Der Cousin im Souterrain
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Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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Juli 2007
Fünfzig Jahre König & Sohn
von Ulrike Weinhart

„Hanna, kommst du jetzt endlich?“ Elmars befehlsgewohnte Stimme klang gereizt. Sie hörte seine schwere Schritte im Treppenhaus zwischen dem Wohnzimmer und der Haustür. Elmar ging wie ein Tyrannosaurus Rex, energisch, zielgerichtet, kraftvoll und derb. Jetzt marschierte er auf seine 'Ich-habe-alles-im-Griff-Weise' – wie Hanna es insgeheim nannte. Die Arme auf seinem Rücken verschränkt schritt er dabei auf und ab.
Sie stand im ersten Stock im Badezimmer vor dem Spiegel, die Rundbürste mit der Wimperntusche in der Hand. Der Raum war erfüllt von Elmars Geruch, seinem entsetzlich süßen Eau de Toilette, das ihm seine Sekretärin geschenkt haben musste, weil sie sich eine Gehaltserhöhung erhoffte. Aus dem Spiegel heraus blickte sie eine Fremde an, eine zierliche, kleine Mittvierzigerin, blond, mit einem ordentlichen Kurzhaarschnitt. Kurze Haare und ein Modeschnitt waren 'ordentlich', das hatte Hannas Mutter immer gesagt, und lange, offene Haare, so wie Hanna sie gerne hatte, entlockten ihr ein tiefes Seufzen und den unvermeidlichen Spruch: „Ich wünschte, du würdest dein Haar etwas altersgemäßer tragen“. Die Fremde hier hätte ihrer Mutter gefallen. Sie hatte einen hellbraunen Kaschmirpullover an, im Ausschnitt ein dezentes, gelbes Tüchlein und einen knöchellangen, dunkelbraunen Rock. Hanna hasste Braun, Elmar liebte es. Und es war Elmars großer Tag.
„Hanna, zum Kuckuck, wir haben einen Termin. Willst du mich ärgern?“
Nein, das wollte sie nicht. Vor vielen Jahren noch hatte sie Elmars legendäre Wutausbrüche gefürchtet. Ein einziges Mal in ihrem Leben hatte sie ihm Paroli geboten und ihre Unwissenheit, wozu Elmar fähig war, mit einem gebrochenen Arm bezahlt. Später dann, als Robbie bei ihnen war, hatte sie sich sehr in Acht genommen, Elmar nicht zu reizen, schon um Robbies willen. Heute machte ihr seine Unbeherrschtheit nichts mehr aus. Es war ihr egal, ob und wie er sich aufregte.
„Hanna“, brüllte Elmar von unten.
Im Spiegel imitierte sie sein wutverzerrtes Gesicht. Er brüllte eigentlich immer, selbst wenn er es nicht wollte. Sein Ton war durch die Firma geprägt. Er war schließlich der Chef, und wenn die Mitarbeiter nicht richtig spurten, dann „muss ich schon mal mit der Peitsche knallen“, erklärte Elmar gerne vor Publikum. Die meisten waren beeindruckt. Der Mann war hart, konsequent und erfolgreich, ein Sieger. Robbie und sie, die seine partnerschaftliche oder väterliche, seine liebevolle Seite gebraucht hätten, waren neben ihm verdorrt.
„Wenn du jetzt nicht auf der Stelle runterkommst ...“
Was wäre, wenn er nun sagen würde: 'Dann geh' ich ohne dich'. Oder: 'Dann verlass' ich dich'? Das wäre schön. Ihm war ihre Anwesenheit doch nur insofern wichtig, dass die Gemahlin vom Chef beim Firmenjubiläum des 50-jährigen Bestehens der Firma König & Sohn nicht fehlen durfte. Sichtbar sollte sie sein, dekorativ, und zufrieden wirken, wie eine preisgekrönte Zuchtkatze, und ebenso stumm. Nichts sagen, das verraten konnte, wie es um die Ehe des erfolgreichen Firmenchefs stand. Dass seine Frau am Ende war, voll gepumpt mit Medikamenten, die sie den Tag überleben, wenn schon nicht leben ließen. Nähme sie ihre Pillen nicht, hätte sie sich schon längst umgebracht, sagte Elmar. Heute morgen hatte er ihr noch eine zusätzliche Pille neben ihren Frühstücksteller gelegt. „Zur Beruhigung, und damit du nicht vor Aufregung später lauter Blödsinn redest.“
Sie machten so müde, diese Pillen. Und langsam. Ihre Gedanken flossen nicht mehr lebendig durch ihr Gehirn, sie tropften unregelmäßig, spritzten und kleckerten wie Apfelsaft und richteten klebrige Verwüstungen in ihrer Seele an.
Wenn sie einfach nicht mitginge an Elmars wichtigstem Tag? Er könnte den Gästen sagen, dass sie unpässlich sei. Ja, unpässlich, das war ein Wort aus seinem Wortschatz. Sie war schon immer unpässlich gewesen – nicht-passend zu Elmar und das schon seit ihrer Hochzeit. Sie war auch unlieblich, denn sie hatte ihn nie geliebt.
Ihr Vater hatte als Vorarbeiter bei König & Sohn gearbeitet. Die Tatsache, dass der Juniorchef sich für seine Tochter interessierte, wertete ihn in seinem mangelnden Selbstgefühl auf. Er und ihre Mutter hatten Hanna gedrängt zu heiraten und sie, damals 18-jährig, beruflich ohne Perspektive und leicht zu beeindrucken, hatte eingewilligt.
Auf der Straße hupte ein Auto anhaltend, Elmars Mercedes, ein schwarzes Monster, das aussah wie ein Leichenwagen.
Sie sollte mitfahren, dachte Hanna und betrachtete ihre schwarzgeränderten Augen. Sie sah ohnehin schon aus wie ein Leichnam mit ihrem von Tabletten aufgedunsenen Gesicht, den Augenringen und ihrem blassen Teint. Hoffentlich roch sie nicht auch so, dachte sie und kicherte.
Unpässlich, unlieblich, unkindlich. Als sich der erhoffte Firmenerbe nicht einstellen wollte, schickte Elmar sie von einem Facharzt zum nächsten, ohne das irgendeiner einen Grund für das Ausbleiben einer Schwangerschaft fand. Daraufhin legte er ihr einen Antrag auf Adoption auf den Tisch und zwang sie zu unterschreiben. Für das geplante Bewerbungsgespräch bei der Agentur bereitete er sich selbst und sie gewissenhaft vor und er musste es gut gemacht haben, denn sie bekamen nach nur einem Jahr Wartezeit Robbie zugewiesen. Elmar riss Robbies Erziehung an sich, und als er acht war, schickte Elmar ihn mit der Begründung, Hanna sei psychisch instabil, in ein Internat. Als er sechzehn war, ertrank er beim Schwimmen in einem See.
Es hupte noch einmal.
Hanna warf noch einen letzten Blick auf die Frau im Spiegel und warf ihr einen Handkuss zu. Dann ging sie die Treppe hinunter und trat vor die Haustür. Elmar war soeben wieder aus dem Auto gestiegen. Grob packte er sie am Handgelenk, zerrte sie den Gartenweg entlang wie ein Bauer ein störrisches Kalb und schob sie in den Wagen. Er sagte kein Wort, ließ den Motor des Kombi aufheulen und schoss die Straße entlang. Neben ihr auf dem Fahrersitz schwelte Elmars Wut hellrot wie die Glut im Kachelofen. Minuten später fuhren sie auf den Hof der Firma und Elmar hielt mit quietschenden Reifen auf dem für ihn reservierten Parkplatz.
„Hanna, ich warne dich“, zischte er. „Reiß dich zusammen! Hier geht es auch um deine Zukunft.“
Ihre Zukunft. Dieses Wort entzog sich ihrer Vorstellung, es tanzte in ihrem benebelten Gehirn sekundenlang wie ein Wassertropfen auf einer heißen Herdplatte und verdampfte dann rückstandslos.
Als sie aus dem Auto stieg, war ihr schwindlig, aber Elmar reichte ihr galant die Hand und half ihr unauffällig, sich aufzurichten. Ach ja, die Show hatte begonnen.
Im Foyer warteten schon an die fünfzig Mitarbeiter. Sie standen um Bistrotische herum, wie hungrige Schweine um die Tröge. Elmar grüßte freundlich nach rechts und links und führte Hanna in den großen Konferenzraum. Dort entlud er sie ihrer auf einen Stuhl in der ersten Reihe und stieg auf das Podium hinter das Sprecherpult. Der Raum füllte sich in Minutenschnelle. Wer sich rechts und links von ihr auf die Stühle setzte, nahm Hanna kaum noch wahr. Sie nickte ins Nichts - das würde als Begrüßung schon durchgehen.
Dann begann Elmar seine Ansprache, in der es um Dankbarkeit ging. Dem Vater dafür, dass er ihm den Betrieb schuldenfrei und mit einem großen Kundenstamm übergeben hatte. Den phantastischen Mitarbeitern dafür, dass sie sich so überdurchschnittlich engagierten, und seinem Bankmanager dafür, dass er immer wieder Gelder für Investitionen bereit stellte.
Er schloss mit: „Zuletzt und am allermeisten danke ich meiner wundervollen Frau Hanna, die mich in all den Jahren so aufopfernd unterstützt hat. Ohne ihre Liebe wäre ich, wäre die Firma, nichts.“
Im gleichen Augenblick kippte Hanna vornüber vom Stuhl. Den tosenden Applaus hörte sie schon nicht mehr.

Letzte Aktualisierung: 15.07.2007 - 23.31 Uhr
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