Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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Juni 2007
Alex
von Sascha Mrowka


„Alex? Was ist mit dir? Soll ich einen Arzt rufen?“
Ich vernahm die aufgeregte Stimme meiner Frau, nachdem man mir das Augenlicht geraubt hatte, und der mächtige Griff der Schwerkraft mich zu Boden gerissen hatte.
Ich stammelte und meine Lippen kosteten von dem Staub im Teppich, der meinen unfreiwilligen Sturz aufgefangen hatte. Dann spürte ich Ulrikes zarte Hände, wie sie mir über das Gesicht streichelten, wie sie meine rechte Hand griffen, während sie immer wieder meinen Namen sagte.
„Lass mich nur ...“, ich verstand mein Gestammel selbst kaum, „... nur einen Moment liegen. Geht gleich schon wieder.“ Meine Frau hatte einen gewaltigen Schreck bekommen, wie ich ihrer Stimme entnahm. Jeder hätte sich erschrocken, wenn mitten in der Nacht das Licht im Schlafzimmer angeht – ich war vor meiner kurzen Ohnmacht gegen den Lichtschalter gekommen – und dann mit einem Krachen der Partner vor einem zusammenFbricht.
Langsam wich die Dunkelheit und nahm meine Umgebung wieder wahr, wenn auch aus einer ungewohnten Perspektive. Einige Male atmete ich tief durch, spürte, wie meine Kräfte zurückkehrten. Noch einmal holte ich Luft, dann stützte ich mich mit den Armen ab und richtete mich auf. Ich schaute mich um und sah meine Frau zitternd vor mir stehen.
„Alex, was, in Gottes Namen, war denn?“
„Ulrike, alles halb so schlimm“, erwiderte ich mit beruhigender Stimme. „Du weißt doch, dass ich kein Blut sehen kann. Und im Fernsehen kam ein Bericht über die Notaufnahme eines Krankenhauses, da ist mir schlecht geworden. Mach dir also keine Sorgen.“
„Du bist gut! Mach dir keine Sorgen. Du hast mir eine Heidenangst eingejagt! Klar wird dir bei so was schlecht, aber du bist doch noch nie umgekippt. Du kannst morgen auf jeden Fall zum Arzt gehen und ...“
„Quatsch! Wegen so einer Lappalie? Die Ärzte haben wichtigeres zu tun.“ Ich winkte ab, das Thema war erledigt.
Dann kroch ich unter die Bettdecke und drehte mich auf die Seite, atmete demonstrativ kräftig ein und aus und wurde stetig ruhiger, um einen gesunden Schlaf vorzuführen. Ulrike war mir ins Bett gefolgt. Erst wälzte sie sich unruhig hin und her, aber schon bald war die Aufregung gewichen. Schließlich schlief sie dann doch ein. Ich lag wach im Bett. Mit offenen Augen starrte ich in die Dunkelheit. Es war wie bei meiner Ohnmacht, völlige Finsternis präsentierte sich mir. Jetzt überlegte ich, lag ich im dunklen Schlafzimmer oder war ich wieder ohnmächtig geworden? Wie hätte ich den Unterschied feststellen können? Ich grübelte, kam aber zu keiner Lösung. Irgendwann muss ich dann doch eingeschlafen sein.

Ulrike küsste mich sanft aus dem Schlaf. „Na, Schatz? Hast du gut geschlafen, geht es dir gut?“
Ich lächelte sie an. „Mir geht es ausgezeichnet!“, log ich sie an, während vor meinen Augen die Welt schaukelte, als sei sie auf hoher See unterwegs, und ich fürchtete, dass sie bei diesem Wellengang untergehen würde.
„Das ist schön. Aber willst du nicht trotzdem besser...“
„Das Thema hatten wir doch gestern Abend schon geklärt. Mir geht es prima und fertig.“
Ulrike verzog ihr Gesicht. Klar, sie wollte nur das Beste für mich! Sie warf die Bettdecke zurück und stand auf. „Ich gehe dann mal ins Bad und mache mich fertig.“ Schon war sie um die Ecke verschwunden, und ich hörte sie die Treppe hinunter gehen. Vorsichtig richtete ich mich im Bett auf. Noch immer schwankte alles vor mir auf und ab. Ich konnte mich nicht daran erinnern, mich jemals so schlecht gefühlt zu haben. Vielleicht hatte ich mir ja eine Grippe oder etwas Ähnliches eingefangen? Schnell wühlte ich im Nachtschrank, kramte eine Kopfschmerztablette hervor und schluckte sie. Schaden konnte es ja nichts, dachte ich. Als nächstes riss ich das Fenster auf, sog die Morgenluft ein. Ganz intensiv. Ein und wieder aus und ein und wieder aus... Einige Minuten später fühlte ich mich tatsächlich etwas besser. Ich ging die Treppe hinab, meine Beine fühlten sich zwar noch schlapp an, aber ich kam unbeschadet (ohne den von mir erwarteten Sturz) unten an. Geschafft! Mein Kreislauf war anscheinend wieder völlig okay, denn ich fühlte mich jetzt wirklich ausgezeichnet, wie ich es von mir gewohnt war. Nachdem ich mich für den Tag fertig gemacht hatte, verließ ich das Haus und ging zur Arbeit.

Die folgenden Tage verliefen völlig normal. Alltag eben. Aufstehen, arbeiten, Feierabend, bisschen Glotze, ein paar Bierchen in der Kneipe trinken, Freunde besuchen, einkaufen, ...

Der fünfte Tag nach meiner Ohnmacht fing an, wie die anderen zuvor – alltäglich. Im Badezimmer angekommen, wollte ich mich gerade rasieren, als ich Nasenbluten bekam. Kurz darauf folgten Schweißausbrüche und meine Beine fühlten sich wieder wie Pudding an. Schnell setzte ich mich auf den Toilettendeckel und atmete tief durch. 'Wenn das Ulrike sieht', schoss es mir durch den Kopf. Im selben Moment hörte ich sie die Treppe herunter kommen. Schnell stellte ich die Dusche an und schleppte mich unter den Wasserstrahl.
„Schatz, du duscht noch? Du bist heute aber spät dran. Beeile dich lieber etwas, sonst kommst du zu spät zur Arbeit“, hörte ich Ulrike vor der Duschkabine sagen.
„Ja, ich weiß Ulrike. Ich habe etwas gebummelt, schaff das aber noch locker. Bin gleich soweit. Kannst du mir schon mal einen Kaffee kochen? Dann hole ich wieder etwas Zeit rein.“
„Mach ich sofort, Alex.“
Meine Frau verließ das Bad und ich konnte hören, wie sie in der Küche den Kaffee vorbereitete. Das verschaffte mir ein paar Minuten. Meine Hände hatten sich am Duschgriff festgekrallt, jetzt ließ ich locker, langsam sank ich zu Boden. Noch immer prasselte das Wasser auf meinen Körper herab. Ich drehte am Mischer und nun kam es eiskalt aus der Brause. Das brachte mich wieder in Schwung. Das Nasenbluten hatte anscheinend aufgehört, jedenfalls war das Wasser inzwischen wieder klar. Zwar fühlte ich mich noch immer etwas geschwächt, aber ich musste mich zusammenreißen. Ulrike konnte jeden Moment reinkommen. Wenn sie was merken sollte... endlose Diskussionen wären dieses Mal die Folge. Das kalte Wasser hatte aber bewirkt, dass ich mich erneut in der Lage sah, den Tag wie gewohnt ablaufen lassen zu können. Ich trocknete mich ab, föhnte meine Haare und zog mich an. Schließlich ging ich in die Küche, um dort meinen Kaffee zu trinken.

Statt einer heißen Tasse Kaffee auf dem Tisch, fand ich dort meine Frau tot auf dem Boden liegen.

Fassungslos kniete ich vor ihr. Mein Zögern dauerte nur einen winzigen Augenblick, dann leistete ich Erste Hilfe, aber es war zu spät. Ihr Körper reagierte nicht auf meine Wiederbelebungsversuche. Keine Atmung, kein Puls, ihr Blick völlig starr. Schnell griff ich zum Telefon, wählte die Notrufnummer, aber am anderen Ende nahm niemand ab. Dann rannte ich auf die Straße, in der Hoffnung, dass ein Polizei- oder Krankenwagen vorbei fährt, aber es kam keiner. Ich rannte wieder zurück ins Haus. Kniete erneut vor meiner Frau und fing an zu weinen. Erst nach einiger Zeit bemerkte ich, dass meine Tränen Blut enthielten. Mir wurde ganz schlecht. Meine Arme und Beine fingen an zu kribbeln, vor meinen Augen wurde es wieder schwarz und ich brach über den Körper meiner Frau zusammen.

Ich weiß nicht, wie lange ich ohnmächtig war. Es waren wohl mehrere Tage, denn bei meiner Frau zeigten sich inzwischen die Spuren der Verwesung. Für sie kam jede Rettung zu spät. Mein Körper strotzte dagegen von Kraft. Was immer mich befallen hatte, ich war mir sicher, dass ich es besiegt hatte. Mit großer Sicherheit war ich es, der Ulrike mit einer tödlichen Krankheit angesteckt hatte. Zu meinen weiteren Opfern gehörte wohl auch der Kioskbesitzer, bei dem ich jeden Morgen meine Zeitung gekauft hatte. Meine Arbeitskollegen muss ich wohl ebenfalls auf meine Opferliste setzen, genauso wie die Menschen, denen ich in der Kneipe, im Einkaufszentrum und auf der Straße begegnet war.
Ich wanderte durch die Straßen, die mit Leichen übersät waren. Ab und zu begegnete ich noch lebenden Menschen, die aber schon stark von der Krankheit gezeichnet waren und sich bald zu dem faulenden Fleisch gesellen würden. Der Krankheitsverlauf war bei den Menschen unterschiedlich, aber das Resultat war immer das gleiche.
Niemand wusste woher die Krankheit so urplötzlich kam. Wie ein gewaltiger Flächenbrand breitete sie sich über den Erdball aus, so schnell, dass nicht einmal die Zeit geblieben war ihr einen Namen zu geben. Ich gab ihr einen: Meinen!

Letzte Aktualisierung: 21.06.2007 - 23.08 Uhr
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