Futter für die Bestie
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Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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August 2007
Hammelhoden
von Katharina Joanowitsch

Seit meiner letzten Scheidung reduziert sich mein Leben auf Kochen und Schlafen. Etwa wie bei einer gelungenen Soße: auf das Wesentliche eingekocht.
Und darauf konnte ich mich bisher verlassen: wankte ich ausgelaugt von den Enttäuschungen des Tages aber wohlgefüllt mit Leckereien ins Bett, so besänftigte mich bald ein angenehmer Traum. Mit Mitte Fünfzig bin ich in einem Alter, in dem ich weder als erotisches Subjekt noch Objekt wahrgenommen werde. Umso tröstlicher wird gutes Essen.
Seit einigen Tagen gibt es jedoch eine subversive Tendenz in meinen Träumen. Ich überlege, ob es an gewissen Speisen liegt, die ich aus dem prachtvollen kleinen Band von Birgit Vanderbeke ‚Schmeckt’s ?’ nachkoche. ‚Kochen ohne Tabu’ heißt der Band im Untertitel, doch ich fürchte, dass mich die fast intime Beschäftigung mit Kutteln, Saumägen und Hammelhoden nachhaltig irritiert. Schließlich entließ mich vorher ein Traum nach einer Mousse de foie de canard immer mit Zuversicht in den nächsten Tag.

Heute Nacht träumte ich:
Ich sitze an einem Tisch und esse und gucke aus einem ebenerdigen Fenster auf eine Hauswand. Ich beobachte zwei Plakatkleber, die aus sechs feuchten Papierbögen ein riesiges Plakat zusammensetzen. Plötzlich ist die ganze Fläche vor mir ausgefüllt mit einer gigantischen Reklame, wofür sie wirbt ist unklar. Im Zentrum ein Mann, nackt, prall, glänzend, einzig um die schmalen Hüften ein perlweißes Frotteetuch geschlungen. Unter einer üppigen Haartolle blitzen Vergiss-mein-nicht-blaue Augen, ein strahlender Mund entblößt makellose Zähne, betont von einem kantigen Kinn. Breitbeinig steht er auf einer Brücke, trägt beidhändig ein riesiges Buntmesser wie einen Speer. Schmeckt himmlisch! behauptet eine geschwungene Schriftzeile.
‚Was für ein Mann!’ höre ich mich seufzen.
Ich verschlinge hastig die letzten Bissen, mache ein paar Dehnübungen und lasse mich kopfüber am Fensterkreuz baumeln. Mein Traum-Ich ist darin geübt. Im Angesicht des Nackten komme ich richtig in Schwung. Seine Augäpfel leuchten wie angeknipst. Dieser Blick aus Vergiss-mein-nicht-Blau gilt mir. Seine Augen pulsieren in einem ekstatischen Takt. Das ganze Plakat scheint leise zu brodeln, wie eine Flüssigkeit knapp unter dem Siedepunkt. Nun fühle ich gar die ölig glänzenden Muskeln unter meinen Fingern, den muskulösen Oberkörper an meinem, strecke schon die Hände nach dem Frotteetuch aus.
Aus dem Nichts schiebt sich ein Sektkelch in meine Hand, ich hebe das Glas und proste Adamo zu. Er blinzelt, was mich nicht überrascht, aber: wieso Adamo? So hieß der Sänger meiner ersten Schallplatte, ich bewahrte sie unter meinem Kopfkissen.
Draußen tragen gerade die zwei Plakatkleber wieder Leiter, Eimer und Papierrollen herbei. Da reißt sich Adamo von der Plakatfläche und hechtet mit einem wundersamen Sprung über mein Fensterbrett. Sein Lächeln ist von Nahem nicht weiß, sondern seltsam durchwuchert von winzigen Blättern.
Schmeckt himmlisch! kommt es gepresst zwischen dem Grün hervor. Seine Umarmung knistert. Dies soll mein Adamo sein? Keine ölig schimmernde Haut, keine fest zupackenden Muskeln, kein Duft nach frisch geduschtem Haar – statt dessen ein Geruchsgemisch aus Kleister, Zellstoff, Farbe und etwas Hundepisse und die raue und hermetisch geschlossene Fläche von Papier. Da gibt es keine dritte Dimension und hinter dem Frotteetuch keine Seligkeit. Meine Hände prallen ab an einer stumpfstaubigen Fläche.
Angeekelt kämpfe ich mich aus modrigen Schichten von Papier ins Freie, greife verwirrt zum Feuerzeug und zünde mir zitternd eine Zigarette an. Durch den Luftzug des geöffneten Fensters leckt die Flamme am ausgetrockneten Plakat. Noch bevor Adamo in hellen Flammen steht, gebe ich ihm einen Schubs. Schmeckt himmlisch! zischelt seine dünner werdende Stimme, als er aus dem Fenster stürzt. Im Fallen und Verglühen strahlen mich seine Zähne ein letztes Mal an. Unwillkürlich strecke ich meine Arme aus, bemüht, irgendetwas aufzuhalten. Doch schon stieben nur noch rußschwarze Flocken auseinander, als das brennende Bündel auf den Boden trifft.

Gut, zugegeben, es ging nicht direkt um Hammelhoden. Aber um was ging es dann?
Je näher der Termin rückt – in acht Minuten wird sich die Tür öffnen – desto klebriger fühlt sich mein Blusenstoff an, desto stickiger erscheint mir die Luft im Wartezimmer. Den Traum werde ich Dr. Boretz wohl erzählen können aber dann. Dann soll ich immer ‚frei assoziieren’ und ihn deuten und es entsteht eine pochende Stille. Zum Verrücktwerden. Und es läuft stets auf dasselbe hinaus: mein Traum kann noch so abstruse Kapriolen schießen, angeblich hat er doch immer mit verborgenen Botschaften meines Unterbewusstseins zu tun, die ich ausfindig machen soll. Aber ich weiß wahrhaftig nicht, weshalb sich mein Unterbewusstsein mit so einem papierenen Lackaffen beschäftigt und mich nachts damit belästigt. Wo ich doch so einen fabelhaften Mann kennen gelernt habe, der mich einmal in der Woche sehen will.

Borretschblätter lassen sich nicht gut trocknen, können aber eingefroren werden. schießt es mir durch den Kopf, als Dr. Boretz seine Tür öffnet. Eigentlich groß gewachsen, hält er sich leicht gebeugt, als wolle er seine Länge entschuldigen. Sein Händedruck ist warm und etwas feucht. Gleich wird er das kleine weiße Frotteetuch nehmen, seine Hände kurz hinein drücken, es zusammengefaltet über die Sessellehne hängen und mich erwartungsvoll anschauen, die ich inzwischen ihm gegenüber Platz genommen habe. Ob er bemerkt hat, dass ich nur Farben trage, die in seinen Raum passen? Unwahrscheinlich, sein Blick bewegt sich ausschließlich zwischen seinem Block und meinen Augen.
Inzwischen weiß ich, dass ich keine auffordernden Worte erwarten kann und beginne gleich mit meinem Traum. So, wie mich Dr. Boretz leuchtendblaue Augen fixieren, lasse ich lieber Adamos Augenfarbe weg, des gleichen so nebensächliche Details wie das Frotteetuch oder meine Lust, dieses beiseite zu ziehen.
„Was löst dieser Traum in Ihnen aus, Frau Unruh? Bitte einfach frei assoziieren.“
Dr. Boretz ändert bedächtig seine Position, eines seiner langen Beine schwingt über das andere, rückt den Block, auf dem er einige Notizen gekritzelt hat, wieder zurecht.
Nach einer geraumen Weile, die Stille fängt an in meinen Ohren zu rauschen, beginne ich zögernd: „Ich, hm, vielleicht, äh, also – mein Vater hatte ja diese große Werbeagentur und entwickelte Kampagnen für Parfums mit riesigen Etats, er war quasi immer unerreichbar für mich – .“
„Ach? Ihr Vater scheint ein vielfältig begabter Mann zu sein. Bei unserer letzten Sitzung erwähnten Sie sein Engagement am Theater, das ihn von zu Hause fernhielt.“
„Äh, richtig, das war bevor, bevor, äh,“ – ich muss es mir endlich notieren, was ich dem Boretz erzähle! – „Dürfte ich mich bitte auf die Couch legen? Mir ist nicht gut.“
„Das geht nicht, Frau Unruh, das haben wir mehrfach besprochen. Hier steht ein Glas Wasser bereit, bedienen Sie sich. Aber die Couch ist nur für die Analyse, das wissen Sie doch.“
Ich ärgere mich wieder einmal, dass ich die Gesprächstherapie gewählt habe. Im Liegen käme ich besser zur Geltung. Im Sitzen fällt mir nichts rechtes ein.
„Fahren Sie bitte fort.“
Meine Schlucke klingen in der Stille irgendwie obszön und ich stelle das Glas hastig zurück. Schwierig, den Eingang zur Dunkelkammer meiner Psyche wieder zu finden.
„Äh –.“
„Sie dachten an Ihren Vater. Wieso?“ Dr. Boretz Gesicht ist mir unverändert freundlich zugewandt.
„Nun ja, Träume haben doch immer etwas mit der Kindheit zu tun, oder? Und da dachte ich...“ Für diese naive Bemerkung gehörte ich versohlt. Dieser Gedanke lässt mich kichern, was überhaupt nicht zu meinem gesprochenen Text passt.
Ungerührt fragt Dr. Boretz nach: „ Sie waren drei Mal verheiratet, Frau Unruh, und dachten dennoch zuerst an Ihren Vater?“
Es liegt mir auf der Zunge, zu gestehen, zuerst an ihn, Dr. Boretz, gedacht zu haben. Still kaue ich an den Worten herum.
„Es lag an den Hammelhoden,“ würge ich schließlich hervor und könnte mich gleichzeitig ohrfeigen. Mir fällt auf, dass mein sorgfältig inszeniertes Sitzen zu einem armseligen Hocken verkommen ist und straffe mich rasch.
„Ah – interessant,“ kommt es aus der Boretz-Maske, deren Augenbrauen sich leicht anheben.
„Träume kommen aus dem Magen, habe ich irgendwo gelesen,“ haspele ich schnell weiter, „Sie sprachen von Tabus, die ich – äh – bearbeiten müsse, da nahm ich mir vor etwas zu kochen, was mich eigentlich ekelt, nämlich Hammelhoden. Es schüttelt mich ja schon bei Hammel. Ziemlich schwierig so Hoden zu kaufen, gibt’s nur beim arabischen Metzger. Für Hodengulasch werden die Hoden zwei Stunden in lauer Milch eingelegt, gehäutet, der Länge nach halbiert, in Schmalz angebraten, mit Brandy flambiert,“ Dr. Boretz wechselt ungewöhnlich schwungvoll seine Beinposition. „In einem Gemisch aus Zwiebel und Petersilie etwa fünfzehn Minuten dämpfen. Ich habe alles genau nach Rezept gemacht aber ich konnte mich einfach nicht dazu überwinden, es zu essen. Schon das Häuten und in Scheiben schneiden war eine Überwindung ... “
„Ah-ja,“ unterbricht mich Dr. Boretz, das Frotteetuch mit seinen Händen knetend und mit einem Blick die Uhrzeit kontrollierend. „Das ist ein möglicher Erklärungsansatz, Frau Unruh. Lassen Sie uns diesen Aspekt beim nächsten Gespräch, äh, vertiefen.“
„Ach, ich weiß gar nicht, wie ich jetzt drauf komme,“ ich weiß wirklich nicht, was für ein Impuls mich treibt, „aber sowohl Hitler als auch Napoleon fehlte ein Hoden.“
Ich möchte einfach noch nicht gehen und greife erneut zum Wasserglas, trinke mit zierlichen Schlucken.
„Ihr Wunsch, komisch zu erscheinen, ist unbedingt ein Thema, Frau Unruh.“ Dr. Boretz hat sich erhoben und geht bereits zur Tür, das Frotteetuch versehentlich in seine Hosentasche stopfend. Ich unterdrücke den Impuls, am heraushängenden Zipfel zu ziehen um ihm sein kleines, nicht mehr ganz so weißes Tuch zu entreißen und mein Gesicht hineinzupressen.
Einen Gruß murmelnd verlasse ich den mattgrünen Raum.

Letzte Aktualisierung: 28.08.2007 - 17.17 Uhr
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