Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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Juli 2007
Schluss mit den Frauen
von Juli Jaschek

Also, es gab ja schon Tage, wo ich mir überlegt habe, ob nicht ein Leben als Junggeselle ein paar verdammte Vorteile hat. Wenn man nicht jedes Jahr wieder über das Weihnachtsgeschenk nachdenken muss, das Geburtstagsgeschenk, fällige Blumensträuße. Ein Leben ohne Psychodebatten (Mascha ist Hobbypsychologin) und vor allem Feierabende ohne Überraschungsgäste, die einem den Abend verlängern, das Bier wegsaufen und mit deiner Frau flirten. An dem Abend damals war das nämlich alles der Fall.

Ich komme also heim, so gegen sechs, und das erste, was ich sehe, sind Beine und Unterleib von Adi Krabbe auf unserem Küchenboden. Der Rest von ihm steckt in unserer Spülmaschine. Um ihn rum liegt Werkzeug im Halbkreis. Mascha sitzt auf dem Hocker, hat das Bein angezogen wie Marlene Dietrich in diesem Film und reibt Spucke auf einen Mückenstich. Das ganze Arrangement hat etwas ... na ja, sagen wir Melancholisches, wenn man müde und hungrig von der Arbeit kommt.
„Hi“, sagt Mascha. „Auch ein Bier?“
Sie hat sich schon eins aufgemacht. Und für Adi, der nun ruckweise aus der Spülmaschine herauskommt, steht auch eine Flasche da, fürsorglich geöffnet von Maschas Händen, die eigentlich den Tisch hätten decken sollen, das Pichelsteiner zubereiten, den Kater von meinem Stuhl scheuchen.
„So ein G’lump!“, sagt Adi und greift nach der Flasche. „Das krieg ich heut nicht mehr hin. Ich muss eh gleich gehen.“
„Und der Saustall da herin?“, frage ich. Ich meine, da kommt man heim, müde, geschafft, da liegt die ganze Küche voller Werkzeug und dann soll man wohl noch selber alles aufräumen?
„Neeiin“, Mascha mit ihrer süßesten Stimme, „gleich gibt’s Essen. Gell Aadi, du bleibst noch...“
Da steht also der Adi auf seinen Fußballerbeinen und streicht sich mit einem langen Daumen über die Bartstoppeln. „Muss noch zur Ariadne“, murmelt er.
„Hast du gehört?“, sage ich zu Mascha, die gerade den Herd anstellt. „Halt ihn doch nicht länger auf, wenn er zu seiner Freundin will.“
Damit man mich jetzt nicht missversteht: Ich habe überhaupt nichts gegen Adi Krabbe, er ist ein netter Kerl, der beste Torwart, den wir je hatten. So einer darf schon mal was abhaben von Maschas Pichelsteiner. Obwohl gerade dieses Pichelsteiner für mich... na ja, bei mir in der Bank gibt es ja auch nicht nur Einzahlungen. Betrachten wir es als eine Art Ausschüttung.
Im Kochtopf blubbert es einmal auf. Adi zieht die Augenbrauen hoch, auf seiner Stirn schieben sich drei Wellen nach oben. So sieht er immer leicht wie ein Mephisto aus. Ein athletisch gebauter Mephisto. Seine Augen beginnen zu glänzen. „Na ja, vielleicht bleib ich doch noch“, gibt er bekannt.
„Super“, strahlt Mascha.
Was hab ich grade gesagt? Dass ich bei einer Bank arbeite? Quatsch, ich BIN die Bank. Jedenfalls für Leute wie Mascha. Die mir einen geruhsamen Abend verspricht und dann ein Chaos in der Küche anrichtet. Die zum Beispiel erst Byzantinistik studiert hat, damit sie dann todsicher keinen vernünftigen Job kriegt, dafür immer wieder mal nach Griechenland muss, dann von dort einen einäugigen Kater nach Hause bringt, der seither meine Lieblingsplätze im Haus besetzt – also, das ist eine endlose Liste! Ob der Eintopf für drei reicht?
Resigniert schubse ich den Kater vom Stuhl und hol mir ein Bier.
„Prost“, sagt Adi Krabbe.
„Und Ariadne wird nicht böse, wenn du sie so einfach warten lässt?“
Vom Herd zieht der Duft von Schweinefleisch, Kartoffeln, Bohnenkraut herüber. Mascha schneidet die Petersilie, ihr kleines Messer tackert wild auf dem Holzbrett.
„Na ja, eigentlich erwartet sie mich gar nicht“, sagt Adi und bewegt wieder seine Teufelsbrauen, „Ich wollte heute bloß hin und sagen, dass ich Schluss mache mit ihr.“
„Was?“
Maschas Messer ist verstummt.
Ist es zwei Jahre her, drei? Rock’n Roll auf irgendeiner Geburtstagsparty, Adi, der Ariadne herumschwenkt, die große blonde Sportlehrerin mit dem roten Mund und „schau mal, wie der Adi göttlich tanzt“, sagte Mascha damals. Aha, damit kriegt er also all die tollen Weiber? dachte ich und hielt mir eine Hand auf den Bauch, der davon leider nicht kleiner wurde. Aber nein, sagte wieder Mascha, nicht nur Rock’n Roll, sondern „weil er, mein Gott, halt was andres ist.“ Ihre beiden Eltern sind nämlich Zahnärzte und mein Alter Beamter, während Adi im Glasscherbenviertel groß geworden ist, wo man sich schlägerte und Einbruchdiebstähle beging.
„Und das willst du Ariadne jetzt so zum Feierabend servieren?“, frage ich.
„Na ja, ähm“, macht Adi. „Ich glaub, jetzt ess ich erst mal was, wenn’s recht ist.“
„Wieso überhaupt Schluss mit Ariadne?“ Maschas Augen funkeln vor Neugier.
„Ach, weil sie so auf Ehe macht, das ist nix für mich“, sagt Adi und sieht zu, wie sie ihm einen großen Klacks Gelb-Grün-Grau in den Teller schöpft.
„Interessant“, sagt Mascha. „Woher kommt das? Ich meine, wie war das denn so bei dir zu Haus früher?“
„Was?“
Mein Gott, dann war das am Ende ernst gemeint, als sie letzte Woche davon sprach, noch ein Psychologie-Studium dranzuhängen?
„Mascha, lass doch mal gut sein“, mahne ich, nach dem Salzstreuer greifend.
„Nee, nee, das INTERESSIERT mich jetzt! Wie war denn da dein Vater drauf, wollte der auch mal seine Familie verlassen – einfach so?“
„Aber wo, der wär nie weggelaufen“, sagt Adi, während er den Löffel zum Mund hebt. „Er war doch Koch. Die sind sesshaft. ‚Sich Regen, bringt Segen’, hat er immer gesagt. Und massig Ehre im Leib, so als alter Sozi - hwfff“ er zieht die Lippen zurück vor dem heißen Kartoffelstück.
„Was? Nie fremd gegangen?“, forscht Mascha weiter nach.
„Ha?“, sagt Adi und lehnt sich zurück, sogar den Löffel lässt er sinken. „Ah so. Na ja, da war schon was ... Einmal ist er dahergekommen mit einer ganz wilden Geschichte. Dass er damals im Krieg in Jugoslawien was angestellt hat und dass jetzt der Jugo-Geheimdienst hinter ihm her ist und alles war ganz geheim, man hat ihn nicht mehr fragen dürfen, wo er abends hin ist...“ Er bläst auf die Kartoffel.
„Aha!“, sagt Mascha und macht ein wissendes Gesicht.
„In Wirklichkeit wars aber so, dass er der Leibkoch vom damaligen Bürgermeister worden ist. So ist er in diese ganzen SPD-Kreise reingekommen. Und bei denen hat er sich dann eine Freundin aufgegabelt. Das war so eine intellektuelle Mieze...“ wieder unterbricht er sich, die Kartoffel rutscht ihm die Speiseröhre runter, der Adamsapfel hilft schieben.
„Ja?“, souffliert Mascha und bemüht sich, halb intellektuell und halb wie eine Mieze auszusehen – stützt das Kinn auf den Handrücken und bläht ihre kleinen, gekerbten Nasenflügel.
„Und auf einmal hat er daheim plötzlich über Sex geredet. ‚Ich will Haut spüren!’ hat er zur Mama gesagt. So was war bis da überhaupt nicht üblich bei denen.“
„Und sie?“
„Also am Anfang noch ‚geh, Papa, da verkühlst dich ja bloß’!“ Jetzt kann Adi nicht mehr und fängt zu lachen an. Das hört sich bei ihm so an: „huach, kwach, wach...“ weil es von unten kommt, tiefer als der Bauchnabel, das Lachen muss sich durch den ganzen Körper mit all den Muskeln vom Schwimmen und Fußballspielen zwängen, bis es am Ende klingt wie eine Tür, die quietschend in den Angeln schwingt: „Hwaach, kwach, wach...“
Während meine Lache von dem Fett, das auf der Bauchdecke sitzt hin und her geschoben wird und sich mehr so anhört: „worglwarglworgl“.
„Waas hat sie – worglworgl...?“
„Hwaachwach – und dann – und dann, wo das mit der Geschichte vom Geheimdienst war, das hat sie ja geglaubt, aber nicht dass sie Angst gekriegt hätte, sondern sie ist bös geworden: ‚Vorher war er ganz normal’, hat sie geschimpft, ‚und auf einmal ist er so ein Saubär worden!’ Als ob die SPD ... hwaach...“
„Ist sie ihm denn drauf gekommen? Mit der anderen, meine ich.“
„Nein. Nur einmal fast. Das war am Oktoberfest. Da kommen auf einmal der OB und die ganzen Häuptlinge von der SPD zu uns an den Tisch und haben ihn begrüßt und mit Blacky angeredet. Weil er so ähnlich ausgeschaut hat wie der Blacky Fuchsberger. Da hat dann keiner mehr gewusst, was jetzt los ist.“
Ja, tatsächlich, denke ich, während ich mein Taschentuch vorhole, um mir den Schweiß und die Lachtränen abzuwischen. Vom Fuchsberger hat er auch was, der Adi.
Mascha ist die einzige, die nicht lacht. Sie hat sich Kater Polyphem auf den Schoß geholt und krault ihm mit Verschwörermiene den Hals. „Und – was ist jetzt wegen Ariadne?“ erkundigt sie sich.
„Ach“, sagt Adi, plötzlich ernüchtert. „Ich weiß nicht. Also heut geh ich da jedenfalls nicht mehr hin.“
„Morgen?“
„Mhm, weiß nicht.“
„Und wie willst dus ihr sagen?“
„Weiß ich nicht, Scheißdreck! Vielleicht mach ich ja doch nicht Schluss.“
„Ja“, sage ich. „Vielleicht wirklich gescheiter. Was willst du - du hast ja eh schon alle aufgerissen von denen, die man so kennt.“
„Nnnja, alle bis auf mich“, meldet Mascha und drückt ein Schmollgesicht in das Katzenfell.
„Kann ja noch werden!“, versichert Adi und lässt die Augen glitzern.
Und? Das wärs doch jetzt gewesen, oder? Mascha nehmen, sie Adi in die Hand drücken, ein freier Mensch werden, Ariadne besuchen...
„Mascha“, sage ich stattdessen. „hüte dich vor dem, der kommt, um die Spülmaschine zu reparieren und stattdessen den eigenen Erzeuger blamiert!“
„BLAMIERT?“, fragt sie in einem Tonfall, als hätte sie am Grund des Eintopfs einen Frosch entdeckt. „Das war eine HAGIOGRAPHIE, Mensch!“ Und schaut so hochmütig dabei wie diese oströmische Kaiserin auf dem Mosaik, das über ihrem Schreibtisch hängt.
„Adi“, sage ich mit letzter Kraft, „Finger weg von Mascha! Sonst mach ich Krabbensalat aus dir.“

Mascha und ich leben immer noch zusammen. Sie hat jetzt tatsächlich einen Job im Museum bekommen. Das heißt, sie kommt nicht mehr so oft zum Kochen. Trotzdem bin ich irgendwie noch dicker geworden. Manchmal dachte ich, ich könnte sie nie verlassen wegen ihres Pichelsteiners. An anderen Tagen denke ich, dass ich so schnell vielleicht keine mehr finden werde, die weiß, was eine Hagio-Dingsbums, na egal, halt eine, die so einen komischen Krempel studiert hat.
Und Adi? Der hat inzwischen mindestens – ach, ich weiß nicht, wie viele das waren. Seine Neue haben wir bis jetzt erst einmal gesehen. Eine Künstlerin. Sieht nett aus.

Letzte Aktualisierung: 26.07.2007 - 14.20 Uhr
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