Ganz schön bissig ...
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August 2007
Keine Sorge
von Chris Bendig

Ihre Blicke verfolgen jede meiner Bewegungen. Sie sagt kein Wort, will keinen Streit riskieren. Ich hole mir aus dem Kühlschrank noch eine Flasche, lass mich dann wieder auf das Sofa fallen. Räuspern.
„Stefan, du weißt, dass wir morgen zur Hochzeit fahren wollen?“
„Natürlich!“ Ich schnipse den Kronkorken mit dem Feuerzeug ab. „Keine Sorge!“ Warum kann sie mir nicht vertrauen? Immer wieder behandelt sie mich wie ein Kind, dabei ertrage ich Bevormundung nicht. Ich spüle meinen Ärger mit dem Pils hinunter, genieße die Kühle in meiner Kehle.
Sie wirft mir noch einen Blick zu und schaut dann wieder auf ihr Stickzeug.

Besser so. Ich will doch wirklich mit! Ich weiß, dass es ihr wichtig ist, und ich liebe sie. Sie schaut kurz auf, und ich werfe ihr einen Luftkuss zu. Der sagt: „Verlass dich auf mich.“ Wie hübsch sie ist, mit ihren braunen Locken, den großen Augen und den sinnlichen Lippen. Und was sie mit denen anstellen kann! Sofort kriege ich einen Steifen.
„Sollen wir nach nebenan gehen?“ Sie zögert, ihr Blick erstarrt, erschafft eine Sichtbarriere für Gefühle. Sie scheint abzuwägen, lächelt, steht auf. „Ja, dann komm.“
„Ich trink mal eben die Flasche zu Ende.“ Sie sinkt zusammen, und Ärger grummelt tief in mir.
„Ach, komm jetzt“, flötet sie. Ich glaube, sie spielt nur wieder.
„Du machst mir was vor.“ Ein Grollen liegt in meiner Stimme.
„Nein“, stammelt sie, „ich dachte nur ...“ Sie sucht etwas, ein Wort, einen Halt.

„Beweis es mir“, will ich sie testen. „Zieh dich aus.“
„Hier?“
Ich nicke. Behutsam streift sie sich das Shirt über den Kopf, befreit sich aus der engen Jeans. Wie schüchtern sie ist! Nicht, als wenn wir schon drei Jahre zusammen schlafen. Während sie sich von der Unterwäsche befreit, lass* ich auch meine Sachen fallen. Ich drücke sie aufs Sofa, hocke mich vor sie und zwänge meine Zunge zwischen ihre Beine. Ich weiß, so kommt sie in zwei Minuten.
„Nicht, bitte.“ Sie versucht mich abzuwehren.
„Was ist los?“, frage ich harmlos. „Du wolltest doch sofort.“
Sie gibt nach und stöhnt, lässt es über sich ergehen. Als ich in sie eindringe, schließt sie die Augen, wendet den Kopf vor meinen Küssen. Ich fühle mich einsam, will nicht nachdenken, mach einfach weiter. Als ich fertig bin, schlägt sie vor, schlafen zu gehen.
„Mach das“, ich greife zur Fernbedienung, „ich checke noch, was in der Kiste ist.“
„Stefan, bitte ...“ Kläglich. „Komm doch mit!“
Ich küsse sie ganz leicht auf die Augen und sehe sie dann fest an. „Mach dir keine Sorgen, Liebes. Diesmal wird alles gut.“ Sie öffnet den Mund, zögert ...
„Gut, ich vertraue dir.“ Sie weiß, dass es nur darum geht.
„Schlaf gut, mein Schatz.“ Ich liebe sie wirklich.
„Bis gleich.“

Im Fernsehen läuft nur Schrott, und ich starte meinen Computer. Nach dem schalen Bier von eben gönne ich mir noch eine frische Flasche. Für Tetris scheine ich nicht mehr munter genug zu sein, irgendwie landen die Teile nie da, wo sie sollen. Ich starte Solitaire; zumindest geht es hier nicht nach Zeit. Noch eine Tüte Chips und die letzte Flasche aus dem Kühlschrank. Mist, wenn Dani sich nicht weigern würde, was zu kaufen, wäre das Leben einfacher. Als ich sie kennen lernte, war sie ein lebenslustiges Ding, das auch gern mal über einen über den Durst getrunken hat. Jetzt trinkt sie gar nichts mehr; nimmt Alkohol einfach zu ernst.

Auch die dritte Patience geht nicht auf. Ein Schluck würde mir gut tun, und ich weiß auch schon, wo ich den finden könnte. Ich gehe hinüber zu Danis Fach, wo sie ihr Tagebuch und ihre Briefe aufbewahrt. Natürlich ist es abgeschlossen, aber ich ziehe den Schlüssel aus der Schmuckkassette. Treffer. Eine Flasche Gin. Eigentlich mag ich den ja nicht, aber wo sie kein Bier gekauft hat? Ich schütte mir ein Glas ein und fülle die Flasche mit Wasser nach; bestimmt will sie sie mit zur Hochzeit nehmen. Nach einer weiteren Patience teste ich den Inhalt und schenke mir noch mal ein Glas ein: kein Problem, man schmeckt es nicht. Es fällt mir etwas schwer, mit dem Wasserkran den schmalen Flaschenhals zu treffen. Plötzlich spüre ich ihre Gegenwart.

Ich drehe mich ruckartig um und fauche: „Ich denke, du schläfst!“
„Und du wolltest ins Bett kommen.“ Ihre Stimme klingt weinerlich. „Stefan, bitte, nicht heute. Du willst doch mit zur Hochzeit. Du hast es mir versprochen!“
Ich will gerade „Keine Sorge!“ stammeln, da fällt ihr Blick auf die Flasche.
„Was machst du da?“ Ihre Stimme ist so schrill, dass sie in den Ohren schmerzt. „Du hasst Gin.“ Dann scheint sie das Ausmaß der Situation zu erfassen, japst wie nach Luft, schluckt. „Und das ist meiner, ganz persönlich.“
„Ich habe ihn nur mal gekostet“ Was bin ich stolz, dass mir der Spruch eingefallen ist, doch Dani scheint nicht beeindruckt. „Bitte, hör auf.“
Ihre Stimme klingt dünn, aber etwas dringt zu mir durch. Was tu ich ihr bloß an? Sie hat sich so drauf verlassen. Beim letzten Familienfest schon habe ich sie enttäuscht, aber diesmal soll mir das nicht passieren.
„Es tut mir leid, Liebes“. Ich reiche ihr die Flasche hinüber. „Das hast du nicht verdient. Nimm sie.“ Sie sieht mich an, erst prüfend, dann erleichtert.
„Ich geh schon mal nach oben, versteck sie irgendwo.“ Müde schleiche ich ins Schlafzimmer.

Grausame Nacht! Jede Stunde übergeben, einmal schaff ich es nicht rechtzeitig bis zur Toilette. Am nächsten Morgen fühle ich mich schrecklich. Mein Kopf pocht schmerzhaft, und ich ekle mich selbst vor dem Geschmack im Mund.
„Hör mal, Dani“, setze ich an, „ich kann unmöglich heute mitfahren.“ Sie zuckt mit den Schultern.
„Ich kann ja nachkommen“, biete ich eine Lösung an. „Morgen ist doch die kirchliche Trauung.“
„Sagst du das nicht nur?“ Ihre Stimme klingt gleichgültig.
„Bitte, Schatz, glaub an mich. Ich will kommen, ich lass dich nicht im Stich.“
„Aber du weißt, dass ich heute schon fahren muss? Jessica zählt auf mich.“
„Ich komme mit dem Zug nach, ganz bestimmt“.

Zwei Stunden später steht sie vor meinem Bett und legt mir ein Ticket auf den Nachttisch. „Dein Zug fährt morgen um punkt zwölf, und um 13 Uhr 45 holen wir dich ab. Sieh zu, dass du ihn nicht verpasst.“
Statt einer Antwort knurrt mein Magen.
„Eingekauft habe ich auch noch. Der Kühlschrank ist voll.“
Wenn ich nur an Essen denke, wird mir übel, aber ich lächele tapfer. „Du bist ein Engel. Ich verspreche dir ...“
„Sieh einfach zu, dass du kommst.“ Sie blickt unverwandt auf den Fleck auf der Bettdecke. „Und wenn du den Bezug wechseln könntest ... Frische Bezüge sind im Wäschefach.“
„Mach ich alles, Liebes.“
Sie wirft mir noch eine Kusshand zu und geht aus dem Zimmer. Die Etagentür fällt ins Schloss. Ich muss mich aufrappeln, vielleicht baden, rasieren. Und vielleicht erstmal ein Glas Wasser trinken. In der Altglaskiste neben der Spüle sehe ich die leere Ginflasche. Wie konnte Dani sowas einfach wegkippen? Tief in mir rumort der Ärger.

Das Wasser schmeckt abscheulich, und eigentlich soll man ja mit dem anfangen, mit dem man aufgehört hat. In meiner Börse ist nur noch Kleingeld, aber ich packe meinen ganzen Rucksack voll und tausche die Pfandflaschen an der Bude unten gegen volle ein. Zu Hause zische ich mir zufrieden ein Pils, schließlich ist bis morgen ja noch soviel Zeit. Sofort geht es mir besser, und nach der zweiten Flasche wechsele ich das Bettzeug. Mit dem alten Bezug unter dem Arm gehe ich nach unten in die Waschküche und stopfe ihn in die Waschmaschine. Da fällt mir ein, gleich in unserem Keller nach dem rechten zu sehen. Konserven, Saftpackungen, ein Wasserkasten, schade. Ich schiele durch die Latten in den Nachbarkeller, entdecke dort die Rotweinflaschen direkt hinter der Abtrennung. Sofort fällt mir wieder Frau Bauer ein, die mir nichts mehr zu trinken gibt, seit ich sie frühmorgens mal rausgeklingelt habe. Diese alte Schnepfe! Ich schaffe es, den Draht zu kappen und eine Flasche, dann noch eine zwischen den Latten durchzuziehen. So, das hat sie nun davon.

Das erste Glas leuchtet schön in der Nachmittagssonne, so rot und sinnlich wie Danis Fingernägel. Ein Stich fährt mir durch die Brust, aber was soll’s? Bis morgen werde ich es schon schaffen. Das zweite schmeckt nicht mehr so gut, und dann scheint mir der Wein nicht zu bekommen. Schon wieder muss ich brechen. Mist, und dann dieser Fleck auf der Tischdecke! Dabei soll es doch schön sein für Dani. Allerdings hat sie mich hier ja alleingelassen. Soll sie sehen, was sie davon hat! Ich will meinen Ärger hinunterspülen, aber das Zimmer weicht in die Ferne.

Als ich dem Brechreiz nachgebe, der mich geweckt hat, ist es dunkel in der Wohnung. Ich schalte das Licht ein und erschrecke vor dem roten Fleck auf der Tischdecke, der sich blutig wie ein böses Omen ausgebreitet hat und jetzt an der Kante auf den Boden tropft. Mir fällt ein, dass ich die Waschmaschine mit dem Bettbezug ja gar nicht habe laufen lassen; da kann ich die Decke gleich mitwaschen. Ich schlurfe zur Treppe, aber plötzlich erhebt sich die Welt vor mir: die Erde bebt und schwankt, Stufen poltern unter mir, mein Fuß verfängt sich im Geländer. Dann Totenstille, bis Frau Bauer ganz bleich vor mir steht.
„Warten Sie, ich hole Hilfe“, sagt sie und verschwindet in der Wohnung, und in einem fernen Nebel kriege ich noch mit, wie mich Fremde greifen und auf einer Bahre festschnallen.

Beim Aufwachen scheint die Sonne warm durch fremde Vorhänge. Mein linker Fuß ist bandagiert, und auf dem Hinterkopf klebt ein Stück Mull. Eine bekannte Abfolge von Pieptönen schreckt mich auf, und ich ergreife das Handy neben mir.
„Stefan, wir warten seit einer Viertelstunde.“ In Gedanken sehe ich Dani am Gleis stehen, neben ihrem Cousin. Wieder zu spät, wieder vermasselt. Ich habe immer gewusst, dass sie zu gut für mich ist. Wie konnte ich nur meinen, ihr ebenbürtig zu sein? Wie konnte ich es je versuchen?
„Stefan, wo bist du?“ Ich sehe mich um und schöpfe Hoffnung.
„Ich glaub’, ich bin im Krankenhaus.“
„Was? Was ist passiert?“ Mehr Entsetzen als Fürsorge.
„Ich bin gefallen, auf der Treppe.“
„Gefallen?“ In dem Moment ahne ich, dass ich sie verloren habe.
„Okay, Stefan, du kommst also nicht. Den Rest klären wir zu Hause.“

Letzte Aktualisierung: 18.08.2007 - 11.19 Uhr
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