Der himmelblaue Schmengeling
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Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
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Juli 2007
Erwischt!
von Chris Bendig

Es ist noch recht warm, als ich im Dunkeln vor mich hin strampele. Der Fahrtwind spielt mit meinen langen Haaren, meinem Kleid und streicht mir um die Beine. Gleichmäßig rolle ich den Radweg entlang, während mein Fahrrad vor sich hin quietscht.

Ich denke an sie. Sie ist immer so wertend, lässt nichts bestehen, was ich auch tu, zweifelt jede meiner Entscheidungen an. Ob es nun die neue Jeans ist, die mir auf den Hüften liegt und bei einem kurzen Shirt meinen Bauchnabel freigibt, die „In extremo“-CD, die ich mir von Bekannten habe brennen lassen, oder mein Rad. Ich habe es auf dem Sperrmüll gefunden, selbst gestrichen und mit glitzernden Muschelaufklebern verziert und bin so stolz darauf. „In rosa, wie konntest du nur?“, fragte sie mich angewidert. Nun, jedes Mädchen hat eine Rosa-Phase. Meine ist nur eben später. Bei dem Gedanken muss ich schmunzeln.

Deshalb habe ich gewartet, bis alles still war, und bin nach draußen geschlichen. Auch wenn meine Nachtruhe jetzt nur kurz sein wird, das war es mir wert! Ich bin noch erhitzt von der Begegnung, feucht und klebrig, und ich weiß, dass ich nicht endlos so weitermachen kann. Aber es ist so neu, so frisch, so aufregend! Ich spüre noch seine Hände überall auf meinem Körper, seine Lippen, seine Zunge... Und den Kuss, den er mir zum Abschied gab, ganz außen auf den Mundwinkel, ganz leicht, ganz zärtlich.

Wann habe ich mich das letzte Mal heimlich davongeschlichen? Es ist schon so lange her! Damals war ich kurz vor Morgengrauen durch die Hintertür geschlüpft, zu meinem damaligen Freund Chris, der gegenüber im Auto auf mich wartete. Es war die siffigste Karre, die ich kannte; überall lagen Zettelchen und sogar Apfelkitschen verstreut. Aber es war sein erstes Auto, und wir haben ziemlich wild rumgeknutscht. Ich bin dann fast lautlos zurück in die Küche geschlüpft und trotzdem meiner Mutter in die Arme gelaufen, die schon wach war. Sie hat mir nicht geglaubt, dass ich gerade aus dem Bad kam, und zuerst wusste ich nicht, warum. Bis ich dann die Briefmarke an meinem Oberschenkel habe kleben sehen. Ich weiß bis heute nicht, wie sie dahingekommen ist, aber meine Mutter wurde misstrauisch und hat den Hofschlüssel gesucht – den ich dann schuldbewusst rausrücken musste.

Als ich jetzt in den Hinterhof einbiege, stockt mir der Atem. Im Badezimmer brennt Licht. Ich schiebe die letzten Meter, schließe das Rad hastig ab und öffne die Tür. Sie steht auf der Treppe und überragt mich nicht nur wie üblich mit ihrer Körpergröße, sondern aus ihrer Position heraus. Wie schon so oft frage ich mich, ob wir zu eng verbunden sind. Wäre es nicht besser, wenn es nicht nur uns zwei gäbe? Sollten wir uns ein wenig voneinander lösen?

Bei der spärlichen Beleuchtung kann ich den Ausdruck in ihrem Gesicht nicht erkennen. Schaut sie streng, bekümmert, amüsiert? Ich bin erleichtert, als sie endlich Worte findet.
„Wie lange soll das so weitergehen?“, fragt sie in ihrem ungeduldigen Ton. „ Willst du mir deinen neuen Freund nicht mal vorstellen, Mama?“

Letzte Aktualisierung: 27.07.2007 - 20.40 Uhr
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