Ganz schön bissig ...
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August 2007
Die monströse Couch
von Frauke Gimpel

Mein Handy quiekte mich aus dem Schlaf und die Stimme meiner Mutter übernahm wieder einmal das Kommando über meinen Morgen. „Aufstehen, Tobi, du kommst zu spät zur Schule!“ Eigentlich sprudelte sie etwas völlig anderes vor sich hin, aber ich grunzte nur. Grundsätzlich nervten mich Anrufe um diese Tageszeit.

Immerhin kam sie heute schnell auf den Punkt. „Du hast doch immer noch dieses zerschlissene Polsterding in deinem Wohnzimmer, oder? Ja, der Sessel vom Sperrmüll war immer noch das einzige Möbelstück neben dem Fernseher.

„Tante Tilda ist doch jetzt im Altersheim. Da stehen noch Möbel in der Wohnung. Das meiste geht natürlich an ihre eignen Enkel, aber für dich hab ich das Sofa reserviert. Onkel Manfred und Klaus bringen es heute Nachmittag vorbei.“

Einen Moment lang wollte ich protestieren, Tante Tilda war nicht gerade einen Luftsprung wert. Ich war seit ewigen Zeiten nicht mehr bei ihr gewesen. Ihre Wohnung hatte ich wohl als Kind zuletzt gesehen und konnte mich kaum daran erinnern. 'Tu dies nicht, tu das nicht, geh hier nicht dran, lass die Finger davon.' Und nicht zu vergessen: 'Geh weg vom Sofa, das ist ein Erbstück!' Das war fast wie ein Mantra für meine Tante.

Da stand dieses Ding, ein spindeliges Biedermeier-Sofa neben einem Teewagen, Blumenbezug, glänzendes Holz. Jetzt war wohl doch ein Luftsprung fällig. Ich würde mich völlig neu einrichten müssen wenn das gute Stück ankam, aber ein Biedermeier-Erbstück war es wert. 'Antik & IKEA' schoss es mir durch den Kopf. Bewährte Kombination und stilvoll allemal.

Drei Uhr kam und gleichzeitig Onkel Manfred. Er stand vor der Tür, klopfte mir auf die Schulter und verkündete, ich solle mit anfassen. Auf dem Treppenabsatz sah ich auch, warum. Anstelle des zierlichen Sofas hielt mein Vetter Klaus nur mit Mühe das wuchtige Schlafsofa davon ab, sich kopfüber die Treppe hinunterzustürzen oder wahlweise ihn zu zerquetschen. Couch, Mutter, nicht Sofa! Das hab ich nicht verdient! Ich hasse dieses Ding.

Aber Familie ist nun mal Familie und einem geschenkten Gaul schaut man nicht sonstwohin. Also wuchteten wir das Ding in mein Wohnzimmer. Klaus richtete sich erleichtert auf, als er die Couch fest in die Ecke gerückt hatte. „Ich dachte, Ihr bringt das kleine Sofa“, entschuldigte ich die Tatsache, dass ich keinerlei Platz geschaffen hatte.

„Das Biedermeier-Teil? Das steht neben ihr im Altersheim und außerdem im Testament.“ Die Stimme von Onkel Manfred gluckste erwartungsvoll, als er das Wort Testament aussprach.

„Du wolltest das Ding hier ja haben“, kommentierte Klaus. „Ich konnte es nicht mehr sehen. Hab als Kind geglaubt, da leben Trolle unter dem Polster. Das macht so komische Geräusche, wenn man sich drauf setzt.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ich war ja viel eher überzeugt, es hat meine Legos gefressen. Danke fürs Bringen, jedenfalls.“ Das mit den Legos war die Wahrheit, der Dank war weniger ernst gemeint.

Als sie weg waren, sank ich in meinen Sessel, der nun eingequetscht in der Ecke stand und dessen Federung anklagend quietschte. Die letzte Aktion für dieses Möbel, dachte ich. Onkel Manfred hatte ihn ziemlich rumgeschoben, hatte ihn mit der Couch beiseite gedrängt.

Ich zog Bilanz: Die Couch war geradezu hässlich. Was sie ursprünglich mal gewesen war, konnte ich nicht mehr feststellen. Sie war wuchtig, mit drei Plätzen auf der Längsseite und zwei auf dem anderen Schenkel und vor allem den ausladenden Lehnen, die wie Krempen in alle Richtungen auseinanderliefen. 80er-Jahre-Chic war nicht mein Stil, aber ein leeres Zimmer ist auch nicht das Wahre, versuchte ich mir einzureden. Also würde ich mich erst einmal darauf einlassen. Die Polsterung war relativ weich, sodass ich tief zwischen die Kissen sank, als ich mich, Schuhe inklusive, hineinfallen ließ. Ich seufzte auf: „Echt bequem, na dann, meine Dicke, auf gute Nachbarschaft.“ Auffordernd tätschelte sich das Polster, das mir mit einer kleinen Staubwolke antwortete.

Als ich am nächsten Nachmittag mein Wohnzimmer betrat, erschrak ich beim Anblick meiner Neuerwerbung. Irgendwie wirkte sie heute noch größer als gestern. Ich hatte gar nicht in Erinnerung, dass sie bis an die Fensterbank heran gereicht hatte. Am Wochenende stellte ich dann fest, dass ich mich zuerst tatsächlich hatte täuschen lassen. Die Couch ragte über die Fensterecke sogar hinaus. Aber es war kein Wunder, dass ich mich nicht an den Anblick gewöhnte, weil ich das Wohnzimmer mied, seit die Couch da war. Gestern war ich sogar zu Mark gegangen, um Fußball zu gucken. Wir hatten auf seinen Campingstühlen gesessen.

Als ich jetzt zum Fenster herüber ging, trat ich auf etwas Scharfkantiges. Unter meinem Fuß fand ich einen knallroten Legostein mit zwei Reihen von je vier Noppen, einen Vierer-Block. Skeptisch sah ich die Couch an. Offenbar hatte ich tatsächlich Legosteine verloren, als ich bei Tante Tilda gewesen war. Dieser hier musste herausgefallen sein, als wir das Möbel herumschoben. Eigentlich hätte ich den Stein aber die ganze Woche hindurch kaum übersehen können.

Während ich da stand und den Stein in der Hand drehte, bemerkte ich, dass mein Kaktus nicht auf dem Fensterbrett stand. Ein kurzer Blick in den Berg von Zeug unterhalb der Fensterbank brachte den zerbrochenen Blumentopf zutage, nicht aber die Pflanze selbst. Ich hatte Manfred und Klaus einen Moment lang allein gelassen, als ich meine Gitarre in Sicherheit gebracht hatte. Wahrscheinlich hatten sie den Kaktus umgestoßen und die Sache vertuscht. Familie ist was Feines.

Am Samstag Abend war ich mit Claudia im Kino. Auf dem Heimweg kam sie noch mit nach oben. Gemeinsam ließen wir uns auf die Couch fallen. Sie sprang allerdings unvermittelt wieder auf und quiekte dabei ulkig. In ihrem Bein steckte ein Kakteenstachel, aus dem Polster der Couch ragten einige mehr. Ich half ihr, alle zu entfernen und verfluchte Manfred und Klaus.

Vor der Couch fand Claudia zwei weitere Legosteine, die morgens noch nicht da gewesen waren. Ich war mir nicht mehr so sicher. Vielleicht lebten ja doch Trolle unter der Couch, wie Klaus meinte. Oder die Couch selbst war das Monster. Das ergab auf erschreckende Weise Sinn.

Vor lauter Kaktus hatten wir die Zeit vergessen, sodass der letzte Bus weg war, bevor wir es merkten. Eigentlich hatte ich mir gerade das gewünscht, aber Claudia schien mir nicht zu verzeihen, dass ich über die Stacheln und ihren Gesichtsausdruck gelacht hatte. Die Bemerkungen über Trolle und Monster hielt sie ebenfalls für Spott und es endete in einem Vortrag über unsensibles Verhalten. Fazit: Sie schlief auf der Couch, ich im Bett. Ich half ihr noch, die Schlafcouch auseinander zu falten, dann schloss ich die Tür.

Am Sonntag Morgen wartete ich, dass Claudia aufstand. Bis nach elf hatte sich immer noch nichts gerührt und ich klopfte. Nichts. Vorsichtig öffnete ich die Tür zunächst einen Spalt, dann ganz. Die Couch war wieder zusammengefaltet, Claudia verschwunden. Ich hatte gedacht, sie würde wenigstens eine Nachricht hinterlassen.

Den ganzen Sonntag über fragte ich mich, ob die Couch schon immer die ganze Breite des Fensters eingenommen hatte. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie kleiner gewesen war, als sie hergekommen war.

Dienstag morgen fand ich einen blauen Legostein und Claudias Ohrring vor der Couch. Beim Versuch, die Wohnzimmertür zu schließen, stieß sie gegen die Lehne der Couch.

Bis Donnerstag hatte ich von Claudia immer noch nichts gehört und rief sie an. Keine Antwort, nur die Mailbox. Das mulmige Gefühl stieg. Ich verließ mein Wohnzimmer und ging nicht einmal mehr hinein um die Legosteine einzusammeln, die sich Tag für Tag ausbreiteten. Durch die offene Tür konnte ich die Couch sehen, die sich häuslich eingerichtet hatte und ihre Lehnen nach meinem Sessel ausstreckte. Konnte ich wohl ausziehen und das Couchmonster hier lassen? Was würde mein Vermieter sagen? Ich dachte auch an eine Motorsäge, aber auf halbem Weg zum Baumarkt kam ich mir albern vor.

Mehrere Anrufe später gab ich auf und packte meinen Rucksack mit dem Nötigsten. Lange hatte ich mir eingeredet, dass alles nur Einbildung war und dass Claudia einfach nicht mit mir sprechen wollte. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Frau mich verlassen hatte und Claudia hatte von mir sicherlich nicht den besten Eindruck bekommen. Auch nicht von meinem Geschmack bei Möbeln. Dazu hatte sie ja vor dem Schlafengehen auch ein paar Dinge vom Stapel gelassen. Was die Couch betraf, war ich ganz ihrer Meinung und beinahe hätte ich ihr zugestimmt, aber da die Angriffe gleichermaßen gegen meinen Geschmack und das Möbel gingen, hatte ich Partei ergriffen und zurückgegiftet. Seit dieser Unterhaltung hatte ich Gewissensbisse und verstand endlich, warum man nie im Streit auseinander und vor allem nicht schlafen gehen sollte. Aber die einzige Strategie fürs Überleben, war, die Sache einfach zu verdrängen.

Ich musste mich wohl damit abfinden, dass Claudia nie wieder mit mir sprechen würde. Kein allzu großer Verlust, wenn ich es recht bedachte, aber das gedämpfte Klingeln, das jedes Mal aus dem Inneren der Couch drang, wenn ich sie anrief, hatte meine Überzeugung zementiert und meinen Geisteszustand endgültig vom Hocker gestoßen.

Letzte Aktualisierung: 27.08.2007 - 19.36 Uhr
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