Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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Juli 2007
Der Märchenpalast und die geheimnisvolle Tür
von Anita Aeppli

„Wie oft muss ich Dir das denn noch sagen, dass Du diesen Schlüssel nicht anfassen sollst?!“ schreit Magdalenas Mutter die Zwölfjährige an.
„Ich hab es dir schon hundert Mal gesagt. Verdammt noch mal! Du darfst in dieses Zimmer nicht rein. Verstanden?!“
Magdalena nickt gehorsam und spürt eine herabkullernde Träne.
„Ja Mutter. Ich habe es verstanden.“
Die Mutter reißt ihr den Schlüssel aus den Händen und stampft mit lauten Schritten die Treppe hinauf. Ein mürrisches Zischen und Fluchen hallt hinter ihr nach.
„Ich darf ja wohl einen Raum für mich alleine besitzen!“ schnauft Magdalenas Mutter zornig.
Erschrocken und wieder einmal mehr ertappt, steht Magdalena vor der verschlossenen Tür und schaut sie sehnsüchtig an.
Seit sie sich erinnern kann ist diese Tür ein Tabu für sie. Immer hat Mutter ein großes Geheimnis daraus gemacht, was sich dahinter verbirgt. Gerade deswegen wurde dieses dahinter liegende Zimmer für Magdalena das verborgene Schloss und die geheimnisvolle Tür zum mysteriösen Entree in den Elfenbeinpalast. In diesem Palast aus Gold, Silber und Edelstein erwarten der Prinz und der Thronsessel ihre Ankunft. Aber wie soll sie jemals in ihr Gemäuer gelangen und von den stolzen Türmen des Palastes aus, auf ihr untertäniges Volk herabschauen, wenn ihr der Weg versperrt bleibt? Magdalena verschwindet in den Garten.
Dort sitzt sie auf die Schaukel unter dem großen Baum und schwenkt vor und zurück. verschleierte Erinnerungen kommen ihr in den Sinn. Ihr Vater steht an der Schaukel und lächelte sie liebevoll an. Er ist glücklich und stolz eine Tochter wie sie, sein eigenes Kind zu nennen. Doch die Vorstellung verdunkelt sich. Nie hatte sie erfahren wer ihr Vater ist. Immer wenn sie Mutter nach ihm fragte, bekam sie eine giftig, verbitterte Antwort.
„Er ist nicht da. Basta!“
Immer wieder wünschte sie sich, er möge sie weg holen und in eine fröhlichere Welt bringen. Aber da er womöglich gegangen war, weil sie auf die Welt gekommen ist, musste Magdalena diese Hoffnung irgendwie verdrängen.
Verträumt schauen Magdalenas Augen in die Baumwipfel und ihr Blick stiehlt sich zum Märchenpalast davon. Plötzlich fängt ihr Gesicht an zu Strahlen. Immer wieder kehrt ein und derselbe Traum in Magdalenas Gedanken. Ein Traum von unüberwindbaren Rosenhecken, einem Schloss aus Gold und Magdalena als Prinzessin in einem hundert jährigen Schlaf. Bis eines Tages der holde Prinz den Weg zu ihr bahnt und sie aus ihrem schlummernden Zustand wach küsst.
„Magdalena! Ins Haus mit dir.“ Vom Küchenfenster her ertönt Mutters Stimme.
„Zeit um Schlafen zu gehen. Es wird schon dunkel.“
Magdalena streift ihr weißes Nachthemd über und macht das Licht aus. Doch heute Abend hat sie nicht vor zu schlafen. Mucksmäuschenstill verharrt sie unter der Decke bis es zwölf Uhr schlägt. Heute werde ich Einzug halten in meine Schlossgemächer, spricht sie voller Fantasie und huscht beim letzten Glockenschlag unter der Daune hervor. Magdalena gleitet an der Wand entlang und tippt über den Parkett.
„Der Schlüssel? Er ist bestimmt in der Schublade, wo Mutter jeden Abend ihre Ringe versorgt.“ Wie ein sichtbares Gespenst schleicht die Kleine in Mutters Zimmer und ergattert den bedeutsamen Schlüssel.
In aller Dunkelheit verlässt sie sich voll und ganz auf ihr Gedächtnis, welches exakt die Schritte bis zur Treppe zählt. Jeden Tag ist sie den Weg abgelaufen, für diese spezielle Nacht. Immer wieder hat sie trainiert, um still an jedem Hindernis vorbei zu gelangen.
Sie steigt die Stufen herab, ohne ein Knarren des alten Holzes auszulösen und steht endlich vor der verschlossenen Tür. Die Mutter schläft tief und fest, ist fern ab in ihren eigenen Träumen, während Magdalenas Schlosspforten sich heute Abend öffnen.
„Heute wird mein Märchen wahr und ich werde zur Königin meines Schlosses.“
Der Schlüssel dreht sich, der Riegel zieht zurück und Magdalena drückt erwartungsvoll die Klinke nach unten. Die Tür geht auf und mit dem Schein des Lichtes, kommt Magdalena auch sogleich das Ende entgegen. Das Ende eines lang geträumten Traumes. Das Ende eines Märchens und das Aus einer lebenslangen Vorstellung. Hinter der geheimnisvollen Tür steht keine Spindel, an der sich Magdalena an ihrem achtzehnten Geburtstag sticht und in einen langen königlichen Schlaf sinkt. Da sind kein Elfenbein und kein Garten Eden. Mit der hölzernen Truhe, welche verschmutzt in der Mitte des Raumes steht und den veralteten Möbel, Bilder und herumliegenden Männerklamotten, endet die Hoffnung Dornröschen zu sein. Die Tür ist keine unbezwingbare Dornenhecke und ihre Mutter kein Feuer speiender Drache. Mit dem grausigen Ende ihrer selbstgestrickten Geschichte, wird Magdalena klar;
Da ist kein Prinz der sie aus einem Märchenpalast errettet und auch kein Königskleid gefertigt für den Hochzeitsball. Da sind keine Prinzessin und kein Volk, welches sie regieren kann.
Sie ist ein zwölfjähriges Mädchen aus einer ganz normalen Familie.
Mit dem Öffnen der geheimnisvollen Tür, ist nicht das Tor in den Märchenpalast aufgegangen, sondern das Ende ist gekommen. Das Ende von Magdalenas Kindertraum.
Enttäuscht geht Magdalena in das Zimmer hinein und stöbert durch die alten Sachen. Sie entdeckt Bilder einer jungen Frau, eng umschlungen mit einem jungen Mann. Ordner und Schuhschachteln voller Briefe. Kubanische Zigarren und Mitbringsel aus aller Welt stehen kreuz und quer am Boden. Es besteht keine Ordnung unter den Sachen, als habe man alles mit großen Emotionen ins Zimmer geworfen und dann die Tür verriegelt.
Magdalena sitzt auf den Boden und nimmt einen Papierknäuel in die Hände, faltet ihn glatt und liest verschämt die paar Worte die darauf stehen.

Für Elisabeth
Auch wenn ich für dich die ganze Welt war und wir zusammen die ganze Welt erobert haben,
Ich liebe eine Andere – Es tut mir leid!
Erich

Letzte Aktualisierung: 14.07.2007 - 10.55 Uhr
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