'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
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Juli 2007
Lichterloh
von Katharina Joanowitsch

Nur wenn sie auf den äußersten Fußspitzen steht, kann sie durch die entlaubten Bäume den Giebel beobachten. Um einem Krampf vorzubeugen, wippt sie bisweilen auf den Sohlen, oder lehnt sich an die raue Schuppenwand. Kein Vorhang versperrt den Einblick durch das hell erleuchtete Fenster, das den gesamten Dachwinkel einnimmt, einzig das Astwirrwarr und die Stäbe einer Balkonbrüstung behindert den freien Blick. Sie weiß, dass die Beiden sich dort treffen, David und Verena. Es ist der 14. Januar, das Datum lange schon festgelegt. David und Verena wollen einen Zwischenstand ihres Selbstversuchs besprechen, in den sie, Anna, unwillentlich hineinstolperte. Ha! Annas Stöhnen formt eine kleine, verärgerte Wolke.
Gerade nur ihre Haarkuppen sind zu sehen, wie poliertes Mahagoni im Schein der Hängelampe, ihre Köpfe bewegen sich kaum. David erhebt sich und tritt ans Fenster, was Anna wie ertappt in die Knie sinken lässt. Doch er zündet sich nur eine Pfeife an, wedelt das Streichholz aus und verschwindet wieder. Während der Januarfrost die Beobachterin äußerlich erstarren lässt, erhitzt sie innerlich ein unaufhörlicher Bilderstrom.

Da war diese sentimentale Weihnachtsgeschichte, die illustriert werden musste. David, verantwortlicher Redakteur, trifft auf Anna, freiberufliche Zeichnerin. Eine hanebüchene Geschichte. Sie streiten über Nichtigkeiten. Aus purer Lust, sagen die Blicke. Dann seine Einladung. Feuchtes Grieselwetter vor den Fenstern, Davids selbstgebackener, duftender Pflaumenkuchen, Kerzen zwischen weißem Porzellan. Anna, verschüchtert bis in die Fingerspitzen, fühlt diese Spannung in der Luft, fast greifbar, entzündbar. Die Sätze klingen zweideutig, die Gesten wirken haltlos, die Blicke hungrig. Da, die kleine Plastik in Davids Hand, ein verschlungenes Paar im Liebesakt, er hat sie selbst aus Holzpaste modelliert. Die Statuette wechselt von Davids Hand in Annas Hand, schmeichelnde Berührung, Anna überfällt panisch der Wunsch zu fliehen. Um nicht an seine Brust zu stürzen. Beide sind wie aufgescheucht, beschließen einen Spaziergang.
Dann dieses Stehen bleiben, sich anschauen, forschend, wünschend, die Hände ziehen ihre Bahnen, probeweise, auf kaltfeuchtem Manteltuch des anderen. Davids Hut, dessen Krempe sich gegen die Weglaterne wie ein dunkler Heiligenschein ausnimmt. Sprühender Schnee, glitzernde Tropfen vor samtener Dunkelheit.
„Du bleibst doch, Anna?“. Davids summender Bariton. Anna bleibt.
Dieses Staunen und diese Leichtigkeit, die Körpersprache des anderen, fremd und nah.
Rasante Annäherung nennt David ihr Zusammenfinden noch in der ersten Nacht.

Anna bleibt sogar, als sie nach einem Monat erfährt, dass David in einer Art Probezeit lebt. Einer Auszeit nach sieben gemeinsamen, dennoch verschwiegenen Jahren mit einer Verena, Davids Geliebter neben der Ehefrau. Verena und er hätten sich für fünf Monate eine Atempause verordnet, empfohlen und flankiert von ihrem Paar-Therapeuten. Die Ehefrau spiele sowieso keine Rolle, mit der lebe er in Scheidung. Am 14. Januar würde die Probezeit mit einer Entscheidung enden. Bis dahin... bis dahin versucht Anna nur den Augenblick zu leben.
Noch zwei Monate. Zwei reichhaltige Monate. Winterliche Ausflüge auf schneekalter Insel, rotnasig und übermütig. Essenszelebrationen. Liebeszelebrationen. Aber auch nächtliches Aufschrecken, verzweifelte Stoßgebete.

Glück ist das lichterlohe Bewusstsein: diesen Augenblick wirst du nie vergessen!

Ein dickbackiger Mond starrt kühl auf Anna herab, deren vergebliche Beobachtung allmählich in Verärgerung umschlägt. Zum Lachen. Die ganze erbärmliche, froststarre Gestalt zum Lachen. Bestimmt hat sie brennend rote Lider, eine bläuliche Nase, eine triefende noch dazu, schrundig trockene Lippen. Kein Anblick, mit dem ein abtrünniger Geliebter wieder bekehrt werden könnte. Zudem nicht, wenn er – verdammt – genau neben sich ein gut durchwärmtes, lang vertrautes Weib sitzen hat. Anna keucht hasserfüllt.
„Ich werde euch einheizen!“
Kaum hat sie die grimmige Drohung ausgestoßen, reißt sie sich aus der Starre und stakst steifbeinig aber zielstrebig auf die rückwärtige Hausfront zu. Bläulich schwarze Schatten flecken den Garten und die Wand. Auf gestapeltem Gartengestühl lehnt ein hoher Tannenbaum, hier und da blinken vergessene Lamettastreifen zwischen den mürben Nadeln. Die Spitze reicht fast bis oben zur Balkonbrüstung.
Annas Hände, trotz der Handschuhe steif gefroren, sind kaum zu gebrauchen beim Hervorkramen der Streichhölzer. Als sie endlich die Papplade herauszieht, purzeln Hölzer auf die Terrassenbohlen. Egal, es sind genug. Die übrigen Hölzchen bündelt sie und reißt mit einem Ratsch an der Reibfläche entlang. Die aufzischende Flamme schleudert sie in die ausgedörrte Weihnachtstanne. Aufjaulend stürmt eine Flamme hervor, jagt heulend, knisternd und haltlos bis hinauf zur Spitze. Was für eine Lohe!
Anna, verwirrt vom eigenen Entschluss, durchtobt von widerstreitenden Gefühlen, halb gelähmt von der plötzlichen Hitze, die auf ihren noch kältestarren Körper trifft, weicht nur langsam zurück. Angestrengt starrt sie zum Dachwinkel hinauf, versucht, durch die grellen Flammen hindurch zu erkennen, ob – da kippt, voran die glühende Spitze, der ganze Baum, es kippt das nun auch brennende Gestühl, kippt – auf sie, Anna.
Eben noch Anna, hassend, liebend, nun ein Wesen, dem lodernden Baum ähnlicher als einem Menschen. Und gleich nur noch ein Seelenhauch, aufsteigend, mit mattem Erstaunen die irdischen Schmerzen erinnernd, fast ohne Wehmut die beiden Gestalten betrachtend, die sich gerade aufschreiend über die Balkonbrüstung beugen.

Letzte Aktualisierung: 20.07.2007 - 15.20 Uhr
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