Das alte Buch Mamsell
Das alte Buch Mamsell
Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Julia Breitenöder IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Juli 2007
Ein Paar zu viel
von Julia Breitenöder

Sie hat es wieder getan.
Wie betäubt starre ich in die Tragetasche mit dem auffälligen Logo einer Nobelboutique. Die Erkenntnis sickert langsam, aber unaufhaltsam in mein Gehirn. Ich komme mir vor wie der Mann in diesem blöden Witz. Der arme Kerl, der drei leere Bierflaschen und eine Kiste voller Münzen unterm Bett entdeckt, seine Frau zur Rede stellt, und sie gesteht: Jedes Mal, wenn sie ihn betrogen hatte, trank sie danach eine Flasche Bier. Er ist erleichtert, bei seinen häufigen Dienstreisen sind die drei Flaschen zu vernachlässigen. Und das Geld? Das ist das Pfand für die leeren Flaschen, die sie bereits zurückgebracht hat …
Ich bin nie auf Dienstreisen. Und trotzdem … Meine Marlene begnügt sich nicht mit Bier. Bei ihr muss es ein neues Paar Schuhe sein. Keine billigen Treter, nein, nur das Beste und Teuerste kommt an ihre Füße. Ihre Sammlung ist beeindruckend. Am neusten Paar hochhackiger Sandalen von Manolo Blahnik baumelt noch das Preisschild. Für das Geld kaufen andere Leute ein Auto. Noch schlimmer ist, dass ich weiß, wer Marlenes neuste Eroberung ist. Mein Kumpel und Golfpartner Walter – ausgerechnet! Was findet sie bloß an Bierbauch und Glatze?
Während ich die Tüte wieder unter den Schrank schiebe und die langen Reihen der Schuhe auf den Regalen mustere, weiß ich auf einmal, was zu tun ist. Dieses Paar Schuhe ist eindeutig eins zu viel, ich spiele nicht mehr mit – und Manolos für Walter sind sowieso völlig übertrieben. Was genug ist, ist genug.

Gedämpfte Musik dringt ins Zimmer, der Champagner perlt in unseren Gläsern. Mit funkelnden Augen sieht Marlene mich an, ein Blick, der alles verspricht.
„Nicht jetzt, Liebling.“ Lächelnd streiche ich über ihre nackte Schulter. „Die Gäste warten schon.“
Wir verlassen das Schlafzimmer gemeinsam, ihr Arm liegt locker um meine Hüfte. Vor nicht allzu langer Zeit hätte diese leichte Berührung mich erregt, heute sehe ich nur die Schuhe an ihren Füßen. Die neuen Manolos. Sie passen wunderbar zu ihrem schulterfreien Kleid, das blonde Haar fließt über ihren Rücken.
Stimmengewirr dringt aus der Halle zu uns empor, als wir die Treppe erreichen. Der Fotograf hebt die Kamera und alle Köpfe wenden sich uns zu. Wir sind ein hübsches Paar, immer gewesen, und auch heute, an unserem fünfzehnten Hochzeitstag, hat die Attraktivität kaum nachgelassen. Immerhin habe ich keinen Bierbauch wie Walter, der im schlecht sitzenden Anzug nahe an der Tür zum Speisezimmer steht und auf die Eröffnung des Buffets wartet. Und auf meine Ehefrau.
Marlene lächelt mir zu, dann steigt sie die Stufen hinab. Da passiert es. Mit einem deutlich hörbaren Knacken bricht der linke Absatz. Marlene balanciert auf einem Bein, rudert mit den Armen, streckt eine Hand nach mir aus. Bevor ich danach greifen kann, stürzt meine Frau kopfüber die gewundene Marmortreppe hinab. Ihr Genick bricht leise, dieses Knacken hört keiner der Anwesenden.

Die Beerdigung ist keine große Sache, im engsten Familienkreis wird Marlene beigesetzt. Ich habe ihr neue Schuhe gekauft. Für weniger als hundert Euro, trotzdem elegant, sie hätten ihr gefallen.

Marlenes Schuhsammlung lasse ich von einer Entrümplungsfirma abholen, meine kleine Feile verschwindet wieder im Werkzeugkasten. Eigentlich müsste ich erleichtert sein, zufrieden. Aber es bohrt immer noch in mir, hartnäckig wie das stete Tropfen eines defekten Wasserhahns geistert die Demütigung durch meine Gedanken: Manolos für Bierbauch und Glatze!
Also schultere ich meine Golftasche und fahre zu Walter. Er ist überrascht, dass ich schon wieder auf den Platz will, selber sieht er nicht ganz fit aus mit seinen rot unterlaufenen Augen und dem aufgequollenen Gesicht.

Es geht erstaunlich einfach. An einem Hang kommt unser Golfcart ins Rutschen. Bevor es in den Teich kippt, wird Walter herausgeschleudert und unter dem Gefährt eingeklemmt. Ich warte, bis er sich nicht mehr bewegt, dann rufe ich per Handy den Platzwart zu Hilfe. Als er wenig später die Unfallstelle erreicht, findet er mich völlig aufgelöst bis zur Hüfte im Wasser stehend vor, doch meinen Kumpel konnte ich allen Anstrengungen zum Trotz nicht retten.

Später sitze ich in der Bar und lasse mir vom Clubpräsidenten einen Drink nach dem anderen spendieren. Der gute Mann möchte helfen, meinen Schmerz zu betäuben. Erst Marlenes tragischer Tod, und jetzt die Sache mit Walter … Aber solche Dinge passieren, wenn man angetrunken auf den Platz geht. Während sein Monolog meine Ohren streift, fixieren meine Augen die junge Frau am Tisch in der Ecke. Ich habe sie noch nie hier gesehen, und sie ist allein. Als sie meine Blicke bemerkt, schenkt sie mir ein Lächeln, das den Raum erhellt.
Ich lehne mich entspannt zurück, ein prickelndes Glücksgefühl im Bauch. Es ist vollbracht. Zur Feier des Tages sollte ich mir ein Paar neue Schuhe gönnen. Oder zwei?

Letzte Aktualisierung: 27.07.2007 - 00.00 Uhr
Dieser Text enthält 4878 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.