Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Juni 2007
Die alte Taubenfrau
von Anita Hintz

Heute war sein Geburtstag. Ein großes Fest erübrigte sich, da er weder Freunde noch Verwandte hatte. Wie schon in all den Jahren davor, würde er nun auch seinen 52. Geburtstag alleine verbringen.
Es war ein heißer Tag und er hatte sich den Tisch auf seinem Balkon gedeckt. Der aufgeschnittene Apfelkuchen, den er sich am Vorabend selbst gebacken hatte, stand schon draußen. Er hatte sogar an ein Geschenk gedacht, dass er sich selbst schenken würde. Sorgsam stellte er das Päckchen, das mit bunt bedrucktem Papier verpackt war, auf den Tisch, neben dem Kuchen. Als er die Thermoskanne mit dem heiß dampfenden Kaffee auf den Tisch gestellt hatte, trat er einen Schritt zurück und begutachtete stolz sein Werk. Er war zufrieden mit dem Bild dass er sah. Sehr zufrieden.
Alles um ihn herum war ruhig. Er mochte diese Stille, die ihm das Mehrfamilienhaus bot. Hier wohnten keine Kinder. Zumindest hatte er in den ganzen 3 Jahren, in denen er die kleine 2 Zimmerwohnung bewohnte, keine Kinder gesehen, geschweige denn gehört. Er hasste Kinder. Eigentlich hasste er alles, was ihm seine Ruhe stören könnte. Als er sich verköstigt hatte, lehnte er sich entspannt zurück und genoss die Ruhe und die warmen Strahlen der Sonne, die ihm ins Gesicht schienen. Plötzlich hörte er das Gurren einer Taube.
Ruckartig schnellte sein Körper nach vorne und er riss weit seine Augen auf. Sein hassvoller Blick richtete sich auf den Balkon gegenüber und er zischte durch zusammen gebissenen Zähnen: „Ekelhafte Viecher, diesmal bring ich diese alte Schachtel um.“
Voller Zorn rannte er die Stufen vom dritten Stock bis zum Erdgeschoss hinunter, riss die Türe auf und lief geradewegs auf die Eingangstüre des gegenüberliegenden Mehrfamilienhauses zu.
Wahllos drückte er auf einen der vielen Klingelknöpfe, so lange, bis der Summer ertönte. Mit voller Wucht rammte er die Türe auf, so dass diese gegen die Wand krachte.
„Oh nein“ dachte er grimmig „heute lass ich es nicht zu, sie wird mir nicht auch noch meinen Geburtstag vermiesen. Ich werde diese Schabracke eigenhändig aus ihrem Balkon werfen.“
Er fuhr mit dem Aufzug in den dritten Stock und bog in dem Gang dann nach links ab, wo er vor einer Haustüre zum stehen kam. Anneliese Prümmer stand auf dem Namenschild, direkt über der Klingel. Er hasste diesen Namen, genauso wie auch sie und ihre Tauben
Mehr als tausend Mal war er nun schon vor dieser Tür gestanden, voller Hass und Wut. Und so viele Male hatte er auch schon dieses Namenschild gelesen. Aber bei ihr geklingelt, nein, dass hatte er noch nie. Und auch heute klingelte er nicht bei ihr. Er lehnte sich an die Wand, schloss seine Augen und atmete tief und schnell.
Niedergeschlagen trat er seinen Rückweg an und dachte darüber nach, wie alles begonnen hatte.
Vor gut drei Jahren war er in das Mietshaus gezogen. Angefangen hatte alles damit, dass er einen Autoabstellplatz direkt unter ihren Balkon bekommen hatte. Und diese alte Hexe, die sich Anneliese Prümmer nannte, hatte nichts Besseres zu tun, als sämtliche Tauben der Stadt auf ihrem Balkon durch zu füttern. So kamen die Tauben täglich zu ihr geflogen und genauso oft musste er nun in die Waschstrasse um sein Auto von dem ganzen Taubenkot zu befreien. Er hatte sich mit einem Schreiben an die Häuserverwaltung gewand, aber es hatte nichts genutzt. Genauso wenig hatte die schriftliche Bitte um einen anderen Autoabstellplatz etwas bewirkt, man hatte ihm nur freundlich geantwortet, dass kein anderer Platz frei wäre. Seit damals ärgerte er sich über das kleinste Geräusch, dass ihre Tauben verursachten. Seit drei Jahren machte er dies nun schon mit und immer wenn er wütend zu ihr hinüber rannte, nahm er sich fest vor, bei ihr zu klingeln, um ihr endlich mal seine Meinung zu sagen. Natürlich hatte er noch nie ernsthaft vor gehabt sie umzubringen, dies dachte er immer nur im Zorn. Wenn er dann vor ihrer Türe stand, kam er sich oft ziemlich affig vor mit seinen vorschnellen Wutausbrüchen. Anneliese Prümmer war um die neunzig Jahre alt und lebte alleine. Nie hatte er beobachtet, dass sie mal Besuch bekommen hatte. Sie hatte scheinbar keine Angehörigen, die sich um sie kümmerten. Sie hatte niemanden, außer ihrer Tauben. Auf eine Art tat sie ihm auch leid und wenn diese Sache mit seinem Auto nicht wäre, hätte er ihr wahrscheinlich sogar Hilfe beim Einkaufen und wofür sie sonst noch Hilfe benötigte, angeboten. So aber kam immer wieder der Hass bei ihm durch, wenn er nur eine Taube sah oder hörte. Zu Hause setzte er sich wieder hinaus und beobachtete den Balkon von Frau Prümmer. Die alte Frau saß dort auf einem sehr brüchig aussehenden Schaukelstuhl und um sie herum scharten sich acht Tauben, die sie mit zitternden Händen fütterte. Schon oft hatte er ihr dabei zugesehen, sie hatte ihn jedoch nie bemerkt. Doch in diesem Augenblick hob sie den Kopf und schaute ihm direkt in seine Augen. Und dann winkte sie ihm freundlich zu und lächelte ihn an. Peinlich berührt nickte er zurück und lächelte auch ein klein wenig. In diesem Moment nahm er sich vor, er würde in den nächsten Tagen noch mal zu ihr hinüber gehen um ihr seine Hilfe anzubieten.
Am nächsten Tag hatte er die alte Frau nicht gesehen. Auch in den folgenden fünf Tagen bekam er sie nicht zu Gesicht.
Irgendwie hatte er das Gefühl, dass sie ihm fehlte. Ja, er vermisste sie.
Er saß wieder auf seinem Balkon und schaute auf den ihren hinüber. Ihr Rollladen war fast bis zum Boden heruntergelassen, einen Spalt breit war er noch geöffnet. Er sah zu, wie sich eine Taube durch den Spalt hinein drückte.
Plötzlich war ihm klar, dass etwas mit ihr passiert sein musste, sie würde auf keinen Fall auch nur einen einzigen Tag versäumen, ihre Tauben auf dem Balkon zu füttern. In den drei Jahren hatte er dies täglich beobachtet.
Er rannte hinüber und klingelte, wie sonst auch, an irgendeiner Klingel. Als die Türe geöffnet wurde, wartete er nicht erst auf den Aufzug, sondern rannte die Stufen in den dritten Stock. Und dieses Mal klingelte er bei ihr. Er klingelte und klingelte, doch es tat sich nichts. Das erste Mal empfand er keinen Hass vor dieser Türe. Was er fühlte war Angst und Sorge um Anneliese Prümmer. Er klingelte an der gegenüberliegenden Türe. Eine junge Frau öffnete und sah ihn fragend an. „Entschuldigen Sie“ sprach er sie an, „ich mache mir Sorgen um Ihre Nachbarin Frau Prümmer, ich sah sie schon einige Tage nicht mehr und auf mein klingeln hin öffnet sie mir nicht.“ „Na und, was soll ich da jetzt tun?!“ antwortete sie ihm barsch, „ob Sie es glauben oder nicht, ich lebe hier seit sieben Jahren und habe diese Frau noch nie gesehen. Außerdem kümmere ich mich nicht um die Angelegenheiten anderer Leute. Auf Wiedersehen!“ krachend ließ sie die Türe ins Schloss fallen. Er war entsetzt über die kalten Worte der jungen Frau.
Zu Hause benachrichtigte er die Polizei und wartete vor ihrem Hauseingang, bis diese eintraf. Etwas später kam ein Schlosser dazu, der die Türe von Frau Prümmer öffnete.
Das Bild das ihnen in der Wohnung der alten Frau geboten wurde war erschreckend. Das Wohnzimmer war spärlich, mit alten Möbeln, eingerichtet. Anneliese Prümmer saß auf einer alten abgewetzten Couch, als sei sie gerade erst eingeschlafen. Sie lächelte und ihre Gesichtszüge wirkten völlig entspannt. Ihre faltigen Hände lagen seitlich neben ihrem Körper. Doch sie war nicht allein. Überall um sie herum saßen sie. Das große Wohnzimmer war übersät mit unzähligen Tauben und egal wohin man schaute, alles war mit Taubenkot beschmutzt. Er rang nach Luft und eilte hinaus in den Gang.
Einen Monat später.
Er schaute von seinem Balkon aus zu, wie die Familie die Möbel in das gegenüberliegende Haus hinein trugen. Sie hatten drei Kinder im Alter zwischen zehn und vierzehn Jahren. Er konnte genau in ihr Wohnzimmer sehen, in dem sie alles abstellten. Sie würden nun in Anneliese Prümmers Wohnung, die neu renoviert wurde, leben.
Er fühlte Traurigkeit in sich aufsteigen und verließ seine Wohnung um einen Spaziergang zu machen. Seine Füße trugen ihn geradewegs zum nah gelegenen Friedhof. Dort angekommen, setzte er sich auf eine Bank.
Fünf Wochen war es nun her, seit die alte Frau gestorben war. Er hatte sie nicht gekannt und fühlte sich trotzdem einsam, seit er sie nicht mehr beim füttern ihrer Tauben beobachten konnte. Seit ihrem Ableben kamen auch keine Tauben mehr auf ihren Balkon, er sah und hörte sie nicht mehr.
Ein Friedhofsgärtner lief mit schnellen Schritten an ihm vorüber. „Hallo, entschuldigen Sie bitte, “ rief er ihm nach, „könnten Sie mir bitte sagen, wo sich das Grab von Anneliese Prümmer befindet?“ Abrupt blieb der Gärtner stehen und lief auf ihn zu. Er grummelte: „Anneliese Prümmer sagten Sie? Kommen Sie mit, das kann ich Ihnen sehr wohl sagen, wo dieses Grab ist. Waren sie ein Verwandter von ihr? Es kam noch niemand an ihr Grab, bis auf…, ach sehen Sie selbst.“ Er schaute in die Richtung, in die der Friedhofsgärtner mit dem Zeigefinger deutete. Sie waren angekommen. Ein paar Meter von ihnen entfernt lag ein Grab. Ihr Grab. Ein dunkelbraunes Holzkreuz mit ihrem Namen stand darauf. Auf dem Kreuz saß eine weiße Taube und unter dem Kreuz hatten sich mehrere Tauben der Stadt versammelt. „Sehen Sie“ sagte der Gärtner gereizt, „so sieht das hier täglich aus. Was ich auch tue, die blöden Viecher kommen jedes Mal wieder.“ Er fand es überflüssig darauf zu antworten und lächelte dem Friedhofsgärtner nur wissend zu.

Letzte Aktualisierung: 23.06.2007 - 10.18 Uhr
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