Mainhattan Moments
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September 2007
Viktor
von Renate Hupfeld

Flackerndes Licht von vereinzelten Öllampen warf dunkle Schatten auf die Gesichter. Nach literarischen und musikalischen Darbietungen im Salon hatte sich der kleine Kreis in bequemen Korbsesseln auf der Terrasse niedergelassen, die stufenlos in den üppig grünen Garten mit blühenden Orangenbäumen, Oliven und Myrten führte. An zwei Säulen rankten herrlich duftende bengalische Rosen.
Abende wie dieser würden Mali fehlen. Sollte die wunderbare Zeit in dem provencalischen Paradies denn wirklich zu Ende sein? Sollte sie zurückkehren in den kalten, nordischen Winter? Morgen schon? Nie zuvor hatte sie ein so angenehmes, so anregendes Leben geführt, war in dieser blütenreichen Umgebung selbst aufgeblüht wie eine Blume. Nie war sie so umschwärmt, nie war ihr Leben so farbig gewesen. Hatte sie sich jemals in einer Landschaft so leicht und glücklich gefühlt? So frei?
Der Gastgeber saß zu ihrer Linken und wies den Kammerdiener an, Tee und Gebäck zu servieren. Die Nähe dieses Mannes war ihr äußerst angenehm, seine Zuneigung spürte sie körperlich, als würde zu ihm hingezogen. Wie würde sie Viktors Liebesbeweise vermissen, Komplimente, die sonntäglichen Blumenbukette mit zart formulierten Botschaften und nicht zuletzt sein Angebot vor einigen Tagen. Ein verlockender Gedanke, den Aufenthalt hier in der Provence zu verlängern. In seinem Hause zu wohnen, in diesem gediegenen Ambiente mit reich ausgestatteter Bibliothek und Garten zum Träumen, mit gesellschaftlichen Abenden wie diesem. Sie spürte deutlich, wie er auf eine Antwort wartete, auf ihre Zusage hoffte. Es ging nicht. Sie konnte nicht mit Viktor zusammen leben. Doch wie sollte sie es ihm erklären? Nicht einmal das war ihr möglich. Auf keinen Fall konnte sie ihm den Grund sagen. Niemals würde sie das über die Lippen bringen.
„Meine lieben Gäste“, begann der Hausherr seine kleine Ansprache und sofort waren vier Augenpaare auf ihn gerichtet. „Wie freue ich mich, dass ihr heute wieder meiner Einladung gefolgt seid und mit mir zusammen den Abend verbringt. Ich danke euch für eure Treue und die wunderbaren Vorträge, mit denen ihr diese Stunden unvergesslich werden lasst, die Rezitation der Mignonverse, das Klavierspiel, die Violine und besonders dir danke ich für deinen unvergleichlichen Gesang, liebe Mali. Muss denn der Abschied wirklich sein?“ Er nahm ihre Hand in die seine. Bleib bei mir, sagten seine Augen. „Wie werden wir deine Anwesenheit vermissen, liebe Freundin. Müssen wir wirklich in Zukunft auf deine Beiträge verzichten? Muss ich… werde ich dich jemals wieder sehen?“
Bleib hier in dieser herrlichen Umgebung, bei deinen Freunden, sagten auch die Blicke der drei anderen Anwesenden. Sie spürte Tränen aufsteigen und entzog ihm ganz sachte ihre Hand. „Adieu, lieber Freund“, flüsterte sie. „Es hätte ein schönes Leben werden können. Entschuldige… Entschuldigt mich bitte.“ Es fiel ihr schwer, ein Schluchzen zu unterdrücken. Sie stand auf und lief hinaus. Draußen ließ sie ihren Tränen freien Lauf, ging über den Palmenplatz und hinauf in ihr Zimmer.
Vom Fenster aus schaute sie hinüber, betrachtete durch den Tränenschleier das golden schimmernde Licht, das seinem Haus entströmte, sah die Gäste einer nach dem anderen über den Platz fortgehen und zuletzt im hell erleuchteten Salon den Kammerdiener, der Viktor im hölzernen Rollstuhl in sein Schlafzimmer schob.

Letzte Aktualisierung: 27.09.2007 - 11.32 Uhr
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