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Die letzten Stunden in Klausur von Anna Maria Sauseng
Die Sonne war noch nicht in den Tag gegangen.
Zum letzten Mal hörte Sr. Cäcilia den morgendlichen Weckruf.
Leise wie gewohnt stieg sie aus Bett. Ihre Fingerspitzen der rechten Hand legte sie auf Stirne, Brust, rechts und links, mit dem Zeichen des großen Kreuzes segnete sie sich für den neuen Tag.
Es war Dienstag, trotzdem holte sie das Festtagskleid aus dem Schrank, legte es über den Stuhl.
Die kleine morgendliche Reinigung am Waschbecken beanspruchte nicht viel Zeit. Bevor sie sich ankleidete, schaute sie etwas länger als sonst in den Spiegel. Die dunklen Haare kurz gewellt über ihren Kopf, umrahmten das etwas blasse Gesicht. Groß schauten die Augen aus dem Spiegel ihr entgegen.
Morgen schon würde sie ihre vollen Lippen mit einem Stift röten und die Augenbrauen nachziehen. Sie strich ihren schlanken Körper von den Hüften nach unten, wurde sich dabei wieder ihrer Körperlichkeit bewusst. Ein Blick auf die Uhr, es war Zeit zum Gebet zu gehen.
Vom Stuhl nahm sie ihr Kleid, schlüpfte hinein, schloss den Gürtel, bedeckte zum letzten Mal mit den Schleier ihren Kopf, nahm das Stundenbuch vom Nachttisch. Die kleine Tasche mit ihren wenigen privaten Habseligkeiten stand griffbereit neben dem Ausgang. Leise öffnete sie die Türe, drehte sich kurz um und schaute zurück in den Raum, welcher 15 Jahre lang ihr Zuhause war.
Bett, Nachttisch links vom Fenster, rechts ein Schreibtisch ein Stuhl, ein Kleiderspind, das Waschbecken und ein kleines Bücherregal entlang der Wand.
Eine Wehmutsträne kullerte über ihre Wange, doch sie wischte sie mit dem Handrücken weg. Sie schloss die Türe zu und ging den langen Korridor entlang. Der Boden glänzte gebohnert, es roch seifig nach Putzmittel. Die ersten Sonnenstrahlen spiegelten sich bereits auf den dunklen Steinfließen.
Das lange Ordenskleid wehte um ihre Beine.
Bevor sie zur Stiege kam, schaute sie noch einmal zurück, und wieder spürte sie, wie ihre Augen sich mit warmer Flüssigkeit füllten.
Diese Stille, dieses geordnete, behütete Leben der Seele zugedacht, hatten den wilden Fragen und Wünschen des Leibes nicht standgehalten.
Ihre Tätigkeit auf der Krankenstation verrichtete sie nicht ungern. Es wurde ihr jedoch keine freie Zeit zugelassen, um sich mit anderen Dingen zu befassen, als mit jenen, welche unmittelbar ihren Beruf und das geistliche Leben betrafen. Es entstand in ihr ein Hohlraum und sie dachte zurück an die Zeit, wo sie mit Farben und Pinsel in der Natur gesessen war und Bilder malte, dort war sie glücklich und ausgefüllt gewesen.
Allmählich, im letzten Jahr war es geschehen, dass Sr. Cäcilia sich von ihrer Berufung zur Ordensfrau gelöst und die Entscheidung getroffen hatte in das Zivilleben zurück zu kehren.
Sie hörte ihren geistlichen Begleiter sagen: „Sie werden auch außerhalb dieses Hauses in der Nähe Gottes leben können.“
Mit jeder Stufe, die sie nach unten schritt, entfernte sie sich von dieser ihrer Bindung. Und je überkam sie eine Vorfreude, sie dachte an die Freiheit, an eigenes Geld, an bunte Kleider, Wohnung und vielleicht auch ein Auto – dies alles erwarte sie, wenn sie erst die Schwelle dieses Hauses überschritten habe. Und sie dachte auch an all die lieben Menschen mit denen sie wieder beisammen sein würde.
Im Meditationsraum brannten schon alle Kerzen, ihre Mitschwestern waren bereits vollzählig, auf ihren Plätzen, bereit zum Morgenlob. An diesem Morgen ging sie nicht mehr auf ihren einst zugewiesenen Platz, stellte sich stattdessen in die letzte Bankreihe.
„O Gott, komm mir zu Hilfe!“ „Herr, eile mir zu helfen!“ Der Beginn eines jeden Stundengebetes. Weihrauch- und Kerzenduft hüllte sie in die gewohnte Geborgenheit. Ihr Blick heftete sich, vorne rechts, neben dem Hauptaltar auf die große Ikone von Christus als König. Und sie betete und sang das Laudes wie bisher mit, innig stieg ihre klare helle Stimme zum Himmel empor. Keine Reue empfand sie, diesen Schritt getan zu haben.
Nach dem Gebet begab sie sich gleich zur Frau Oberin, um ihre Papiere und den Koffer, zu holen. Es gab Weiteres nichts mehr zu tun.
„Hier, ich habe alles hergerichtet. Unterschreiben Sie das Formular rechts unten,“ hörte sie die vertraute, energische Stimme der Älteren sagen, sie klang diesmal ungewohnt kühl, fand Sr. Cäcilia.
Ihre Hand zitterte, als sie ihren Namen, den Taufnamen Renata, auf das weiße Papier schrieb. Sie war ab jetzt nicht mehr die Sr. Cäcilia.
Sie schob das Blatt über den Tisch zurück und wagte nicht aufzublicken, bis sie die Stimme der Oberin nochmals hörte:
„Frau Wendl, ich wünsche Ihnen alles Gute, Gott segne Sie.“ Ein sanfter Händedruck, und Renata antwortete: „Ich danke für alles, Grüß Gott!“ Ganz verschwommen sah sie das ernste, strenge Gesicht ihrer bisherigen Vorgesetzten vor sich. Es fröstelte sie.
Renata schloss die Türe ganz leise, ging über den Gang in das gegenüberliegende Zimmer.
Dort nahm sie den schwarzen Schleier vom Kopf, zog den blauen Habit aus, und hängte beides auf den dazu vorgesehen Bügel. Sie legte das grüne Buch mit den verschieden farbigen Bändern auf den Tisch. Der dunkle Umschlag trug feuchte Spuren ihrer Finger.
Dem Koffer entnahm sie die Jeanshose, ihre Sandalen, die Jeansjacke, es war Sommer, als sie eingetreten war, warm wie heute.
Kurz kämmte sie ihr Haar zurecht. Im Spiegel sah sie ein zages Lächeln. Hastig packte sie ihre Sachen zusammen.
Mit Handtasche, und Koffer verließ sie nun den Raum, den sie bei ihrem Eintritt voller Erwartungen betreten hatte. Ein zweiter Ausgang führte hinaus in die Welt, diesen öffnete sie und trat auf die Straße. Und langsam, ganz langsam zog sie das Tor hinter sich zu. An
seiner Außenseite war nur ein Knopf, keine Klinke, dieser Eingang war für sie nun für immer verschlossen.
Das Schloss klinkte ein. Mit den Rücken an die Wand gelehnt verharrte sie einige Minuten, ein leichtes Zittern lief noch immer durch ihren Körper, sie atmete tief durch, schloss die Augen: „Zu Ende! Ich bin wieder frei.“ murmelte sie.
Dann schaute sie die Straße entlang, kein Mensch war zu sehen, sie aber schritt nun entschlossen voran, ihre Jugendliebe hinter sich lassend.
Letzte Aktualisierung: 24.07.2007 - 11.12 Uhr Dieser Text enthält 6156 Zeichen.