Sexlibris
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Juli 2007
Streik
von Sascha Mrowka

„Na Schatz, wie war deine Schicht?“
Mürrisch streifte Thomas seine zerfledderten Flügel ab und stellte sie in die Ecke. Eigentlich war sein Verhalten Antwort genug, aber dann antwortete er seiner Mary: „Wir haben alle die Schnauze gestrichen voll. Ab morgen Mittag streiken wir!“
Mary ließ vor Schreck das Geschirr fallen, das sie gerade wegräumen wollte und das Hosianna, dass immer in ihrer Stimme mitschwang, verstummte augenblicklich. „Ihr wollt ... wie könnt ihr ... wie kannst du nur so etwas denken, geschweige denn aussprechen?“ Dabei verzog Mary ihr Gesicht und deutete mit ihrem Zeigefinger mahnend nach oben.
„Ach, hör doch auf mit dem da oben. Dem ist doch schon lange alles völlig egal. Wenn ihm an uns etwas liegen würde, dann wäre er schon längst auf unsere Bitten eingegangen, wenigstens auf einige.“

Mary wusste zwar von den Sorgen und Nöten ihres Mannes, aber dass sich seine Wut dermaßen aufgestaut hatte, überraschte sie doch. Vor einigen hundert Jahren fingen die ersten Beschwerden von Thomas an. Wie sehr die Arbeitsbelastung doch zugenommen hatte. Ging es früher noch darum, den einen oder anderen Bauern vor einem Blitzschlag zu retten, oder ihm in letzter Sekunde dabei zu helfen, dem Tritt einer Ziege zu entkommen, so bestand die Aufgabe heute vielmehr darin, die Menschen aus den abenteuerlichsten Situationen zu befreien, in die sie sich selbst hinein manövriert hatten. Sie banden sich Gummiseile um die Fußgelenke und sprangen von Brücken, stürzten sich mit Fallschirmen von Hochhäusern herab oder ließen sich als menschliche Kanonenkugel durch die Lüfte schleudern. Das bedeutete puren Stress für die Schutzengel! Während nämlich die Menschen der Aufforderung „Seid fruchtbar und mehret euch“ nachkamen, blieb die Zahl der eingesetzten Schutzengel über die Jahrtausende konstant. Anstatt dass es zu Neueinstellungen kam, wurde der Urlaub auf einen Tag pro Jahrhundert zusammen gestrichen. Als das immer noch nicht reichte, beschloss der „Big Boss“, dass doppelte Schichten geleistet werden müssten, natürlich ohne Lohnausgleich.
Die Schutzengel stöhnten auf. Die Arbeit, sprich das Retten der Menschen aus Gefahrensituationen, war bald nicht mehr zu bewältigen. Es dauerte nicht lange, da beschlossen die Schutzengel eine Gewerkschaft zu gründen, um ihre Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen durchsetzen zu können. Kaum hatte „der Alte“ davon Wind bekommen, drohte er mit der Aussperrung aus dem Himmelreich, und wieder behielt er die Oberhand. Hochgestimmt über seine Allmacht lachte er sich ins Fäustchen und beobachtete, wie sich seine Schutzengel wieder an die Arbeit machten.
Die Motivation war natürlich völlig im Keller und so blieb manch ein Mensch dabei auf der Strecke. Schließlich konnten sich die Schutzengel nicht teilen. Ständig mussten sie abwägen, wen sie retteten und wen sie dem Schicksal überließen.
Inzwischen war die Bevölkerung auf knapp sechs Milliarden Menschen angestiegen und das Maß übervoll.
Die Schutzengel flogen im Eiltempo von Nord nach Süd, von West nach Ost, kreuz und quer, immerzu hin und her. Ihre wichtigsten Arbeitsgeräte, ihre Flügel, litten darunter sehr. Die erhöhte Reibung sorgte für jede Menge Löcher, die nur notdürftig wieder zusammen geflickt wurden. Die Flügel von einigen Schutzengeln waren derartig unsicher geworden, dass sie schon bald selbst einen Schutzengel benötigten, um den Arbeitstag heil zu überstehen.
Es reichte – endgültig!

Am nächsten Tag sammelten sich die Schutzengel kurz vor Zwölf vor der Himmelspforte und verlangten mit „dem Alten“ zu sprechen. Wie nicht anders zu erwarten war, wurde dieses abgelehnt. Als sich die Schutzengel dann jedoch an der Himmelspforte zu schaffen machten, blieb „dem Alten“ nichts anderes übrig, als sich der aufgebrachten Meute zu stellen. Wüst wurde er beschimpft und musste sich allerhand Vorwürfe anhören. Er versuchte die Menge zu beschwichtigen. Schließlich hätten sie all die Jahrhunderte einen sicheren Arbeitsplatz gehabt. Die Zeiten seien schlecht und natürlich müsse auch im himmlischen Königreich gespart werden und jeder Einzelne müsse zu Abstrichen bereit sein, um das große Gesamtziel nicht zu gefährden. So gab ein Wort das andere, und während man sich endlos stritt, stürzte die Menschheit in das totale Chaos. Keine schützende Hand war mehr da, die aus den diversen Gefahren half. Und ehe man sich versehen hatte, war der jüngste Tag auf der Erde auch schon vorbei.
Gott und die Schutzengel hätten davon gar nichts mitbekommen, wären nicht plötzlich einige Milliarden Seelen vor der Himmelspforte aufgetaucht, die Einlass begehrten. Völlig irritiert öffnete Gott die Pforte, ließ alle Seelen ohne großartige Kontrollen herein, zuckte in Richtung der Schutzengel mit seinen Schultern und sprach: „Nobody is perfect!“

Letzte Aktualisierung: 27.07.2007 - 16.52 Uhr
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