Ganz schön bissig ...
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Juli 2007
PIA
von Michael Rapp

Windstille, bewegungslos spiegelndes Wasser vor einem Scherenschnitthorizont. Die alte Brigg lag in einer Flaute - drei Wochen brütende Ruhe. Seit einer Woche hatten sie nur noch Schiffszwieback und Rohrzucker. Benny störte dies nicht weiter. Seine Stimmung war unerschütterlich gut. Dies war auch der Grund dafür, dass er allein auf Wache stand: Die Mannschaft hatte seine optimistische Ausstrahlung und sein ewiges Grinsen einfach nicht mehr ertragen. Und als einer der Männer gedroht hatte, ihm die Freude aus dem Gesicht zu schneiden, hatte ihn der erste Maat zu seinem eigenen Schutz auf Posten geschickt.
Benny fand, er hatte Grund genug zum Fröhlichsein: Zum einen hatte er immer schon Pirat werden wollen, um frei die Weltmeere zu befahren. Zum anderen...
„Juhu, Liebling!“, sang eine Frauenstimme hinter ihm. „Endlich habe ich dich gefunden.“
Er kannte den Klang: Es war eine in zahllosen Versuchsreihen feingeschliffene Traumstimme. Sie konnte einem Mann freudige Schauer über den Rücken laufen lassen - jedenfalls bis der Betreffende Gelegenheit hatte, einen Blick auf die dazugehörige Person zu werfen. Er drehte sich um. Vor ihm stand PIA, seine ehemalige Persönliche Idealassistentin, ein Albtraum von einem (vorgeblich weiblichen) Roboter. Wer immer auf die Idee gekommen war, eine so feine Stimme mit einem tonnenförmigen, sensorstarrenden, tentakelschwingenden Ungetüm zu verbinden, musste einen sehr kranken Sinn für Humor gehabt haben.
„Nicht schon wieder!“ Das Metallweib war anhänglicher als Lippenherpes.
„Oh, Schatz, ich bin so froh, dass ich dich endlich gefunden habe. Es hat diesmal sehr viel Mühe gemacht, deinen Spuren zu folgen. Aber nun sind wir wieder vereint.“ Sie schüttelte sich vor Vergnügen. „Oh, wie ich dich liebe! Niemand füttert meinen Hauptspeicher wie du! Niemand streichelt meine Sensoren so blumpflich!“
Benny bekam einen roten Kopf. „Ich habe deine Sensoren nie angefasst! ... Außerdem ist blumpflich kein Wort.“
„In Paralleluniversum 3.8-17 schon Liebster“, flötete die Fehlkonstruktion. „Es ist dort gleich bedeutend mit der Essenz aus: lieblich, liebevoll, lustvoll und überhaupt allen schönen Liebesdingen.“
Das war zweifellos eine dreiste Lüge. „Ich wünschte du würdest explodieren“, sagte Benny.
Sie hob bedauernd ihre Endostahltentakel. „Das ist leider unmöglich, ich bin sehr stabil gebaut und außerdem auf Selbsterhaltung programmiert. Du erinnerst dich doch noch an unseren Frühling zweitausendsechsundsiebzig in Sankt Petersburg?“
„Du meinst, als ich mit dem Raketenwerfer auf dich geschossen habe? Da bist du aber ausgewichen.“
„Tut mir echt Leid, Süßer. Es hätte aber auch nicht viel ausgemacht, wenn du getroffen hättest.“
Warum ließ er sich immer wieder auf diese Diskussionen ein? Vielleicht, weil sie trotz allem ein Stück Heimat war? Dieser Gedanke war zu fürchterlich.
„Alles, was ich verlange, ist, dass du verschwindest ... für immer!“
„Ich habe es versucht. Ganz ehrlich!“ Sie klang ernsthaft betrübt. „Aber meine Liebe war stärker: Wahre Liebe muss alle Hindernisse überwinden.“
„Hast du den Spruch aus einem Glückskeks?“
„Nein, von einem Liebesorakel, das ich im Jahr dreitausendzweihundertfünf getroffen habe. Glaub mir, das Orakel weiß über solche Dinge bescheid: Immerhin organisiert es in seiner Zeit alle humanoiden Paarbeziehungen der nördlichen Hemisphäre und ein Stück darüber hinaus.“
Benny seufzte. „Dann bist du also nicht die einzige durchgeknallte Liebesmaschine im Universum – sehr beruhigend.“
„Sag nicht immer so gemeine Sachen“, schmollte PIA mit der Stimme von Moni, seiner ersten postpubertären Freundin.
Wenn du Eimer ja auch eine blond gelockte Volleyballspielerin wärst, könnten wir drüber reden, dachte Benny. Sagte aber: „Sorry.“
„Schon gut Schatz, ich weiß du meinst es nicht so. Aber sag mal, was ist denn das überhaupt für eine schwimmende Müllkippe, auf der du hier arbeitest?“
„Ich bin jetzt Pirat: Dritter Maat Benny Gun, und dieses Schiff ist die Rotten Oyster unter Kapitän Davis.“ Er war durchaus etwas stolz auf seinen neuen Posten.
„Dafür hat sich das Jurastudium ja gelohnt: Ein unterqualifizierter Job und modische Entgleisungen.“ Selbst wenn PIA eine echte Frau gewesen wäre, hätte spätestens ihr penetrantes Nörgeln jeden Mann in die Flucht geschlagen. Mehrfach hatte sie ihn sogar mit der Stimme seiner Mutter zurechtgewiesen. Offenbar war ihr nicht bewusst, wie sich solche Manöver auf die Chance romantischer Gefühle auswirkten.
„Ich mache was ich will, und diesmal lasse ich mir das nicht von dir kaputtmachen.“
Sie legte traurig blaue Filter über ihre Kameraaugen. „Ich mache dir nichts kaputt. Ich achte nur etwas auf dich. Wer sollte es sonst tun?“
„Das hatten wir doch schon alles! Wer ist denn Schuld, dass ich aus Rom fliehen musste? Na? Oder willst du behaupten, dass sich die Stadt selbst angezündet hat?“
„Nero war's“, kam die spöttische Antwort.
„Ja klar, und Nero hat sicher auch dieses Holzpferd an das Heer von Agamemnon verscheuert.“
Antennen drehten sich listig im Kreis. „Jedes Kind weiß, dass Odysseus die Idee mit dem Pferd hatte. Du kannst mir nichts beweisen.“
Benny winkte ab. „Spar's dir, ich weiß genau, dass du das warst. Aber diesmal nicht! Die Bruderschaft der See ist jetzt meine Familie. Ich werde nicht zulassen, dass du ihr Schaden zufügst.“ Er hatte sich so auf PIA konzentriert, dass er ganz seine Umgebung vergessen hatte. Nun ließ ein Ruf ihn herumfahren.
„Benny, wer is da bei dir?“ Es war die Stimme des ersten Maats. Seine Schritte kamen schnell näher.
Bennys Gedanken überschlugen sich. „Verschwinde“, flüsterte er hastig in Richtung seiner Plage.
In der Vergangenheit war PIA seinen Befehle gegenüber noch halbwegs aufgeschlossen gewesen, diesmal aber weigerte sie sich rundweg: „Nein, keine Lust.“
Er hatte keine Zeit, wütend zu werden. Der erste Maat kam um die Ecke. Er sah Benny, sah seine Begleiterin, die ihm freundlich mit den Tentakeln zuwinkte ... und begann zu kreischen, wie ein verängstigter Schiffsjunge: „Jesus Christus, alle Heiligen steht mir bei! Ein Seemoster!“
Der Mann ließ sich einfach nicht beruhigen – zumal PIA sich alle Mühe gab, Bennys Bemühungen zunichte zu machen. Immer mehr Mitglieder der Crew wurden von dem Schreien angelockt. Ungläubig und furchtsam sahen die Piraten auf die Robotress. „Was ist das?“
„Vielleicht bin ich ja ein Seeteufel“, sagte PIA und Benny glaubte zu erkennen, dass sie dabei über alle dreißig Antennen grinste.
Ein verängstigtes Raunen war die Antwort. „Seeteufel, bei Davy Jones!“
„Auch was, die ist kein Seeteufel, nur ein teuflisch schlecht konstruierter Roboter“, wagte Benny einzuwenden, erntete aber nur Blicke voll Verständnislosigkeit und Misstrauen.
„Der Seeteufel muss über Bord, Kaptän. Den darf man nich hilassen, sonst gibt das ein Unglück.“ Der Erste Maat wirkte verzweifelt.
„Ay! Den Benny sollten wer am Besten gleich mit versenken. Jetzt wissen wer auch, weshalb der immer so gegrinst hat. Er is ein Teufelspaktler, ganz klar“, fügte ein Kanonier hinzu.
Benny wurde langsam (aber nachdrücklich) klar, worauf das hinauslaufen würde. „He Jungs, kommt schon, ihr kennt mich! Hab ich jemals einem von euch ein Unrecht getan? Ich gehöre zu euch -, zur Bruderschaft!“
„Vielleicht, vielleicht auch nich“, sagte ein Bootsmann. „Du bist n seltsamer Typ, Benny: Immer n doofen Spruch auf den Lippen, den keiner kapiert. Und dann das Blinkszeugs, mit dem du manchmal spielst. Das ist alles höllisch verdächtig.“
„Es macht keinen Sinn mehr sich zu verstellen. Du hörst es, wir sind enttarnt!“ PIA hatte wieder einmal ihre Stimme umgestellt und grölte nun in rostigem Heldenbariton.
Die Männer wichen erschrocken zurück und versteckten sich hinter ihren Waffen.
„Pest! Das ist wirklich ein Seeteufel. Los Jungs, wir müssen die beiden über Bord werfen!“ Kapitän Davis hatte seine Entscheidung getroffen. Benny wusste, dass jedes weitere Wort sinnlos war.
„Das zahle ich dir heim. Ich schwöre, das kriegst du wieder, PIA“, sagte er, während einige Männer mit gezückten Säbeln und Entermessern gegen sie vorrückten. Was für eine Wahl blieb ihm noch? Er konnte bleiben und hoffen, dass man ihn anhören würde, statt ihn einfach abzustechen, oder über Bord springen. Er entschied sich zu springen. PIA folgte, begleitet von den Siegesrufen der Mannschaft.

Eine Weile verbrachten die beiden still im Wasser. Benny schmollte, während PIA ihre Kondensatoren für den Dimensionssprung auflud, der sie in Sicherheit bringen sollte.
Schließlich brach sie das Schweigen: „Na ja, Schatz, sieh es mal positiv: Falls deine Freunde jetzt zufällig auf zwei britische Fregatten trefft sollten, bist du wenigstens aus der Schusslinie...“
Da waren sie wieder, die kreisenden Antennen. „Was hast du angestellt?“
„Nichts! Aber es könnte doch sein, dass zwei Kriegsschiffe, eins mit achtunddreißig und eins mit vierzig Kanonen hier in der Gegend Jagd auf Piraten machen. Wie viele Kanonen hat die Rotten Oyster nochmal? Fünfzehn? Achtzehn?“
„Ich hasse dich.“, sagte Benny, dann legte sich der blaue Schimmer des Raumzeitportals um ihn.
Ein Ruck: Das Gefühl festen Bodens unter seinen Füßen. Er sah sich um. Da war nichts als Natur: Eine wuchernde, blühende Natur, die erschreckend unberührt von menschlicher Arbeit erschien. Willkommen in der Steinzeit. Er stürzte sich auf PIA.
„Auch Süßer, endlich kommen wir uns näher“, säuselte die schlechteste Assistentin aller Zeiten und Universen.
„Bild dir bloß nichts ein! Ich versuche nur, dir den verdammten Zeitschleusengenerator rauszureißen!“
Sie kicherte verlegen. „Sei nur nicht schüchtern, ich bin stabil gebaut.“

Letzte Aktualisierung: 26.07.2007 - 14.26 Uhr
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