Der Tod aus der Teekiste
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Juli 2007
Ver-rückt
von Barbara Hennermann

Irgendwie ergab das alles keinen Sinn. Simone runzelte die Stirn und kniff die Augen zusammen. Zum wiederholten Mal fuhr sie mit dem Zeigefinger die lange Reihe der Namen entlang. Anwälte allesamt im Branchenverzeichnis. Wieso stand der Name nicht dabei, den sie suchte?
Ärgerlich pustete sie sich die Haare aus der Stirn, die sie am Auge kitzelten. Natürlich nützte das auch nichts. Der gesuchte Name war nicht aufzufinden.
„Gunther Brandt“, hatte er gesagt. „Mit te ha in der Mitte und de te am Ende.“ Und dann hatte er sie angegrinst und sie hatte die beiden Grübchen in seinen Wangen bemerkt. Wie ein Lausbub hatte er ausgesehen. „Aber ich lasse trotzdem nichts anbrennen.“ Eigentlich eine Anzüglichkeit - Simone hasste so etwas wie die Pest – normalerweise. Aber dieses lausbubenhafte Grinsen hatte von Anfang an ihre normalen – was ist schon normal? seufzte sie - Gepflogenheiten außer Kraft gesetzt. Sie fand ihn einfach nur bezaubernd. Umwerfend. Einmalig. Ein Lächeln hatte genügt, um ihren Verstand auszuschalten.
Nichts, was sie gewohnt war! Eigentlich war normalerweise sie es, die Männerherzen zum Klopfen brachte und zwar wegen ihres glasklaren Denkens und logischen Verstandes. Aufgewachsen mit zwei älteren Brüdern hatte sie von klein auf gelernt, dass nur geistige Höchstleistungen ihr einen angemessenen Platz in der „Männerwelt“ verschaffen konnten. Ihre Ehe war daran zerbrochen, weil ihr Mann es nicht mehr ertragen hatte, sich wie ein Schulbub behandelt zu fühlen. „Du schnürst mir die Luft zum Atmen ab“, hatte er ihr oft vorgeworfen. Aber war es denn ihre Schuld, wenn sie Zusammenhänge rascher und klarer herstellen konnte als er? Kinder hatten sie keine, Simone konnte wenig mit Kindern anfangen, sie waren unlogisch und anstrengend. So war die Trennung von Werner etwas gewesen, was sie nicht allzu sehr belastete, sie vermisste ihn nicht. Als Chefin einer großen Modefirma hatte sie ohnehin wenig Zeit mit ihm verbracht. Genau genommen machte sie sich sowieso nicht viel aus Männern. Sicher, zu einem normalen Leben – normal? Normal! - gehörten sie dazu, aber hatte sie als Frau nicht ohne so einen Klotz wie Werner am Bein viel bessere Möglichkeiten, sich selbst zu verwirklichen? Simone hatte es fast fünfzig Jahre so gehalten und war gut damit gefahren. Bis vor sechs Wochen zumindest. Da war ihr dieser dämliche Kerl vor der Geschäftsausfahrt ins Auto gelaufen und hatte behauptet, sie hätte ihn vorsätzlich angefahren. Wollte Schmerzensgeld für sein gebrochenes Bein, Verdienstausfall und ähnlichen Unsinn. Ja doch, sie hatte es wie üblich eilig gehabt. Aber dieser Mensch musste ja auch nicht wie ein Maulwurf über die Ausfahrt robben, oder? Wenn er nur ein bisschen aufgepasst hätte, wäre nichts passiert. Ihr Prokurist hatte in einer Anwaltskanzlei angerufen und der Chef war persönlich gekommen. Gunther Brandt mit den vielen tes. Seitdem war alles anders.
Simone lächelte in sich hinein. Er hatte tatsächlich „nichts anbrennen lassen“. Keine zwei Tage hatte es gedauert und sie war mit ihm ins Bett gegangen. Sie, die Frauen einfach nur für blöde gehalten hatte, die so rasch männlichen Wünschen nachgaben. Zumindest hatte sie das bisher so gesehen. Gunther hatte sie sehr schnell eines Besseren belehrt. Denn Simone hatte im Grunde nicht seinen Wünschen nachgegeben. Sie hatte sich im Gegenteil beherrschen müssen, nicht schon am ersten Abend…..Sein Lächeln, die Grübchen - das war ja nur der Anfang von allem gewesen. Er war wie ein See, in dem sie sich versenken wollte. Seine Stimme, die ihren Klang ständig verändern konnte - der Duft seines Rasierwassers, der sich mit seinem ureigenen vermischte – die sensitive Zartheit seiner Haut, die sich an ihre schmiegte – sein zärtliches Lachen, das aus der Tiefe seiner Seele zu steigen schien – sie tauchte in ihn hinab und vergaß alles, was sie bisher für wichtig gehalten hatte. Wenn er da war, gab es nur noch ihn. Ihn und sie, unauflösbar verbunden, wie ihr schien. Unerklärbar und unauflösbar. Es gab keinen vernünftigen Grund dafür, aber sie vertraute ihm abgrundtief und vorbehaltlos. So ganz nebenbei hatte er den Fall mit dem „Maulwurf“ für sie in Ordnung gebracht, sie hatte sich nicht mehr darum gekümmert, schließlich war er der Jurist und kannte ihre Interessenlage. Vorgestern hatte er ihr gesagt, die Sache sei in Ordnung und sie hatte ihm praktisch blind eine Vollmacht unterschrieben.
Wieder fuhr ihr Finger die Reihe entlang. „Brandt, Gunther“. „Wo zum Geier ist diese Kanzlei?“ Dummerweise hatte ihr Prokurist sich für längere Zeit krank gemeldet, war auf Kur - was wusste sie schon von ihm? - unerreichbar in jedem Fall.
Seit zwei Tagen hatte sich Gunther nicht gemeldet. Da war ihr aufgefallen, dass sie nichts von ihm wusste, nicht einmal seine Telefonnummer. Sie hatte sie ja nicht gebraucht. Er war immer da gewesen. Bis jetzt. Simone schüttelte sich. Nein, besser: Es schüttelte sie. Es. Die Angst. Gunther. Sie hatte zwei furchtbare Tage hinter sich. Zwei furchtbare Nächte. Minuten, die sich zu Stunde dehnten. Gedanken, die sich im Kreise drehten. Gunther. Wo war er? Was war geschehen? Warum meldete er sich nicht? Unerreichbar war er für sie, wie sie jetzt erst bemerkte. Unerreichbar und fremd. Was wusste sie schon von ihm?
Gewollt hatte sie ihn, gewollt, begehrt, gewünscht – aber nicht bekommen. Plötzlich wusste sie das mit Sicherheit. Sie hatte ihn nicht bekommen. Alles war nur ein Spiel gewesen. Ein falsches Spiel?
Wieder runzelte sie die Stirn. Es war ihr bisher nie wichtig gewesen. Plötzlich fiel ihr der Name ein. Ihr Prokurist. Er hieß Brand. Oder Brandt? Sie hatte keine Ahnung. Komisch. Hieß der komische Kerl, der ihr ins Auto gerannt war, nicht auch so? Eine seltsame Häufung. Seltsam…..
Es war, als lege sich ein Schalter um. Kracks. Bumm.
Ihr Verstand begann, normal – endlich wieder! - zu arbeiten. Brandt.
Sie eilte ins Büro des Prokuristen. Volker Brandt, tatsächlich! Sie durchwühlte den Schreibtisch. Alles penibelst geordnet. Unfall Simone Faber und Arnold….. Sie musste nicht mehr hinsehen, um den Namen zu lesen: Arnold Brandt.
Der Rest war Routine. Gehirnroutine. Sie rief in ihrer Bank an. „Ja, selbstverständlich, gnädige Frau. Wir haben die Überweisung veranlasst. Ja, wir waren ein wenig überrascht über die Höhe…. Aber Sie hatten ja… Ist etwas nicht in Ordnung damit?......Ja? …..Dann ist es ja gut!“
Schwerfällig legte Simone den Hörer in die Schale zurück. 50 000 Euro. Überweisung an Herrn Arnold Brandt. Brandt mit dete…..
Es war nicht einmal das Geld, das sie schmerzte. Ein Verlust, gewiss. Doch lächerlich im Vergleich zu dem, was sie sonst noch verloren hatte. Die Liebe ihres Lebens. Den Mann ihres Begehrens. Egal, was kommen würde. Egal, wo und wie sie mit ihm würde überleben können – es war das, was für sie zählte.
Ihre Hand zitterte nicht, als sie die Nummer wählte. Ihre Stimme war klar und bestimmt, als die Verbindung zu Stande kam. „Hallo Werner, Simone da! Ich muss dringend mit dir sprechen. Wärest du bereit, die Firma zu übernehmen? Ich werde aussteigen!“
Sie musste ihn finden. Sie WÃœRDE ihn finden. Er war ihr Leben.

Letzte Aktualisierung: 14.07.2007 - 11.06 Uhr
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