch so kalt bei euch? Meinem Kameraden Johann, du kennst ihn aus anderen Briefen von mir, sind am rechten Fuß die Zehen abgefroren. Dafür kam er ins Lazarett und kann bald in die Heimat zurück. Habe ich nun Glück gehabt, dass mir die Zehen bleiben? Eine verrückte Sache ist das. Manchmal heule ich, aber das schreibe ich nur dir, das darfst du keinem sagen. Ich will ehrenhaft aus dem Krieg nach Hause kehren. Dieser Wahnsinn kann ja nicht mehr ewig dauern. Du kannst mir trotzdem ruhig glauben, dass ich nicht der einzige bin, der im Dreck die Tränen wischt. Die Kerle denken alle an daheim und jede Minute sitzt uns die Angst im Nacken.
Über das, was ich alles gesehen habe, will ich dir lieber nichts schreiben. Ich erzähle dir davon vielleicht in einer Nacht in einigen Jahren, bei Kerzenschein und rotem Wein, wo ich über all das hier reden kann – ohne dieses Schießen zu hören.
Nun will ich schließen, mein lieber Bruder Josef. Grüße die Heimat von mir und sag ihr, dass ich tapfer bin.

Dein guter Alois, 08. Januar 1943

***


Alois Baier, geboren in Hostomitz am 9. Februar 1915, fiel am 6. Oktober 1943 im Alter von nur 28 Jahren, ledig und fern der Heimat bei Welikye-Luki. Ein blauer Strich quer über die erste Seite des Arbeitsbuches, ein ebenfalls blaues Todeskreuz und der Vermerk: gefallen, sind das Einzige, was übrig blieb.


Es ist nur ein Schicksal dieser Zeit, die insgesamt zwischen 55 und 60 Millionen Opfer* forderte.
* Quelle: Wikipedia


© Sabine Poethke

Letzte Aktualisierung: 27.06.2007 - 16.27 Uhr
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