Das alte Buch Mamsell
Das alte Buch Mamsell
Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
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August 2007
Ein perfekter Plan
von Esther Schmidt

Klaus Liebknecht hatte kaum zu hoffen gewagt, dass er es sehen würde. Dass er tatsächlich dabei sein und sogar von seinem gemütlichen Fernsehsessel aus zusehen konnte, wie sie starb. Aber als er das Knirschen hörte und sie auf den oberen Stufen der Treppe sehen sah, wusste er, dass dies der Tag war, auf den er so lange gewartet hatte.
Die Treppe, die vom Flur ins Obergeschoss führte, war eine Konstruktion aus viel Holz und etwas Stahl, elegant und fein – viel zu zierlich für das fette Wahlross, zu dem sich seine Frau entwickelt hatte.
Molly war nie schön gewesen, aber sie hatte Geld gehabt. Genug Geld, dass er bereit gewesen war, über das grobschlächtige Gesicht und die wabernden Arme hinweg zu sehen. Wer hätte auch ahnen können, dass sie über die Jahre immer weiter aufquellen würde, bis sie sich kaum noch durch eine Zimmertür quetschen konnte? Und wie hätte er voraussehen sollen, dass sie sich zu einer weinerlichen, kränkelnden Zicke entwickeln würde, die ihn mit einem Keifen empfing, wenn er von der Arbeit kam, und mit einem vorwurfsvollen Heulen am nächsten Morgen entließ. Sie war unerträglich, umklammerte ihn mit ihrer Gier nach Zuneigung, drückte ihm die Luft ab. In ihrem ganzen – zugegebenermaßen nicht großen – Bekanntenkreis waren sie die ersten gewesen, die sich Handys anschafften. Molly hatte darauf bestanden, denn so gab es keine Möglichkeit, ihr zu entfliehen. Nicht einmal ein kleines Verhältnis am Arbeitsplatz war ihm mehr möglich gewesen. So lebte er abstinent, denn er hatte es schon lange aufgegeben, zwischen Mollys monströsen Schenkeln nach der winzigen Öffnung zu suchen. Er ekelte sich nur noch, wenn sie sich in ihrem spitzenbesetzten Nachthemd – wer produzierte solche albernen Zelte bloß? – ins Schlafzimmer wälzte, und wenn ihre Pranken unbeholfen über seinen Kopf streichelten, stellte er sich schlafend.
Liebknecht hatte sogar schon an Scheidung gedacht, doch das hieße, alles aufzugeben: das große Haus, den Pool im Garten, den Sportwagen. All das gehörte ihr, und er machte sich keine Illusionen darüber, dass sie bei einer Scheidung auf ihren Rechten bestehen würde. So entwickelte er andere Strategien ihr zu entfliehen. Er musste sich nur im anderen Stockwerk aufhalten, denn die Treppe war für sie ein Hindernis, das sie mied, wie das Schwein den Metzgerwagen. Wenn sie hinauf musste, zog sie sich mühsam am Geländer hoch, keuchend bei jedem Schritt und nach Luft schnappend, wenn sie oben angekommen war. Beim hinab steigen ließ sie ihr Gewicht schwerfällig von Stufe zu Stufe fallen, so dass die unschuldige Treppe bei jedem Schritt erzitterte und ächzte, als wolle sie zusammenstürzen. Doch sie war stabil. Viel zu stabil, für seinen Geschmack.
Lange phantasierte Liebknecht darüber, dass die Treppe unter ihr zusammenbrechen würde, stellte sich ihr erstauntes Gesicht vor, die Panik in ihren Augen, wenn sie den Boden unter den Füßen verlor und wie ein überdimensionaler Mehlklops ins Leere stürzte. Er stellte sich vor, wie sich zerbrochene Leisten durch ihren verhassten Körper spießten, wie die Haut über dem Fett aufplatzte und ihre Knochen knirschend nachgaben. Doch die Treppe machte keine Anstalten, diesen Wunschtraum Wirklichkeit werden zu lassen, und so beschloss er irgendwann, der Sache nachzuhelfen.
Zuerst überlegte er, die Holzstützen anzusägen, aber er ahnte, dass die Polizei das herausfinden und ihn drankriegen würde. Und so kam er auf einen viel genialeren Gedanken. Im Baumarkt besorgte er sich eine fast einen Meter lange Schraubzwinge, und unter dem Vorwand, die Treppe stabilisieren zu wollen – die Streben biegen sich so beunruhigend auseinender, Schatz – presste er zwei der tragenden Holzstreben zueinander. Er tat das nicht an einem Abend, oh nein. Jeden Morgen, während sie sich oben aus dem Bett wälzte, gab er der Schraube eine weitere Drehung. Das leise Knacken des Holzes, das diese Übung gelegentlich begleitete, war Balsam für seine gequälte Seele. Und manchmal, wenn Molly sich allzu unmöglich benommen hatte, schraubte er auch am Abend noch einmal. Es hatte fast etwas meditatives und die Vorfreude verursachte ihm nicht selten eine Gänsehaut.
Angst, dass die Treppe unter ihm statt unter seiner Frau zusammenbrechen würde, hatte er nicht, denn er war nicht nur klein, sondern auch schlank. Wenn man einer Frau wie Molly beim essen zusehen musste, verging einem der Appetit. Zudem bewegte er sich so geschmeidig, dass die Treppe kaum vibrierte, wenn er sie benutzte. Manchmal strich er dabei mit der Hand über das Geländer, als streichele er ein Haustier. Sie würde ihn eines Tagen von dem Drachen befreien, der sein Leben zur Hölle machte.
Und dann war es so weit. Es war nicht, wie er es sich vorgestellt hatte – es war besser. Das Knarren veranlasste ihn, dem Blick vom Frühstücksfernsehen zu wenden, und dann spielte sich alles wie in Zeitlupe ab. Er sah die Stützen nachgeben, sah, wie Molly die fetten Stummelarme hilfesuchend in die Luft warf, nach dem Geländer griff, das sich unter ihr bog wie ein Gummischlauch. Sie schrie, oh, wie sie schrie, schrill und voller Entsetzen. Es wärmte ihm geradezu das Herz. Das gesamte Haus erzitterte, als die Fleischmasse die Treppe wie eine Abrissbirne zertrümmerte. Blut spritzte gegen die Tapete und Mollys Schrei brach abrupt ab, als sie mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden aufkam.
Liebknecht erhob sich und schob sich langsam an den unförmigen Körper heran. Die offenen Augen starrten leer und machten deutlich, dass die Treppe ihn nicht enttäuscht hatte. Ein unglaubliches Triumphgefühl breitete sich in ihm aus. Er wusste, dass er jetzt schnell den Notarzt rufen musste, oder die Polizei. Mollys Tod hatte einen solchen Lärm verursacht, dass die Nachbarn es sicher mitbekommen hatten. Aber er konnte nicht anders. Er musste sich die Zigarre anzünden, die er sich für dieses Ereignis zurecht gelegt hatte. Niemand würde ihm nachweisen können, dass er sie erst nach dem „Unfall“ entzündet hatte. Er würde nur eins, zwei Züge rauchen und sich an dem Anblick weiden. Dann würde er die Schraubzwinge in den Keller bringen und schließlich völlig aufgelöst bei der Polizei anrufen. Niemand würde je herausfinden, was wirklich geschehen war. Der Plan war einfach perfekt!

* * *

Inspektor Brunner blickte auf, als es klopfte, und sah den ungekämmten Haarschopf des Kollegen Diemer von der Spurensicherung durch den Türspalt wachsen.
„Komm rein! Wie geht’s mit der Liebknecht-Sache voran?“
„Wir sind soweit fertig“, gab Diemer zurück und schob jetzt auch den Rest seines Körpers in die Amtsstube. „Wir konnten den Fall soweit rekonstruieren. Wie es scheint, hatte die Treppe zum Obergeschoss ein statisches Problem, möglicherweise ausgelöst durch das Körpergewicht von Frau Liebknecht. Anstatt die Sache von einem Fachmann begutachten zu lassen, haben sie aber selbst dran herumgedoktert. Wir haben eine Schraubzwinge zwischen den Trümmern gefunden, mit denen sie offenbar versucht haben, die Konstruktion zu stützen.“
„Ohne Erfolg“, vermutete Brunner.
„Offensichtlich. Als die Treppe einstürzte, ist das ganze Haus dermaßen erschüttert worden, dass es zu einem Gasleck kam. Dann brauchte es nur noch einen kleinen Funken und ... bumm. Ich denke, wir können die Akte schließen.“
Brunner nickte.
„Klingt plausibel“, sagte er. „Ein tragischer Unfall. Ein Glück, dass die beiden wenigstens keine Kinder hinterlassen.“

Letzte Aktualisierung: 05.08.2007 - 18.26 Uhr
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