Der Tod aus der Teekiste
Der Tod aus der Teekiste
"Viele Autoren können schreiben, aber nur wenige können originell schreiben. Wir präsentieren Ihnen die Stecknadeln aus dem Heuhaufen."
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Luzia Fischer IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Juli 2007
Ekel – Jenny
von Luzia Fischer


Die schwitzenden Hände vergräbt sie in den Falten ihres knöchellangen Rockes, der eigentlich ihrer Mutter gehört. Darüber wölbt sich ein Sweatshirt, das schon ihr älterer Bruder getragen hatte. Sie trägt fast immer die gleichen Sachen, weil ihr Kleiderschrank nicht mehr hergibt. Außerdem besitzt sie nur wenig Klamotten, in die sie noch hineinpasst.
Jenny schwitzt fast immer, egal zu welcher Jahreszeit, vor innerer Anspannung und Angst. Nur zuhause fühlt sie sich wohl, da starrt sie niemand an oder macht abfällige Bemerkungen. Sobald sie morgens die Wohnung verlässt, ist sie wieder da, die Angst und diese Beklemmung, die wie eine schwerer Klumpen in ihrer Brust hockt.
Ihre Haare wirken dünn und strähnig, kein Shampoo oder Spülung konnten bisher etwas dagegen ausrichten. Heute früh hat sie auch noch eine hässliche Pustel auf ihrer Stirn entdeckt, ihren ersten Pickel.
Bewegungslos verharrt Jenny auf der schmalen Bank in der Bushaltestation und stiert, den Kopf tief gesenkt, auf den Asphalt. Hinter ihr toben sich die Klassenkameraden auf dem Schulhof aus. Sie lachen, balgen sich miteinander und werfen sich Sprüche zu, die sie besonders lustig finden.
So lange sie mit sich selbst beschäftigt sind, fühlt sich Jenny in Sicherheit. Dann ist sie für die anderen unsichtbar, und sie kann aufatmen. Am liebsten wäre sie für immer unsichtbar.
Noch vor zwei Jahren ist sie gerne zur Schule gegangen. Sie hatte auch ein paar Freunde, nicht viele, aber immerhin. Dann wurde ihr Vater arbeitslos. Auf dem Bau gibt es immer weniger Arbeit. Ihr Vater ist schon über vierzig und niemand will ihn mehr einstellen. Gegessen wird, was nicht viel kostet, aber dafür reichlich. Überhaupt war Essen zum Hauptthema in ihrer Familie geworden. Essen und Fernsehen.

Warum quält sie sich jeden Tag in die Schule? Jenny stellt sich diese Frage wieder und wieder. Auf den Unterricht kann sie sich kaum konzentrieren, weil die Angst ihr ständig im Nacken sitzt. Angst vor manchen Lehrern und ihren abwertenden Äußerungen. Angst davor, an die Tafel gerufen zu werden. Ihr Kopf wird jedes Mal ganz leer, wenn sie vor ihren Mitschülern steht, die sie hämisch angrinsen oder Grimassen ziehen. Dann bringt sie kaum ein Wort hervor, beginnt zu zittern und zu stottern.
Angst vor dem Sportunterricht, vor allem wegen dem Spott der Mitschüler, wenn sie wie ein plumper Sack über dem Kasten hängt, weil sie es nicht schafft, darüber zu springen.
„Riecht ihr das auch?“, schreit ein hochgewachsener, blonder Junge auf einmal. „Wie im Schweinestall stinkt es hier!“
Jenny zuckt zusammen, den Blick weiter stur auf den Asphalt gerichtet. Die schwitzende Hände zwischen ihren Rockfalten zittern und krallen sich verzweifelt in dem Stoff fest.
„Fette Säue stinken nun mal!“, ruft ein anderer. „Sie schwitzen und wälzen sich am liebsten im Dreck!“
Ein höhnisches Gelächter folgt und treibt ihr die Schamröte ins Gesicht. „Sie werden nicht aufhören“, denkt sie zerknirscht. „Sie werden nie damit aufhören!“
„Ekel – Jenny! Ekel – Jenny! Schwitzt wie ein Schwein! Dicke Sau!“
Mädchen wie Jungen fallen in den Sprachgesang mit ein, und bewegen sich auf die Haltestation zu. Schnell hält sie sich die Ohren zu und blinzelt die Träne weg, die über ihre erhitzte Wange laufen will. Schweißperlen bilden sich an ihren Schläfen und im Nacken, selbst auf ihrer Oberlippe.
Im nächsten Augenblick ist sie von Schülern umringt, die höhnisch grinsend auf sie herabblicken.
„Schwitzt wie ein Schwein!“, hört sie trotz des Rauschens und Pochen in Ohren heraus. Sie drückt ihre Hände noch fester dagegen.
Der Schulbus fährt vor, aber sie schreien weiter:
„Ekel - Jenny, fette Sau!“ Der blonde Junge boxt ihr noch schnell gegen die Schulter, dann rennen sie endlich los und steigen ein.
Jenny bleibt wie gelähmt sitzen und nimmt zitternd die Hände von ihren Ohren. In ihrem Mund entsteht ein gallenbitterer Geschmack, und sie spürt Wut und Hass in sich aufsteigen, wie noch nie zuvor. Jenny beißt die Zähne fest zusammen, dass sie knirschen, während sich die Fingernägel in ihren Handballen bohren. „Ich mache euch tot!“, stieß sie mit bebender Stimme hervor. „Irgendwann mache ich euch alle tot!“

Letzte Aktualisierung: 17.07.2007 - 16.37 Uhr
Dieser Text enthält 4260 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.