Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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August 2007
Sascha
von Claudia Vieregge

"Deine Mutter ist tot", sage ich zu dem Jungen vor mir. Sascha heißt er, war ein Kinderspiel, das heraus zu finden.
Eine ganze Stunde habe ich in dieser verdammten Hitze vor der Schule gewartet, bis er endlich raus getrödelt kommt, als sei alles in bester Ordnung.

"Tot?" Seine Augen weiten sich.
"Ja, verunglückt." Erst gestern habe ich es mir wieder vorgestellt. Wie ihr Körper zwischen den Wrackteilen eingeklemmt ist, überzogen mit Blut, dessen rostiger Geruch nur wenig intensiver ist, als der des auslaufenden Benzins, das sich im nächsten Traumbild entzündet. Wie sie dann doch noch einmal die Augen aufschlägt, weil das Leben eben grausam ist und jeder lernen muss, das zu begreifen. An dieser Stelle stoppe ich immer.

"Du lügst. Ich kenn` dich ja gar nicht."
Damit habe ich gerechnet.
"Ich bin von der Polizei."
"Das glaube ich dir nicht, du bist ja noch gar nicht erwachsen."
Ich fahre mir mit der Zunge über die Zähne, ehe ich vor ihm auf den Boden spucke, der mit Kreide bemalt ist. Eine gelbe Sonne, die ihre fingerdicken Strahlen Richtung Wiese schickt, auf der bunte Blumen wachsen.
"Ich bin auch nicht direkt bei der Polizei. Aber sie haben mich her geschickt. Mein Vater ist der Polizeipräsident."
"Ein echter Präsident?"
Ich nicke.
"Sie haben mich zu dir geschickt, damit du nicht so erschrickst. Ich meine, - so`n richtiger Polizist, in Uniform, da kriegt man doch schon mal Angst." Ich beuge mich vor, bis sich unsere Nasenspitzen beinahe berühren. Diese verdammte Hitze, die Sonne brennt mir auf dem Rücken.

"Ich will nach Hause..." Er versucht, sich seitlich an mir vorbei zu schieben, aber ich komme ihm zuvor. Außer uns ist niemand mehr hier auf dem Schulhof.
"Du kannst nicht nach Hause, da ist jetzt ziemlich viel los, weißt du? Der Bestatter, die ganzen Polizisten. Ja, und dein Vater."
"Papa..." Jetzt steht ihm das Pippi in den Augen. Ich spucke noch einmal, direkt auf eine der roten Blüten in der Mitte der Kreidewiese. Langsam welkt die Blume vor sich hin.
"Hier -...", ich ziehe das Foto aus der Hosentasche meiner Jeans, "...das soll ich dir von ihm geben, damit du mir glaubst. Er sah übrigens gar nicht so traurig aus eben. Fast so, als sei er froh, dass deine Mutter tot..."
"Du Lügner!" Mit einem Ruck reißt er mir das Foto aus den Fingern, starrt auf das Bild. Sein kleiner Rücken wird richtig krumm, als er den Mann auf dem Bild erkennt.
"Wer...“, fragt er zwischen zwei kieksenden Atemgeräuschen, „...wer sind denn die anderen?"
Ich zucke die Schultern.
"Keine Ahnung, zeig mal her." Ich schaue mit zusammengekniffen Augen auf das Foto, so als würde ich das abgegriffene Bild zum ersten Mal sehen. "Ist das nicht seine Familie?"
Er schüttelt den Kopf. "Mama und ich sind seine Familie!"
"Jetzt ja wohl nicht mehr."
Nun heult er endgültig. Ich sehe nach rechts und links.
"Wir müssen los, komm. Und hör auf, zu plärren. Da hinten im Wald steht das Polizeiauto, das bringt dich zur Wache."

Er zieht seinen Rotz hoch und folgt mir tatsächlich.
"Und du kennst die Leute auf dem Foto deines Vaters gar nicht?" Ich muss es genau wissen.
Der kleine Schwachmat gibt sich jetzt sogar Mühe, mit mir Schritt zu halten. Japsende Schluchzer verhindern eine Antwort, er schüttelt den Kopf, läuft jetzt vor mir her.
"Vielleicht ist das noch `ne zweite Familie, die dein Vater hat. Eine, von der du gar nix weißt."
"Nein."
"Woher willst du das so genau wissen?"
Der Kleine bleibt stehen, fast wäre ich in ihn hinein gelaufen.
"Er hatte nur uns. Er hat uns ganz oft gesagt, dass wir die wichtigsten Menschen für ihn sind."
Für ne potentielle Halbwaise glotzt er verdammt unverschämt.
"Nun werd mal nicht frech."
"Ich bin gar nicht frech. Mein Vater gehört nur uns!"
"So, meinst du?"
Das habe ich auch mal geglaubt, bis Mutter ihn dann vertrieben hat.
"Da vorne, ein Stück in den Wald `rein, da steht der Wagen. Los jetzt."
Ich schiebe seinen Körper vor mir her. Meine Hand umfasst die kleine verhasste Schulter.
"Dein Vater verdient `ne richtige Familie, weißt du, nicht so `ne Heulsuse wie dich."
Ruckartig bleibt er stehen, scheint zu begreifen. Er sieht mich an, dann wieder auf das Bild.
"Gib es mir zurück!" Ich nehme ihm die Fotografie aus der Hand. "...er verdient ne richtige Familie."
Ehe der Kleine noch ein Wort sagen kann, stoße ich ihn vor mir her. Bis zum Wald sind es keine zehn Schritte mehr.
"Ne richtige Familie", sag ich noch einmal, damit er`s auch wirklich kapiert, der kleine Idiot. Vater wird froh sein, einmal muss jeder seine Lektion lernen...

Letzte Aktualisierung: 23.08.2007 - 21.10 Uhr
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