Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Juni 2007
Erwachsenwerden
von Anita Aeppli


Klara und Joscha sind im Garten eines französischen Restaurants Essen gegangen. Eigentlich hätte Joscha seine ältere Schwester mit Geschichten und Witzen überschütten können. Er ist jung, beendet schon bald seine Lehrstelle und ist von Zuhause weg gezogen.Trotzdem ist er heute ausserordentlich ruhig und verschlossen.
„Du bist so abwesend Joscha.“
Sagt Klara und streift seinen apathischen Blick.
Joscha aber sitzt unberĂĽhrt da und zeigt keine Reaktion.
„Ich werde heute früher zur Arbeit gehen müssen, mein Kleiner. Aber das stört dich hoffentlich nicht, ein bisschen alleine im Garten zu verweilen. Mein Chef sagt ich solle am Projekt teilnehmen, welches wir nächsten Monat in unserer Firma vorstellen wollen. Wir werden für neue Kunden werben und ich bekomme eine Hauptfunktion in der Werbeabteilung.“
„So?“
Setzt Joscha eine Bemerkung ins Freie, ohne dabei eine Miene zu verziehen.
„Das hört sich gut an.“
Joscha führt sein Glas an den Mund und nimmt einen Schluck Wasser, während er weiter in das Leere starrt. Eigentlich nimmt er Klaras Erzählungen an diesem lauen Sommertag gar nicht richtig auf, zuviel Chaos herrscht in seiner eigenen Welt. Ihn belasten seine Gedanken von der Angst Erwachsen zu werden. Beinahe neidisch ist er auf seine ältere Schwester, welche ihren Alltag bereits im Griff zu haben scheint. Sie wohnt schon lange nicht mehr daheim. Er aber löst sich gerade vom Elternhaus und fühlt sich in seiner Situation schrecklich verloren. Als stünde er alleine vor einer riesigen Kluft, bei der er nicht weiss, wie er sie überwinden soll.
„Ich geh dann mal. Machs gut Joscha wir sehen uns in zwei Wochen wieder.“
Klara küsst ihren Bruder liebevoll auf die Stirn während er hastig ihre Hand schnappt und sie so fest hält, als wolle er nie wieder loslassen.
„Du bist heute aber komisch!“
Lacht Klara und zieht ihre Hand sanft zurück, während er seinen Druck löst und sie gehen lässt. Lange schaut er ihr hinter her wie sie durch die Wirtschaft schlendert und durch das Gartentor verschwindet. Nun fühlt er sich noch einsamer als vorher. Als stünde er
weit weg auf der anderen Seite eines riesigen Canyons. Seit geraumer Zeit fühlt sich Joscha alleine, weil es ihm scheint als stünden vor ihm diejenigen welche es schon geschafft haben erwachsen zu werden und hinter ihm die Anderen, welche die Welt noch mit Kinderaugen sehen. Er aber steht da mittendrin. Einsam und verlassen, als stünde er am Rande eines Abschnittes wo Erde und Sphäre sich voneinander trennen. Wo Märchen und Wahrheit eine unübersehbare dicke, schwarze Linie ziehen. Joscha fühlt sich als wäre er an einem Punkt angelangt, wo die Sicht plötzlich verschärft auf ihm lastet und er verzweifelt versucht mit kindischen Ausreden seine Angst vor dem wirklichen Erwachsensein zu verbergen.
Von seinem Tisch aus beobachtet Joscha die Menschen an ihren Plätzen. Er studiert ihre Gesten, ihre Haltungen und ihre Bewegungen.
Ob sie auch Angst hatten erwachsen zu werden und der Weg ihnen schwer viel sich vom warmen Nest, dem zu Hause zu lösen? Es kam ihm so vor als seien sie schon über den Abgrund gesprungen, wo es kein zurück mehr gibt in Mutters Schoss.
Joschas Gedanken ĂĽberschlagen sich und leise sagt er vor sich hin:
„Aber wer würde schon zugeben, dass es ihm schwer fällt sich bei den Grossen einzugliedern und das nach Jahren des unschuldigen Kindseins?!“

Er erinnert sich an den Tag, als seine Mutter ihm den ersten Kaffee angeboten hat und ihn stolzen Blickes ansah. Oder sein Vater neidisch seiner Freundin hinterher geschaut hat und ihn dann nach der Arbeit auf ein Feierabendbier mitgenommen hat.
Die Welt öffnete bedingungslos ihre Grenzen und erweiterte die Möglichkeiten. Doch zwischen Umbruch und Aufbruch stand auch eine Wegkreuzung des Alleinganges. Der einsame Teil in dem keiner mehr applaudierte und Niemand mehr Bewunderung zeigte, weil man ja mittlerweile von ihm erwartete „Erwachsen“ zu sein.
Doch das bin ich bei weitem nicht. Woher soll ich wissen, wie ich mich zwischen all den erfahrenen Menschen verhalten soll, ohne das sie erkennen, dass ich ein weisses Blatt ohne Schrift darauf bin?!
Joscha steht auf und schiebt den Stuhl an den Tisch.
„Einfach nur nach Hause.“
Brummt er vor sich hin.
„Aber wo ist das?“
Joscha verlässt das Restaurant und spaziert durch den üppig bewachsenen Park.
Wo ist zu Hause? Da wo nun Keiner mehr ist aussern mir oder dort wo ich frĂĽher mal wohnte und meine Eltern im Wohnzimmer sitzen?

Abends liegt der junge Mann in seinem Bett, starrt an die leere Decke und wünscht sich zu Ihnen zu gehören. Zu denen, die sich nichts anmerken lassen, wenn der Alltag voller Probleme ist. Zu denen, die nicht damit heraus rücken, dass sie halt doch gerne mal wieder von ihren Müttern in den Arm genommen werden würden und von ihren Vätern gelobt. Zu denen, die ihre Finanzen selbstständig unter Kontrolle haben – oder auch nicht und der Zukunft doch strahlend und selbstbewusst entgegen sehen. Zu denen, die ein erfahrenes Lächeln auf den Stockzähnen haben, wenn sie Geschichten von Rebellion, Krawallen und Liebeskummer hören. Jede Nacht wünschte er sich, es wäre einfacher gross zu werden und einfacher seinen Eltern zu sagen:
„Hey – ab und zu brauche ich euch doch auch noch.“
Und jeder Moment im Zwiespalt seines Kinderherzens und dem erwachsenen Stolz, fühlt er sich endlos allein. Allein in einer unendlich grossen Prüfung, in die er – wie seine Mutter zu sagen pflegt: Schon hinein wachsen wird. Das Leben sei da um zu lernen.
Im Moment aber spürt er nur seine Einsamkeit, inmitten einer grossen Gesellschaft, welche ihm nicht verrät ob er wirklich alleine da steht oder ob es noch Gleichgesinnte gibt.

„Ich bin nicht mehr Kind und doch grün hinter den Ohren.“
FlĂĽstert seine Stimme sanft in den leeren Raum.
„Bin noch nicht erwachsen und doch sehe ich aus wie ein Mann. Gehöre weder zu denen noch zu diesen.
Ich möchte zwar die Segel setzen und habe doch Angst den Anker zu ziehen. Ein Hin und Her der Gefühle – verdammt noch mal!“
Wie jede Nacht, reisst die MĂĽdigkeit Joscha in den Schlaf. In dieser Nacht begegnet ihm ein ruhiger und Mut bringender Traum.
Ein alter Mann sitzt mit Joscha an einem Tisch des französischen Restaurants. Joscha hat ihm viele Fragen über das Erwachsenwerden gestellt und schaut ihn hoffnungsvoll an.
Der alte Mann streift eine graue Strähne aus seinem Gesicht und antwortet ihm:
„Später mal, irgendwann wirst du dein Schiff über Höhen und Tiefen des Lebens hinaus steuern und zwar dann, wenn die Zeit für dich reif ist. Dein Alltag wird nur einen einzigen Unterschied haben; in den vier Wänden zu Hause warten keine Eltern mehr, die dich retten wenn du erschöpft heimkehrst.
Und du wirst immer weiter über das Meer der Zeit rudern, dich einmal vom Winde treiben lassen oder ein anderes Mal gegen die tosenden Wellen der Stürme ankämpfen.
Du wirst irgendwann plötzlich zu „ihnen“ gehören und die Kluft von heute hinter dir gelassen haben und dennoch wirst du dich dann und wann mal einsam fühlen. Wie ein Kapitän deines eigenen Lebensschiffes. Glaube mir mein Freund, du wirst manchmal wie ein einsamer Matrose auf hoher See umher irren. Und zwar immer dann, wenn die konstante Veränderung deinen Weg kreuzen wird oder ein bekannter und gemochter, ja gar geliebter Mensch dich verlässt. Immer wieder wirst du irgendwo an einer Stelle stehen und dich nach einem gelungenen Erfolg oder nach einer Beendigung eines Festes für einen kurzen Moment alleine sehen. Du wirst eine Anstellung finden und alleine mit dem Triumph nach Hause laufen. Du wirst Gutes sowohl auch Schlechtes erleben und unter dem Strich stets selber entscheiden müssen. Flut des Lebens könnte man es nennen. Ganz egal ob du Kind bist oder Erwachsener, jeder trifft auf seiner eigenen Reise immer wieder auf den ein und denselben Bekannten –
die Einsamkeit.“
Joschas zusammen gekniffene Stirn löst die Anspannung auf und ein beruhigtes Lächeln huscht über seine Lippen. Mitten im Schlaf beruhigt sich seine Verkrampfung und seine Gesichtszüge werden feiner. Und er träumt von Klippen und Mauern welche er überwinden muss und von Abgründen und Spalten die eine gewohnte Zeitspanne auflösen. Er träumt von der Liebe, die ihm Kraft gibt und vom Mut, einfach zu springen……..

Letzte Aktualisierung: 22.06.2007 - 10.36 Uhr
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