Honigfalter
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August 2007
Zwischenstation
von Manuela Schulz

„Zum ICE nach Hamburg Altona einsteigen bitte!“ Kurz darauf schlossen die Türen beinahe lautlos und der Zug glitt leise aus dem Bahnhof.
Petra Lysowski stellte ihre Reistasche neben einer Werbetafel ab und sah den Bahnsteig entlang. Aber in dem Gewimmel konnte sie ihn nicht ausmachen. Sie wunderte sich über die kleine Freude, die sie verspürte, ihn zu sehen. Vielleicht war es auch nur das beruhigende Gefühl, dass es in all der namenlosen Geschäftigkeit jemandem gab, für den ihre Ankunft Bedeutung hatte. Sicherlich war es nicht mehr wie früher. Georg würde keine Blumen dabei haben und sie auch nicht mehr so stürmisch an sich drücken. In den ersten Jahren hatte sie bei seinen festen Umarmungen oft das Gefühl, er wolle sie sich einverleiben. Sie wurde dann immer ganz steif und stemmte ihre Unterarme gegen seine Brust. Berührung und Abstand hieß ihr ewiger Streit. Später wurde daraus ein erschöpftes Schweigen und schließlich richteten sie sich im Austausch von höflichen Gesten, Nachrichten und einer Art funktionalen Verlässlichkeit ein. So konnten sie in der großen Wohnung nebeneinander sein.
Der Bahnsteig leerte sich rasch. Georg war nicht zu sehen. Dabei hatten sie gestern, wie bei jeder ihrer vielen Dienstreisen, noch kurz miteinander telefoniert. Er wusste, wann sie ankommen würde. Es war nicht seine Art, unpünktlich zu sein. Petra sah auf die Uhr. Fünfzehn Minuten über der Zeit! Als sie wieder aufblickte und sich erneut umsah, war sie allein auf dem langen Bahnsteig. Ein Gefühl tiefer Verlassenheit stieg jäh in ihr auf. Sie riss die Reisetasche an sich und eilte zur Rolltreppe. „Dann eben ein Taxi!“ sagte sie trotzig zu sich selbst. Der laut gesprochene Satz spülte den Kloß in ihrem Hals hinunter.

Als Petra die Wohnungstür aufschloss, schlug ihr der Duft von Gebratenen entgegen. Sie erkannte ihn sofort. Es roch nach Georgs berühmten Kalbshaxen! Sie sog den vertrauten Geruch gierig ein. Er wirkte wie Äther auf ihren Groll. Georg kochte für sie! Petra stellte die Reisetasche ab und legte den Wohnungsschlüssel in die Schale auf der Flurgarderobe. Dann zog sie leise die Schuhe aus und schlich wie ein erwartungsfrohes Kind auf Zehenspitzen durch den langen Flur bis zur Küchentür. Im Türrahmen blieb sie wie angewurzelt stehen. An ihrem Herd stand, angetan mit ihrer blau karierten Kochschürze, eine kurzhaarige fremde Frau. Die Fremde bückte sich jetzt und öffnete die Backröhre. Petra sah auf ihren wuchtigen Hintern, den fleischigen Nacken und die kräftigen Arme, die den Bräter aus der Röhre zogen. „Wie ein Brauereipferd!“ schoss es ihr durch den Kopf. Ein Pferd! Ein dickes Pferd in ihrer Küche! Für einen Augenblick gab ihr dieser Gedanke das Gefühl von Überlegenheit. Ein Pferd war ein Tier, das man weg scheuchen konnte. Ein Pferd gehörte nicht in ihre Küche! Und ein Pferd hatte garantiert nichts mit Georg zu tun!
Das Pferd richtete sich auf, wuchtete den Bräter auf die Arbeitsplatte und öffnete den Deckel. Eine Duftwolke breitete sich aus. Aber Petra nahm sie nicht wahr. Sie starrte wie gebannt auf die gebräunten Kalbshaxen. Es waren drei!
„Da bist Du ja!“ Petra fuhr herum. Georg stand im Flur und bemühte sein charmantes Lächeln, von dem sie wusste, dass es nichts bedeutete.
„Ich hoffe, Du hattest eine gute Fahrt!“ sagte Georg und setze fort: „Wir dachten, wir kochen für uns und essen zusammen!“ Dabei wies er auf das Pferd, das mit großen blauen Augen zur Küchentür blickte und ebenfalls lächelte.
„Ach so, ich habe Euch ja noch gar nicht offiziell bekannt gemacht!“ sprach Georg weiter. „Also Petra, das ist Gundula, meine Freundin, und das, Gundula, ist Petra, meine Frau!“ Georgs Handflächen, von denen jede auf eine der Frauen wies, wandelten sich in zwei Waagschalen, die in gleicher Höhe schwebten. Für den Bruchteil einer Sekunde sah es so aus, als wäre alles offen, als gäbe es ein Gleichgewicht, ein Unentschieden, eine Möglichkeit für die eine oder andere, etwas in diese Waagschale zu werfen - ein Wort, eine Berührung, eine Erinnerung, einen Geruch, einen Blick. Als würde er sich der Bedeutung seiner Gesten bewusst, klatschte Georg plötzlich in die Hände, deutete auf den Bräter und ergänzte:
„Und das sind unsere Kalbshaxen! Ha, ha, ha!“
„Ha, ha, ha!“ machte auch das Pferd. Es war ein lebloses Lachen, das unter Petras dunklem Blick jäh abbrach, wie ein dürrer Ast.
„Na, dann wollen wir mal!“ sagte Georg in die schwierige Stille. Es klang abschließend, als sei alles Wesentliche benannt und der gemütliche Teil des Abends könne beginnen.
„Aber bitte, so setz Dich doch!“, sagte wie zur Bestätigung das Pferd und schob Petra den Stuhl an einer der Längsseiten des Tisches zurecht. „Ich decke nur noch schnell ein.“
Petra sah, wie das Pferd emsig ihre Küchenschränke öffnete, ihre Zwiebelmusterteller heraus nahm und aus der Schublade ihr Besteck mit den hellblauen Porzellangriffen holte. Plötzlich hielt das Pferd inne und sah fragend zu Georg.
„Sollen wir die weiße Damasttischdecke auflegen, die aus der dunkelbraunen Kommode? Was meinst Du, Greggi?“
„Brauchst Du eine Tischdecke?“ gab Georg die Frage an Petra weiter.
Petra stand immer noch in der Küchentür. Mechanisch schüttelte sie den Kopf. Sie hatte das Gefühl, in einem abstrusen Stück mit zu spielen und als einzige ihre Rolle nicht zu kennen.
„Ich denke, es geht auch ohne, Gundi!“ sagte Georg und schob sich an Petra vorbei in die Küche. Das Pferd verteilte nun die Teller und Georg richtete das Besteck aus.
Petra stierte auf den Tisch ohne etwas zu sehen.
„Nehmen wir für den Wein die guten Gläser von gestern Abend oder die einfachen aus der Küche?“ wollte das Pferd wissen und sah wieder zu Georg. Georg schaute zu Petra.
„Gut oder einfach?“
Petra schwieg. Sie war wie betäubt.
„Wir nehmen die aus der Küche!“ entschied das Pferd.
„Nun setz Dich doch endlich!“ sagte Georg zu Petra.
Petra bewegte sich nicht. Georg ging langsam auf sie zu, zog sie sacht am Unterarm in die Küche und drückte sie auf den zurecht gerückten Stuhl. Sie ließ es geschehen. Sie war Zuschauer in einem Film. Das hier war nicht wirklich ihre Wohnung, das war nicht ihr Georg und dieses Pferd gab es gar nicht!
Das Pferd trug jetzt auf und setzte sich neben Georg.
„Na dann, guten Appetit!“ verkündete Georg und stieß seine Gabel tief in die Haxe. Das Pferd tat es ihm nach. Die beiden kauten einträchtig nebeneinander.
Petra starrte sie unverwandt an. Ihre Unterarme lagen leblos auf der Tischplatte während ihre Gedanken wie Ertrinkende um sich schlugen und keinen Halt fanden.
Georg hörte schließlich auf zu kauen und sah Petra an. Sein Blick erschien ihr einen Wimpernschlag lang wie ein Rettungsring. Gleich würden seine Augen lachen wie früher. Er würde schelmisch grinsen und zum Pferd sagen, dass es jetzt abräumen und dann nach Hause gehen könne. Dann würde er aufstehen, um den Tisch herum kommen und seinen Kopf an ihren Hals schmiegen. Sie würde ihm übers Haar streichen, vertraulich und tröstend zugleich.
Doch Georgs Blick blieb glatt und kalt.
Auf einmal wusste Petra, dass es stimmte. Alles Wesentliche war gesagt, vor langer Zeit schon. Das Stück war gleich zu Ende, ihre Rolle jetzt klar. Petra stand auf, ging zur Küchentür, den Flur entlang, zog ihre Schuhe an und nahm die Reisetasche. Sie griff, der Gewohnheit folgend, nach dem Wohnungsschlüssel in der Schale. Mitten in der Bewegung hielt sie inne. Ihre Hand blieb leer.

„Zum ICE nach Hamburg Altona einsteigen bitte!“ Petra Lysowski stellte ihre Reistasche neben sich auf dem Sitz und sah aus dem Fenster. Sie hörte den Pfiff, hörte wie die Türen leise schlossen und spürte, dass der Zug sich langsam in Bewegung setzte. Der Bahnsteig glitt vorbei, später Mauern, Häuser, Masten und Bäume, Wälder und Felder. Alles wirkte fremd, unwirklich, ohne Zusammenhang. Petra spürte wieder den Kloß im Hals. Aber ihr fiel kein Satz ein, mit dem sie ihn weg spülen konnte.

Letzte Aktualisierung: 20.08.2007 - 22.25 Uhr
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