Ganz schön bissig ...
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August 2007
Schlaflose Nächte
von Ulrike Köller

Ich zähle die Sekunden … zehn, zwanzig … fünfzig, zucke zusammen, als wäre der Blitz durch meinen Körper gefahren. Einen Augenblick lang herrscht Ruhe. Ich atme tief durch. Sein Kehldeckel hebt und senkt sich, ebenso die Bauchdecke. Sein Körper kämpft um jedes Molekül Sauerstoff, versucht es mit Gewalt einzusaugen. Es gelingt ihm nicht. Dann höre ich nur noch ein regelmäßiges Schnappgeräusch. Er liegt ganz ruhig da, nichts bewegt sich mehr, nur noch dieses Schnappen. Mein Gott wie lange … ich bekomme keine Luft mehr. Mir wird schwindelig. Dann der erlösende aber brachiale, tiefe Schnarchzug, als sein Rachen endlich die Luft in seine nach Sauerstoff gierenden Lungen frei gibt. Ich spüre mein Herz in den Ohren pochen. Er atmet drei-viermal tief durch, stöhnt dabei, als hätte man ihn gerade gepfählt. Dann beginnt das Spiel von vorn.
Ich sitze aufrecht im Bett, die Decke bis unters Kinn gezogen, verzweifelt und wütend zugleich. Warte darauf, dass dieser Psychoterror endlich ein Ende nimmt. Wie lange schon? Sieben Jahre? Ein Blick im Schein der Straßenlaterne auf die Uhr: 3:20. Wenn ich Glück habe, wird er gleich in einen stillen, für mich erträglichen Schlaf fallen, wie er es manchmal wenige Stunden vor dem Klingeln des Weckers tut. Und wenn ich noch mehr Glück habe, gelingt es mir, diese Zeit für eine kurze, traumlose Erholung zu nutzen. Die vielen gutgemeinten Ratschläge meiner Männer-erprobten Freundinnen nützen allesamt nichts. Er schnarcht auf dem Rücken liegend, in Seitenlage, auf dem Bauch schläft er ja leider nie, und er schnarcht sitzend, Kopf vorn übergebeugt. Anfangs habe ich mich zärtlich an ihn geschmiegt, ihn gestreichelt und ins Ohr geflüstert: “Liebling, du schnarchst!“ Später hab ich ihn gerüttelt, erst sanft, dann zornig. Er ist nicht einmal aufgewacht, hat nur ein paar Mal gestöhnt, geschmatzt und weiter geschnarcht.
In einer besonders verzweifelten Nacht nahm ich einmal die nächtliche Psycho-Folter mit der Kamera auf und konfrontierte ihn damit am nächsten Tag. Das löste bei ihm nur einen Heiterkeitsanfall aus. „Es ist doch wirklich erstaunlich, was du dir einfallen lässt, um mich lächerlich zu machen. Das glaubt dir doch kein Mensch“, war alles, was ihm dazu einfiel. Als ich ihm vorschlug, ich könne doch mein Nachtlager im Gästezimmer aufschlagen, schaute er mich minutenlang fassungslos an. „Das kommt überhaupt nicht in Frage, das ist der Anfang vom Ende! “ „Wenn das einer mitbekommt! Dann heißt es doch gleich, die Ehe ist kaputt!“ „Aber sag mal, das erfährt doch keiner. Außerdem kann das unserer Beziehung nur gut tun. Stell dir vor, ich wäre jeden Tag ausgeglichen. Eine glückliche Frau, die dich am Abend nicht wie eine ausgequetschte Zitrone, sondern mit einem freudigen Küsschen empfängt.“ Ich kraulte liebevoll seinen Bart. „Was hat das damit zu tun? Ich schnarche nicht, verdammt noch mal. Warum versuchst Du, mir das ständig anzuhängen!“ „Rainer, das geht so wirklich nicht weiter. Ich kann nicht mehr.“ „Dann such dir einen Therapeuten, wenn du Einschlaf-Probleme hast!“ Knallte seine Zeitung auf den Frühstücksteller und schäumte davon. Damit war das Thema für ihn vom Tisch. Für mich nicht. Ich zog mit Kissen und Bettdecke ins Gästezimmer. Das Vergnügen war von kurzer Dauer. Durch diese Aktion hing der Haussegen wochenlang so schief, dass ich um des lieben Friedens Willen wieder meinen angestammten Platz einnahm. Die letzte Möglichkeit der Abhilfe, ihn zu einem Arztbesuch zu überreden, konnte ich nun erst einmal vergessen.
Der Gedanke, den Rest meines Lebens, besser, meines nächtlichen Lebens auf diese Art und Weise verbringen zu müssen, macht mich tief depressiv. Diese Nacht scheine ich kein Glück zu haben, sein Kampf um den Sauerstoff geht ohne Gnade weiter. Es muss mir dringend etwas einfallen, sonst ist unsere Ehe wirklich in Gefahr und zwar nicht, weil ich im Nebenzimmer schlafe, sondern in einer anderen Wohnung. Man sagt ja nachts seien manche Menschen am kreativsten: die Erleuchtung kommt mir noch bevor der Wecker klingelt … Gleich heute werde ich es tun. Alle Freunde, die uns beiden je etwas bedeutet haben, dürfen dabei sein. Natürlich auch seine Arbeitskollegen und -kolleginnen, Vereins- und Sportkameraden und die gesamte Familie, niemand wird von mir vergessen. Auf den Einladungskarten steht:
„Rainer und Miriam laden euch herzlich zu unserer Party ein, mit Überraschung!“
Und wenn sie dann hübsch versammelt sind, die, die Rainer so bewundern und uns um unsere so harmonische Ehe beneiden, und ich mir wieder anhören werde, wie sehr ich doch glücklich sein muss, solch einen Mann an meiner Seite zu habe - ach ja - dann wird die Zeit reif sein. Ich rufe alle zusammen, bitte um Aufmerksamkeit, lösche das Licht und lasse das Videoband laufen …

Letzte Aktualisierung: 26.08.2007 - 14.14 Uhr
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