'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
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Das Ruhrgebiet ist etwas besonderes, weil zwischen Dortmund und Duisburg, zwischen Marl und Witten ganz besondere Menschen leben. Wir haben diesem Geist nachgespürt.
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August 2007
Bis in alle Ewigkeit
von Sabine Poethke

Marvin flennte wie ein kleines Kind. Er saß da, mit krummem Rücken, vergrub das Gesicht in seinen Händen. Seine Tränen tropften auf die Anklagebank. Er hätte ewig so weiterheulen mögen.
„Ich verurteile Sie hiermit zu drei weiteren Jahren Haft – ohne Bewährung.“ Der Richter schloss die Verhandlung und erhob sich würdevoll. Die Herren in schwarz verließen den Raum, drehten sich nicht mehr zu ihm um.
„Herr Flessow? Geht’s?“ Der Anwalt klopfte seinem Mandanten auf die Schulter. „Ich werde gleich morgen alles für die Berufung schreiben.“
Marvin Flessow blickte seinem Pflichtverteidiger verzweifelt ins Gesicht. „Habe ich eine Chance?“, fragte er. „Nur eine winzige Chance?“ Seine Stimme brach schluchzend ab. Mit hängenden Schultern lief er neben dem Justizpolizeibeamten her, der ihn zum Gefangenentransporter brachte.
Müde stieg er in den Wagen. Die Tür wurde zugeschoben. Der Motor heulte kurz auf.
Langsam rollte Marvin zurück in die Hölle.

„FLESSOW! Hej, wieder im Lande?“ Der Muskelprotz mit der Glatze und den Tattoos schrie über den Flur zu ihm herüber. Zielstrebig kam er auf Marvin zu. „Kippen her und halt’s Maul!“, zischte der Typ ihn an. Sein Blick glitt nach links und rechts in den Flur, dann schnappte er sich die Zigaretten und trat dem Schmächtigeren auf die Füße. Seine grobe Hand packte Marvins Kinn. „Maul halten, hab ich gesagt. Ist das klar?! Dann lass ich dich - vielleicht - in Ruhe.“
Marvin sah ihm nicht nach, lief schnell auf seine Hütte. Er hatte die Schnauze voll! So voll. Die Wärter interessierte das hier alles einen Scheiß. Sie waren blind. Ihm sagten sie: Du hast nicht recht gehandelt, du musst bestraft werden – hier drin ging es nirgendwo um dieses Recht. Nur um eins. Das Recht des Stärkeren. Die Schließer hatten doch alle Schiss, zwischen die Fronten zu geraten. Marvins Wut steigerte sich, je mehr er über Recht und Unrecht nachdachte.
Klar, er hatte Mist gebaut. Mit Kumpels Kleinere und Schwächere abgezogen. Aber wenn die sich von Drohungen einschüchtern lassen? Selbst Schuld. Hätten doch bloß „Nein verpisst euch!“ sagen sollen. Haben lieber alles gleich rausgerückt. Ging es ihm, bevor er sich der Gruppe um King angeschlossen hatte, nicht genauso? War er da nicht auch gerannt oder hatte Prügel bezogen? Kam er da nicht mit zerrissenem Sweatshirt nach Hause und es fehlte seine neue Jacke? Und warum verliefen die Anzeigen seiner Eltern im Sande? Er hatte seine Sachen nie wieder gesehen. Fragte da jemand, wie er sich dabei fühlte?
Scheiße.
Er trat gegen das Mauerwerk. Mit den Fäusten schlug er auf die Zellenwand ein, bis die Schmerzen mit seiner Wut verschwammen.

Wegschluss, es war neunzehn Uhr, der Schlüssel drehte sich schnarrend in der Tür.
Marvin lag auf seiner Pritsche und starrte an die Zimmerdecke.
Es ging hier schlimmer zu als draußen. Viel schlimmer. Die Starken lebten sich aus, die Schwachen litten doppelt. Hast du was, bist du was. Bist du nix, wirst du nix.
Der King saß seine Zeit im Schatten weißer Wolken ab und konnte ungesiebt die Sonne genießen, der war fein raus. Marvin hatte seine Klappe ebenso gehalten, wie alle anderen vor ihm. Wenn er wieder draußen war, gab es wenigstens Startkapital. Der King hatte es versprochen.
Ja, wenn er wieder rauskam!
Hier drin gab es auch einen King, nur nannte der sich Schlächter. Ansonsten unterschied ihn nicht viel von King.
Marvin fluchte. Seine Gedanken irrten eilig kreuz und quer in seinen Gehirnwindungen herum und verliefen sich im Dschungel des Grübelns. Sie schwirrten aus, rempelten aneinander und schlugen Purzelbäume. Zum Schluss lagen sie Schachmatt auf dem Rücken und zappelten mit den Beinchen.
Wieso nur hatte er vor drei Jahren zum King nicht einfach NEIN gesagt? Warum musste er erst in der Scheiße landen? Nun wurde er das Gefühl nicht los, dass er für immer mit diesem Geruch herumlaufen musste, weil er bis zum Hals mittendrin steckte und nicht mehr herauskam.
Für den Bruch und die Handys, die sie abgezogen hatten, für die Drohungen und Androhungen von Gewalt, hatte er drei Jahre bekommen. Die ersten zwei Jahre zogen sich zäh wie Kunsthonig, das nicht vom Messer tropfen will. Dann machte die Zeit endlich Riesenschritte.
Warum der Schlächter ihn ins Visier nahm, wusste Marvin nicht zu sagen. Sie waren nie aneinandergeraten. Aber sein drittes und letztes Jahr hatte gerade begonnen, da suchte dieser ihn zur Zielscheibe aus. Bei den Wärtern beschweren? Dazu war die noch zu verbleibende Zeit zu lang. Eine Hoffnung, dass der Kerl von ihm abließ? Oder das ihm jemand half? Nein, darauf konnte er nicht hoffen. Zu viele hatten Schulden bei ihm. Seine Kontakte waren ausgefeilter. Der saß seit sieben Jahren ein und hatte noch achtzehn vor sich. Unmöglich sich mit dem anzulegen.
Marvin musste sich entscheiden – und tat es …

„Also, ihr Hübschen.“ Der Glatzkopf lächelte fies. „Täter oder Opfer?“
Marvin wurde im Duschraum von drei Leuten umklammert. Dem anderen jungen Mann, ebenfalls höchstens Anfang zwanzig, erging es ebenso.
„Nun, ziert euch nicht!“ Die Gang stachelte sich gegenseitig auf.
„Los, gib’s ihm!“, flüsterten sie in Marvins Ohr.
„Los, zeig’s ihm!“, forderten sie von dem anderen.
Dann trat der Dicke Marvin in den Bauch. Er krümmte sich und stöhnte.
Der andere, quasi sein Gegner, ertrug die Attacken auch nur mit Mühe. Die Lippen presste er fest aufeinander, Schweiß glänzte auf seiner Stirn. Ein Tropfen setzte sich über der Schläfe in Bewegung, rollte langsam das Gesicht hinunter.
„Zieht ihnen die Hosen runter!“ Der Schlächter kam dicht an Marvin heran, steckte ihm irgendetwas Hartes hinten rein. Es brannte wie Feuer. Marvin wollte schreien, aber sie drückten ihm die Hände fest vor seinen Mund.
Eine Ewigkeit lang stocherte es in ihm herum. Endlich ließ der Typ von ihm ab.
„Jetzt du!“, sagte der und zeigte auf das andere Häufchen Unglück und Marvin sah, wie der Schwanz des Glatzkopfes im Arsch seines Gegenübers verschwand. Dessen Augen verengten sich, er zappelte hilflos wie ein Fisch am Haken. Ohne Chance. Marvin würgte. Gleich, gleich kommt er wieder zu mir. Die Panik brannte an und in seinem ganzen Körper.

Schlächter wichste ihm mitten ins Gesicht. Dabei lachte er. Er hatte die Macht.
„Wer will als nächstes?“, fragte er danach seelenruhig.
Der Dicke ließ seine Hose runter.
„Ihr habt die Wahl.“, sagte der Schlächter, während er sich den Reißverschluss hochzog. „Einer von euch könnte erlöst werden. Aber, wenn ihr nicht wollt ...“
Demonstrativ bekam jeder der beiden ein paar schlagkräftige Argumente in den Magen. Marvin verkrampfte sich. Der andere röchelte.
Langsam kam der Dicke auf Marvin zu. „Los – lutschen!“ Er rammte sein fettes Ding in Marvins Hals. Die anderen heizten ihn an.
„Beeil dich! Ich will auch.“
„Ja, los Dicker, mach hin! Bei mir juckt’s schon.“
Er zog seinen Schwanz aus Marvins Mund. „Los – Hol mir einen runter!“
„Und mach schon mal den Arsch für den nächsten bereit.“ Der Glatzkopf schob den Dicken zur Seite und legte den Arm brüderlich um Marvin. „Oder möchtest du lieber deine Ruhe vor uns?“
„Ja!“, keuchte Marvin. Jemand klatschte auf seinen schmerzenden Hintern. Bohrte darin herum. Mit einer Zahnbürste? Irgendetwas dünnen Hartem. Es tat so weh. „Ja … meine Ruhe! Bitte …“
„Lasst ihn erstmal. Jetzt gibt’s Saures für den da.“ Er zeigte auf den anderen.
„Ich mache, was du willst … was du willst. Ehrlich! Du kannst … alle meine Zigaretten haben. Und den Einkauf für den ganzen nächsten Monat!“
„Zu spät, der andere hat sich eher entschieden – und wer zu spät kommt … deine Zigaretten darfst du mir trotzdem schenken. Wir wollen doch hinterher alle eine rauchen, Jungs, was?“ Beifallheischend grinste er in die Runde.

Nachdem alle dran gewesen waren, umringten sie Marvin, der mit geschlossenen Augen in der Ecke gehockt hatte.
„Und jetzt du!“
Marvin sah hoch und direkt auf den roten Hintern seines ehemaligen Gegners. Der heulte vor sich hin, wimmerte leise. Sie hielten ihn, damit er nicht umfiel.
„Ich krieg jetzt keinen hoch.“
„Entweder – Oder. Wenn du aber nicht willst …“ Der Glatzkopf wies auf einen aus der Runde. „Du willst doch sicher noch einen Nachschlag abgeben.“ Der Angesprochene grinste und ging auf Marvin zu.
„Schon gut …“ Marvin schloss die Augen. Titten. Pralle Titten. Steife Nippel.
Jemand nahm eine seiner Hände und legte sie auf den nackten Hintern vor ihm. „Stell dir vor, es ist ne Muschi.“, flüsterte es an Marvins Ohr. Sein Zeigefinger wurde in die enge Öffnung geschoben. „Ne kleine, feine Muschi!“ Rausgezogen, reingeschoben.
Sterne kreisten durch Marvins Hirnwindungen und schubsten die normalen Gedanken zur Seite. Die fielen um und blieben wie tot liegen. Er kapierte gar nicht, was genau geschah. Mensch, warum hatte er sich so lange gewehrt? Jemand versuchte sein Glied steifzureiben. War gar nicht schlimm. Jedenfalls tat es Marvin nicht mehr weh.
Aber er konnte nicht, konnte seinen Verstand nicht abschalten. Sein totgeglaubtes Gewissen lebte. Ängstlich öffnete er die Augen.
Die Meute lachte. „Ein Schlaffmann! Los, gehen wir auf die Buden.“
Das Opfer landete hart auf den Fliesen. Der Schlächter zischte ihm ins Ohr und zog die Zigaretten ab. Noch einmal trat er ihm kräftig in die Seite. Das Bündel Mensch stöhnte.

„Die Zeugen haben bestätigt, dass Sie ihr Opfer brutal vergewaltigten, als sie während ihres Aufschlusses unter die Dusche wollten. Die Aussagen decken sich mit der des Opfers. Herr Flessow, die Beweislage ist eindeutig. Das ärztliche Gutachten hat bei Ihnen keine Anzeichen von Missbrauch ergeben. Wollen Sie noch etwas sagen, Sie haben das letzte Wort.“

Marvin hatte den Kopf geschüttelt. Welchen Sinn hätte es gehabt?
„Ich verurteile Sie hiermit zu drei weiteren Jahren Haft ohne Bewährung. Die Sitzung ist geschlossen.“
Marvin hörte deutlich die Stimme des Richters und starrte weiter an die Zimmerdecke.
Verdammt, er hatte nur noch ein paar Monate gehabt. Nun würde er auf der Bude bleiben, auch wenn es hart werden würde. Irgendwann würde er wieder frei sein.
Drei weitere Jahre, weil er unverbesserlich war – sagten sie.
Die hatten doch keine Ahnung.

Letzte Aktualisierung: 27.08.2007 - 19.32 Uhr
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