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Juli 2007
Er
von Daniel Schmidt

Er

Ich warte. Gewiss werden sie bald kommen, es ist nur eine Frage der Zeit. Schließlich sind sie die Hüter des Rechts und ich habe Unrecht begangen. Sie werden kommen und mich bestrafen, weil sie nicht verstehen, nicht verstehen können.

Angefangen hat es während der Schulzeit. Ich war ein ruhiger Schüler, ein Einzelgänger, einer, der Hänseleien auf sich zog. Es störte mich nicht, denn ich fühlte mich den anderen überlegen.
Eines Tages, es war ein schöner Tag im November, große Pause, kam ein Schüler der Nachbarklasse zu mir und sagte, er hätte meine Mutter am Abend an der Hoffmannstraße stehen sehen und wenn ich ihm kein Geld gäbe, eine Menge Geld für einen Schüler wie mich, dann würde er es herumerzählen. Er war einer von diesen Taugenichtsen, dumm und faul, eine Plage. Am nächsten Tag kam er nicht zur Schule. Er kam nie wieder zur Schule. Ich kannte seinen Heimweg, er fuhr mit dem Rad und musste über diese Brücke. Es ging alles sehr schnell, er hatte keine Chance.

An diesem Tag traf ich ihn. Ich hatte eben noch in den Fluss gestarrt, nur um sicher zu gehen, und mich an den Hilferufen ergötzt. Da stand er hinter mir. Ein seltsames Gefühl. Ich hatte gerade jemanden die Brücke hinunter gestoßen, und plötzlich klatschte einer Beifall, lächelte mich an.
Natürlich war ich erschrocken, doch auch voller Stolz, ich hatte meine Mutter verteidigt. Niemand würde mehr wagen, sie als Nutte zu beschimpfen. Er klopfte mir auf die Schulter, bewunderte meine Heldentat.

Er stellte sich nicht vor, ich wusste nicht, woher er gekommen war. Dieser Waldweg wurde kaum benutzt. Gut gemacht, sagte er und dass ich es weit bringen würde, dass ich einer wäre, der sich durchsetzen könne, der die Schlechten aussortiert wie die Spreu vom Weizen. Es war ein großer Tag für mich. Ich fühlte mich gut.
Inzwischen kenne ich das Gefühl, wenn man etwas getan hat, was zwar nicht angenehm ist, aber getan werden muss. Damals beim ersten Mal war dieses Gefühl neu und überwältigend für mich. Ich war froh, dass er da war und sich um mich kümmerte.

Und ich war froh, endlich einen Freund zu haben.
Es sollte nicht meine letzte Begegnung mit ihm sein. Wir hatten die gleichen Interessen, da läuft man sich zwangsläufig ab und zu über den Weg, gerade in so einer Kleinstadt wie bei uns. Einmal trafen wir uns auf einem Flohmarkt. Ein alter Mann verkaufte Trödel. Unter all diesem wertlosen Tand lag ein wahrer Schatz, ein echtes Samurai-Schwert. Ich fragte ihn nach dessen Herkunft und er erzählte mir von einem chinesischen Freund aus seiner Jugend, der es ihm als Zeichen seiner Freundschaft geschenkt hatte. Warum er es dann verkaufe fragte ich und er sagte, es stehe nur rum und setze Staub an, er brauche es nicht mehr. Was aus seinem Freund geworden sei? Er wusste es nicht. Ich konnte es nicht glauben. Das Schwert wechselte zu einem Schnäppchenpreis seinen Besitzer.

Lange diskutierte ich mit meinem Freund über dieses Ereignis. Die Freundschaft muss sehr tief gewesen sein, wenn man ein solches Geschenk bekommt. Wie kann man so etwas verkaufen? Wie kann man diese Freundschaft so beschmutzen?
Er starb durch sein eigenes Schwert. Man muss konsequent sein im Leben. Hat er mir beigebracht.

Ja wir haben viel getan für diese Welt. Der Kerl aus meiner Nachbarwohnung, als ich noch in Süd wohnte. Kam jeden Freitag total betrunken nach Hause. Kurz darauf hörte man nur noch ihre Schreie und knallende Türen und lautes Gebrüll, nicht zu ertragen. Ich hatte es mir einfach vorgestellt, doch einen Alkoholiker mit Alkohol zu vergiften ist nicht einfach. Beim zweiten Versuch hat es funktioniert. Winter ist die beste Zeit, wenig Menschen, niedrige Temperatur, da sollte man sich wirklich nicht so voll laufen lassen.

Wir wünschten uns beide, es gäbe mehr von mir.

Die spontanen Zeiten waren da schon vorbei. Wir machten Pläne. Spontan sein ist nicht gut in dieser Welt, in der die wirklich Guten bestraft werden, wenn man sie erwischt. Wir waren ein perfektes Team.

Ich erinnere mich nicht mehr an jeden. Sie sind es auch nicht wert. An einen erinnere ich mich aber doch. Er hatte wenigstens Stolz. Als er unter mir lag, seine Arme unter meinen Beinen und sein Hals umschlungen von meinen Händen, da hab ich ihm angesehen, dass er mir Recht gab, dass er spürte, dass es Zeit war zu gehen. Er hielt ganz still. Normalerweise wehrt sich jeder, wenn er Gelegenheit hat, schlägt um sich, tritt, bäumt sich auf. Er tat es nicht. Ich konnte seinen Puls spüren, er war ganz ruhig. Bis er schließlich nicht mehr zu spüren war.

Wo bleiben sie denn? Sie müssten schon längst hier sein. Der schlechteste Spürhund kann die Spur zu mir verfolgen. Ich hätte es wissen müssen, man kann sich auf keinen verlassen.

Durch das Fenster kommt ein sanfter Lichtstrahl. Die Sonne steht schon tief. Der Gedanke an ein kühles Bier lässt mich lachen. Nein, nicht wirklich lachen, es ist mehr ein Laut, der sich über die Unsinnigkeit dieses Gedankens lustig macht.
Ich wundere mich, wie sich die Zeit dehnt, wenn man nicht mehr viel davon hat. Doch ein Zurück gibt’s nicht. Man muss konsequent sein im Leben.

Bei mir gibt es keine Inkonsequenz und auch keine Unordnung. Nie. Ich habe immer alles unter Kontrolle und mag es nicht, wenn jemand meinen Tagesablauf stört. Ich wohne allein und in meiner Gegend ignorieren sich die Leute so gut es eben geht. Ich fühle mich wohl hier. Das einzige Störende ist der Kinderspielplatz hinter meinem Haus. Vom Balkon aus kann ich keins der Kinder sehen, Bäume stehen dazwischen und eine Mauer. Gut abgeschottet, möchte man meinen und doch höre ich ständig dieses Schreien und Weinen, die ewigen Mama-Rufe, als ob es so schwer wäre, ein paar Schritte zu laufen. Nein, immer Mama, Mama brüllen bis sie endlich kommt und dann, das ist das Allerschlimmste, dieses laute, unkontrollierte Lachen. Es ist mir zuwider.
Es gibt keinen Grund, warum man lachen sollte, die ganze Welt geht ihrem Untergang entgegen und die Menschen tun nichts, stattdessen lachen sie. Heute war es besonders schlimm, eine Mädchenstimme, die einfach keine Ruhe gab.

Es ging ganz einfach. Natürlich wollte sie meinen Hund streicheln. Jedes Kind kriegt man damit rum. Die Mutter war in eine Unterhaltung vertieft, eine Minute vielleicht oder zwei, lang genug für mich. Er war mitgekommen, beobachtete mich. Ich glaube, er war stolz. Aus der Löwinnenhöhle ein Junges gestohlen. Mein Herz klopfte. Sie haben alle nichts verloren in dieser Welt, sie haben es nicht anders verdient.
Wo der Hund ist? Dort hinten, bei den Büschen hab ich ihn angebunden. Er fürchtet sich, wenn so viele Menschen um ihn herum sind. Das leuchtet ein. Das versteht sogar ein kleines Kind.
Sie liegt noch immer hinter dem Busch. Vielleicht hat sie später ein Hund gestreichelt, an ihr geleckt, sie gefunden. Ich weiß es nicht, so lange bin ich nicht geblieben und von hier oben kann man es nicht sehen. Die Mauer. Die Mauer versperrt den Blick. Doch etwas war anders, er war zwar immer noch da und freute sich, doch spürte ich zum ersten Mal Unsicherheit. Ich war leicht verstört, konnte nicht mehr klar denken und so bin ich direkt nach Hause gelaufen. Die perfekte Spur.

Wo bleiben sie denn?

Es dauerte keine zehn Minuten, da war es sehr still geworden auf dem Spielplatz. Ich lag in meinem Liegestuhl und schaute in die Sonne. Endlich Ruhe. Eine halbe Stunde später hörte ich die Sirenen. Sie blieben lange. Und je länger sie blieben, desto unangenehmer wurde mir die Stille. Seltsam. Ich hatte getan, was ich schon so oft getan hatte und doch war es anders. Ich fühlte mich anders. Ich ging ins Bad, wusch meine Hände. Er schaute mir zu. Er lächelte noch immer. Mir kam es wie Hohn vor. Er schaute auf meine Hände, große Männerhände. Ihre kleine Hand war so klein gewesen, wie Spielzeug. Sie hat dir vertraut, schoss es mir durch den Kopf. Ja, sie hat mir vertraut. Und ich habe es nicht gesehen. Dieses Kind konnte nichts für diese Welt, es war rein. Ich hatte Unrecht getan, das erste Mal in meinem Leben hatte ich Unrecht getan und er mich nicht davon abgehalten. Er war der Mörder, nicht ich. Es war meine Hand, die den kleinen Hals zusammendrückte aber es waren seine Worte, die er nicht sprach. Hat er es auch nicht gewusst? Er, der alles weiß, der auf alles eine Antwort hat? Unmöglich.

Es war Zeit für die Trennung. Jahrelang waren wir nun zusammen, hatten wir für das Gute gekämpft, hatte ich für ihn für das Gute gekämpft, doch jetzt war es aus. Die Augen des Mädchens werden mich von nun an verfolgen. Und hoffentlich beschützen, damit ich ein guter Mensch bleibe.

Ich habe mit dem Messer zugestoßen, ihm den Bauch aufgeschlitzt, ganz langsam und voller Genuss. Man braucht ein sehr scharfes Messer dafür. Es muss nicht sehr groß sein, aber spitz und scharf, damit es leicht hinein gleitet. Ja, ich habe es genossen, ihn zu töten. Töten ist meine Bestimmung.

Diesmal war er nicht begeistert, diesmal hat er nicht Beifall geklatscht, diesmal hat er nicht gelacht und sich gefreut. Diesmal war es sein Bauch. Und es waren seine Eingeweide, die ich mit bloßer Hand heraus zog. Man glaubt gar nicht, wie warm die sind und wie weich. Hätte nie gedacht, dass dieser harte Kerl innen so weich ist.
Vielleicht hätte es andere Wege gegeben, ihn zu töten. Dieser gefiel mir am besten. Ich wollte sicher gehen. Er hatte es verdient zu sterben. Wer, wenn nicht er? Man muss konsequent sein im Leben.

Ich warte. Sie müssen kommen, um mich zu holen. Hoffentlich kommen sie bald.

Bevor ich verblutet bin.


© Daniel Schmidt 2005/2007

Letzte Aktualisierung: 27.07.2007 - 21.20 Uhr
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