Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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August 2007
Muttis Muffins
von Sylvia Seelert

„Na, hat Mami wieder für dich gebacken?“ Björn riss ihr die blaue Tupperschüssel mit einem hämischen Grinsen aus den Händen. Seine Augen schimmerten wie eisblaue Seen in der wabbeligen Landschaft seines Gesichts. Seine Bärentatzen schlossen sich um den Deckel, zerrten ihn herunter und warfen ihn achtlos in die Büsche.
„Schoko – wie fein …“ Seine Zähne pflügten durch den braunen Teig, bis er in seinem Schlund verschwunden war. Ein paar Krümel hingen an seinem Kinn. Der einzige Hinweis auf das, was sich zuvor in der Schüssel befunden hatte: Muffins, die Julinas Mutter am Morgen für sie gebacken hatte. Dafür war sie schon um fünf Uhr aufgestanden. Julinas Augen füllten sich mit Tränen.
„Du bist gemein!“, flüsterte sie. Die Schüssel fiel mit einem dumpfen Poltern auf die Pflastersteine. Sie rollte einmal um ihre Achse und blieb dann liegen.
„Was haste gesagt?“
Langsam schob er seinen massigen Körper in ihre Richtung, bis er drohend vor ihr aufragte. Björns Zeigefinger, dick wie eine Bratwurst, bohrte sich in ihre Brust. Vor Schmerz wimmerte sie leise.
„Dumme Heulsuse, halt mal schön den Ball flach!“
Sein Gesicht war nun so nah, dass sie seinen Atem riechen konnte. Er war bitter, mit einem Hauch von Schokoladenteig gemischt. Die Augen, zu Schlitzen zusammengezogen, funkelten sie an. Keine Regung war darin, nur die Sicherheit, Juliana in der Hand zu haben, ihr überlegen zu sein.
Björn war zwei Jahre älter als Julina und ging in die 9. Klasse. Stets suchte er sich kleine Mädchen aus den Klassen darunter aus, denen er auf dem Schulweg auflauerte. „Wegzoll“ – lautete stets seine Forderung. Wer ihn nicht mit Süßigkeiten, Brötchen oder Geld bezahlte, der bekam seine mächtigen Pranken am ganzen Körper zu spüren. „Und wer mich verpfeift, der wird büßen“, war seine Drohung. Klara hatte sich gewehrt und ihrem Lehrer Bescheid gesagt. Björn bekam eine Verwarnung. Klara jedoch verschwand von der Schule. „Ich habe sie zum Krüppel gemacht“, brüstete sich Björn vor allen anderen. „Das geschieht mit jedem, der es wagt, das Maul aufzumachen.“ Jeder Widerstand war daraufhin zusammengebrochen. Seit Wochen lauerte er nun Julina auf.
Björn schloss jetzt seine Pranke um ihren Hals. Ein Zittern lief durch ihren Körper und ein flaues Gefühl breitete sich in der Magengegend aus.
„Nichts“, winselte sie, „Ich habe nichts gesagt.“
„Du hast so ein hübsches Gesicht.“
Mit der anderen Hand strich er ihr die blonden Haare aus dem Gesicht und tätschelte ihre Wange.
„Es wär’ doch schade, wenn’s nicht so bliebe …“
Er drückte seine fleischigen Lippen auf ihre und schob seine Zunge in ihren Mund. Es war feucht und widerlich. Übelkeit stieg in Juliana auf und Schluchzer schnürten ihr die Kehle zu.
„Bäh …“ Angewidert schubste er sie von sich. Julina stolperte und fiel rücklings auf den Boden.
„Du schmeckst mir nicht. Bring mir morgen mehr Muffins mit und ich lasse dich in Ruhe.“
Mit einem Fußtritt in ihre rechte Seite untermalte er seine Forderung. Anschließend rieb er seine Hände, als ob er sie von Schmutz befreien wollte. Mit einem abfälligen Blick drehte er sich um und verschwand Richtung Schule.
Für einen Moment lag Julina weinend am Boden. Die rechte Seite schmerzte. Mehrmals spuckte sie auf den Boden, um seinen Geschmack aus ihrem Mund zu bekommen. Schließlich rappelte sie sich auf und schleppte sich nach Hause.
Mit Tränen in den Augen warf sie sich in die Arme ihrer Mutter.
„Mein armer, kleiner Spatz!“ Ihre Mutter drückte sie ganz fest an sich und wiegte sie sanft.
„Ist ja gut. Alles wird gut.“
Gestern hatte Julina ihrer Mutter von Björn erzählt. Schon längst hatte diese etwas geahnt, die Veränderung in dem Verhalten ihrer Tochter wahrgenommen. Die Angst in ihren Augen, das verschüchterte Wesen. Ihre Mutter hatte so lange gefragt, bis alles aus Julina wie ein Sturzbach herausgesprudelt war. Die ganze Geschichte.
„Er wird dir nicht mehr länger wehtun.“ Das hatte ihre Mutter versprochen.
„Er hat all deine Muffins aufgegessen“, schluchzte Julina. „Und dann hat er mich geküsst und getreten.“ Die Schluchzer rollten in Wellen durch ihren schmächtigen Körper. „Du hast versprochen, dass alles gut wird …“ Julina riss sich von ihrer Mutter los und starrte sie mit großen, tränengefüllten Augen an.
„Mein kleiner Schatz, du musst Geduld haben. Was Mami verspricht, hält sie auch!“
Sie nahm Julina an die Hand und ging mit ihr in die Küche.
„Schau, ich habe extra für dich Neue gebacken.“
Julina griff mit ihrer kleinen Hand zu den duftenden Schokomuffins. Sie waren noch ganz warm und zerschmolzen auf ihrer Zunge.
„Mmmmh, du machst die besten Muffins der Welt, Mutti!“
Lächelnd strich die Mutter über Julinas Kopf.
„Und, hast du heute morgen auch nicht von den Muffins genascht, so wie ich es dir gesagt habe?“


Letzte Aktualisierung: 08.08.2007 - 12.27 Uhr
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